# taz.de -- Neuer Armuts- und Reichtumsbericht: Getriebene in der Mitte | |
> Der Bericht des Bundessozialministeriums zeigt: Es gibt mehr Arme und | |
> mehr Reiche. Und große Unterschiede in den Mittelschichtmilieus. | |
Bild: Der Wert des Geldes richtet sich auch danach, wieviel man davon hat | |
Berlin taz | Etwa jeder vierte Haushalt in Deutschland hat aufgrund der | |
Coronapandemie Einkommensverluste erlitten. Unter den Befragten im ärmsten | |
Fünftel der Bevölkerung erklärten 30 Prozent, sie hätten Probleme, ihre | |
laufenden Ausgaben zu decken. | |
Dies ist eines der Ergebnisse aus dem noch unveröffentlichten Entwurf des | |
6. Armuts- und Reichtumsberichts, der der taz vorliegt. Danach befanden | |
sich im Sommer 2020 dank Corona zehn Prozent der Befragten in Kurzarbeit. | |
Drei Prozent nahmen die Soforthilfe für Selbstständige in Anspruch, zwei | |
Prozent beantragten neu Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II (Hartz IV). | |
Die [1][„höhere Vulnerabilität“ der unteren Einkommensgruppen] während d… | |
Pandemie sei auch darauf zurückzuführen, dass „diese wenig Rücklagen und | |
andere finanzielle Spielräume haben“, heißt es in dem Bericht. | |
Aus dem Armuts- und Reichtumsbericht, der alle vier Jahre unter | |
Federführung des Bundesozialministeriums erstellt wird, geht hervor, dass | |
sich die sozialen Gruppen an den Rändern der Gesellschaft in den | |
vergangenen Dekaden vergrößert haben. Seit den 1980er Jahren ist der Anteil | |
der Armen einerseits und der sehr Wohlhabenden andererseits von damals | |
insgesamt 12 auf heute 20 Prozent der Gesellschaft gestiegen, so die Zahlen | |
aus dem Bericht. | |
## Einwanderer haben hohes Armutsrisiko | |
Die Aufstiegschancen aus der Armut und dem Prekariat in die Mittelschichten | |
sind seit 2000 nicht besser geworden. Die Einkommenszuwächse in den | |
vergangenen Jahren kamen „insbesondere dem mittleren und oberen | |
Einkommensbereich zugute“, heißt es in dem Bericht. Die Mitte verliere | |
„konstant Personen nach oben, während aus den unteren Lagen immer weniger | |
Personen nachkommen“. [2][Der Bericht verarbeitet Daten] verschiedener | |
Forschungsinstitute. | |
Die Armut hängt laut den ForscherInnen auch mit den schlechteren | |
Arbeitsmarkt- und Verdienstchancen von Zugewanderten zusammen. Die | |
vergleichsweise geringen Einkommen von Menschen mit Migrationshintergrund | |
waren 2016 noch weiter vom Einkommen des Bevölkerungsdurchschnitts entfernt | |
als zehn Jahre davor. Der Abstand der MigrantInnen zum | |
Bevölkerungsdurchschnitt habe sich „vergrößert“, heißt es in dem Berich… | |
Das mittlere Nettoeinkommen (Median) pro Person lag 2018 bei 1.870 Euro im | |
Monat. Ein sogenanntes Armutsrisiko tragen Personen, die weniger Geld haben | |
als 60 Prozent vom Median, in diesem Fall rund 1.120 Euro netto im Monat. | |
Innerhalb eines Jahres steigen ein Drittel der Leute mit einem Einkommen | |
unterhalb der Armutsrisikoschwelle auf in eine höhere Einkommensschicht, | |
zeigt der Bericht. | |
## Immobilien bedeuteten Aufstieg | |
Umgekehrt steigen von den GutverdienerInnen ab 3.740 Euro netto im Monat | |
innerhalb eines Jahres etwa ein Viertel ab in eine niedrigere | |
Einkommensschicht, stellten die ForscherInnen fest. Das Schreckgespenst der | |
höheren Mittelschicht ist die Verlustangst, auch wenn die | |
Einkommenseinbußen die Betroffenen noch lange nicht in Armut stürzen. | |
Im Bericht werden acht „soziale Lagen“ unterschieden, wobei die | |
Mittelschichten sehr heterogen sind. Zur Mitte zählen dabei etwa | |
RentnerInnen, der sogenannten „unteren Mitte“ zugehörig, mit einem | |
monatlichen Netto von rund 1.440 Euro. | |
Zur Mitte zählt aber auch die Lage des „Wohlstandes“ mit 2.800 Euro netto | |
im Monat, viel Wohnfläche und einem Vermögen von 140.000 Euro (inklusive | |
Immobilien). Der „Wohlstand“ wird getoppt von der „Wohlhabenheit“ mit m… | |
als 4.500 Euro netto im Monat pro Person und einem Vermögen von 350.000 | |
Euro, also etwa einer erfolgreichen Unternehmerexistenz. Die Superreichen | |
werden in dieser Erhebung nicht erfasst. | |
## Verschobene Wahrnehmung | |
Die Vermögen sind höchst ungleich verteilt. Diese Ungleichheit in der | |
Vermögensverteilung ist in den vergangenen zehn Jahren aber nicht weiter | |
gestiegen, sondern laut Bericht sogar etwas gesunken. Insbesondere durch | |
die hohen Wertsteigerungen bei [3][Immobilien] hätten die | |
Mittelschichtmilieus an Vermögen gewonnen, heißt es in dem Bericht. | |
Interessant ist dabei die Wahrnehmung von „arm“ und „reich“ in der | |
Bevölkerung. Von den ärmeren Befragten wurden insgesamt drei Viertel der | |
Bevölkerung als entweder ‚arm‘ oder ‚reich‘ eingeschätzt, die Mitte d… | |
Verteilung verschwand demgegenüber in der Wahrnehmung, so der Bericht. | |
Haben die Befragten mehr Geld zur Verfügung, nehme das Ausmaß der | |
Überschätzung von „arm“ und „reich“ zwar ab, sei aber immer noch gro�… | |
Menschen tendieren also zu einer polarisierten Wahrnehmung der Umwelt. | |
Obwohl der aktuelle Anteil der armen und reichen Menschen in Deutschland | |
bereits sehr hoch eingeschätzt wurde, gingen über 80 Prozent der Befragten | |
davon aus, dass es eine weitere Zunahme der Armut in den nächsten fünf | |
Jahren geben werde. Über 60 Prozent erwarteten in diesem Zeitraum auch eine | |
Zunahme des Reichtums. | |
Die interessante Frage wird sein, wie SozialpolitikerInnen mit dieser | |
polarisierten Wahrnehmung, dieser Erwartung einer tieferen Spaltung, die | |
man ja auch als eine Selbst-Negation der Mittelschichtmilieus verstehen | |
kann, umgehen werden. | |
6 Mar 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Soziologe-ueber-Corona-und-soziale-Spaltung/!5752996 | |
[2] https://www.armuts-und-reichtumsbericht.de/DE/Startseite/start.html | |
[3] https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Preise/Baupreise-Immobilienpre… | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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