# taz.de -- Vera Tschechowa über den Paragraf 218: „Schrecklich, dass das no… | |
> Vera Tschechowa war Schauspielerin, dann Regisseurin. Und auf dem | |
> berühmten „Stern“-Cover „Wir haben abgetrieben“. Ein Gespräch. | |
Bild: Vera Tschechowa | |
taz am wochenende: Frau Tschechowa, schade, dass wir uns nur über den | |
Bildschirm unterhalten. So kann ich den Stuck an der Decke über Ihnen gut | |
erkennen, aber nicht Ihre Augen. In allen Artikeln, die ich über Sie | |
gelesen habe, wird erwähnt, dass Sie „Katzenaugen“ haben. | |
Vera Tschechowa: Ach, aus den Katzen sind kleine Katzen geworden. | |
Meinen Sie, dass die großen Augen klein geworden sind mit den Jahren? | |
Ja. | |
Wie ist es, wenn man sein Leben lang so ein Attribut angeheftet bekommt? | |
Man gewöhnt sich daran. | |
Als Sie 1958 im Film „Das Mädchen mit den Katzenaugen“ spielten, waren Sie | |
18. Schauen Sie sich die Filme aus den 50er und 60er Jahren, bei denen Sie | |
dabei waren, manchmal an? | |
Nein. Ich hasse es, mich im Film zu sehen. Es ist doch einfach so: Man | |
macht seine Arbeit. Ich bereite mich intensiv vor, dann bin ich froh, wenn | |
ich fertig bin. Danach kommt was Neues. | |
Was ist das gerade? | |
Ich will nichts mehr machen, weil die Körperkraft nicht mehr reicht. | |
Trotzdem: Zur Abwechslung schreibe ich gerade ein Buch. Es geht um | |
interessante Begegnungen, die ich in meinem Leben hatte. Es waren viele. | |
Ich habe mir ein paar der alten Filme angeguckt und dachte, eigentlich sind | |
es Lehrfilme. Lernen kann man, wie sexistisch, wie frauenfeindlich die | |
Nachkriegsgesellschaft war. Frauen als Beute. Frauen auf der Suche nach | |
einem Versorger. Wie haben Sie die Zeit damals erlebt? | |
Die ist wirklich frauenfeindlich gewesen. Aber ich hatte Glück, weil ich | |
aus einer sehr geerdeten Familie komme. Ich bin eigentlich immer gut damit | |
fertig geworden. | |
Bis 1958 durften Frauen etwa kein Bankkonto haben ohne die Zustimmung der | |
Männer. Diese mussten auch einverstanden sein, wenn die Frauen arbeiten | |
wollten. | |
Wenn man sich das heute vorstellt, da schüttelt man den Kopf. Die | |
Frauenbilder, die da in den Filmen gezeigt werden, das war die Normalität. | |
Mein Mann lehrt an der Uni München. Der hat seine Studenten und | |
Studentinnen mal aufgefordert, sich das Frauenbild in den Reklamen der | |
50er, 60er Jahre anzuschauen. Raus kam, das Wichtigste für Frauen soll | |
damals gewesen sein: Was koche ich? Wie seh ich aus? | |
Selbst in der eindrücklichen Verfilmung von Bölls Roman „Das Brot der | |
frühen Jahre“ ist es noch so. Heute würde man das, was Ihr Verlobter im | |
Film mit dieser anderen Frau macht, Stalking nennen? | |
Ja, schrecklich, dass das normal war. Gott sei Dank hat sich da viel getan. | |
Und dann noch der umstrittene Paragraf 218, der Abtreibung unter Strafe | |
stellte. Sie stehen auf der Liste der 374 Frauen, die vor 50 Jahren bei der | |
Aktion im Stern „Wir haben abgetrieben“ mitgemacht haben. Warum haben Sie | |
[1][den Aufruf] unterschrieben? | |
Weil ich das unmöglich finde, dass man als Frau nicht über den eigenen | |
Körper bestimmen kann. | |
Die Bild-Zeitung schrieb, dass Sie dementierten, den Aufruf unterschrieben | |
zu haben. Wurden Sie überrumpelt? | |
So was Blödes kann nur in der Bild-Zeitung stehen. Man wollte so vermutlich | |
die ganze Bewegung diskreditieren. Für mich war ganz klar, dass ich da | |
mitmache. Ich habe früh schon angefangen, mich für Frauenrechte | |
einzusetzen. Women’s Lib. Ich habe mit der Regisseurin Ula Stöckl | |
gearbeitet, wir sind auf die Straße gegangen für Frauenrechte. Nee, nee, | |
nee, ich bin heute noch stolz, dass ich bei der Stern-Aktion mitgemacht | |
habe. | |
[2][Ula Stöckls Filme] sind radikal aus der Perspektive von Frauen. Einige | |
Filme, die Sie später in den 80er Jahren gemacht haben, etwa die mit Ihrem | |
damaligen Mann Vadim Glowna, scheinen Emanzipationsentwicklungen zu | |
thematisieren, aber auf eine melancholische, ausweglose Art. | |
„Das Brot der frühen Jahre“, der Film wurde schon 1961 gedreht, hat das | |
eingeleitet. Und als in Frankreich die Nouvelle Vague aufgekommen war, hat | |
man das bei uns auch abgekupfert. Für „Das Brot der frühen Jahre“ habe ich | |
ja den Filmpreis bekommen. Bei der Verleihung saß meine Mutter neben all | |
den Regisseuren, die diese 50er-Jahre-Filme gemacht haben. Da sagte einer | |
zu meiner Mutter: „Wenn man so was spielt wie die Vera da, wird sie nie | |
wieder eine Arbeit kriegen.“ Meine Mutter antwortete: „Mal abwarten.“ Die | |
waren halt in ihrer Heimatfilmwelt und den spießigen Klischees stecken | |
geblieben. | |
In den 90er Jahren und Anfang des neuen Jahrhunderts haben Sie dann die | |
Position gewechselt, von vor der Kamera sind Sie hinter die Kamera | |
gegangen. Warum? | |
Ich habe viele Filme gemacht, gute und nicht so gute. Aber ich wurde älter, | |
die Drehbücher für Frauen werden dabei bekanntlich schlechter, weil eine | |
Frau immer schön und faltenlos sein muss. Es ist ein knallhartes Business | |
und es ist gemein. Da habe ich angefangen, hinter der Kamera zu arbeiten. | |
Warum haben Sie dann vor allem Porträts gemacht? | |
Weil mich das Leben anderer Leute interessiert. Ich wollte hinter die | |
Menschen gucken. Das geht nur mit einer Dokumentation. | |
Sie haben Porträts von Politikern wie Schewardnadse, Genscher, Václav Havel | |
gemacht, Porträts von Schauspielern wie Brandauer, Mueller-Stahl, Anthony | |
Quinn, vom Kameramann Michael Ballhaus. Auch von Katja Riemann. Haben diese | |
Personen nicht alle etwas Sperriges? | |
Michael Ballhaus war nicht sperrig, Dustin Hoffman auch nicht, der war | |
lustig. Genscher und Schewardnadse ja, das sind Politiker. Die tragen so | |
was vor sich her, was sie immer verkaufen müssen. Und das kriegen die nicht | |
los. | |
Waren Sie in der Lage, hinter die Verkaufe zu gucken? | |
Manchmal schon. Mit Genscher habe ich so eine hübsche Geschichte erlebt. | |
Kurz bevor wir am ersten Drehtag anfangen wollten, sagte Herr Genscher: | |
„Ach, Frau Tschechowa, haben Sie einen Spiegel?“ Ich hatte einen in meiner | |
Handtasche. Und dann Genscher wieder: „Auch einen Kamm?“ Genscher hatte nie | |
viele Haare, so drei, vier. Die kämmte er sehr sorgfältig über seine kahle | |
Stelle und fragte: „Meinen Sie, so geht’s?“ | |
Sind es die kleinen Sachen, wie Genschers verzweifelte Eitelkeit, die | |
bleiben? | |
Immer. Es sind immer die kleinen Sachen, die die Menschen ausmachen, nicht | |
die großen. | |
Auf Tschechows Spuren waren Sie auch? Weil die Tschechow-Dynastie in Ihnen | |
ist? | |
Anton Tschechow war mein Urgroßonkel. Das hat mich auch geprägt, aber es | |
ist nicht mein Verdienst. | |
Ihre Familie ist ein deutsch-russischer Mix. | |
Ich bin das einzige deutsche Produkt. Meine Mutter Ada Tschechowa ist noch | |
in Moskau geboren. Deren Mutter, Olga Tschechowa, hatte eine Tante, die | |
hieß Olga Knipper. Sie war eine berühmte Schauspielerin in Russland und | |
heiratete Anton Tschechow. Für sie hat er so Stücke geschrieben wie „Die | |
Möwe“, „Der Kirschgarten“. | |
Ihre Großmutter ist in den 20er Jahren von Moskau nach Berlin gegangen, als | |
Berlin Sehnsuchts- und Fluchtort für viele russische Künstler und | |
Künstlerinnen nach der Oktoberrevolution war. | |
Fluchtort. In einem Güterwagen kam sie nach Deutschland. Mein Großvater, | |
genauso ein berühmter Schauspieler, ist ebenfalls emigriert. Der ist in | |
Amerika gelandet. | |
Ihre Mutter war auch Schauspielerin. | |
Am Anfang, später war sie Filmagentin. | |
Und wer war noch mal die Kosmetikerin? | |
Das war die Großmutter, Olga Tschechowa. Sie sagte, ich werde doch nicht | |
spielen, bis ich umfalle. Sie hatte Kosmetik in Paris studiert und dann | |
eben diese große Fabrik aufgebaut. | |
Waren die beiden Frauen Orientierung für Sie? | |
Meine Großmutter auf jeden Fall. Sie war in meinem Leben sehr wichtig. | |
Stand es außer Frage, dass Sie Schauspielerin werden wie diese? | |
Am Anfang wollte ich nicht. Kinder gehen, das weiß ich von meinem Sohn, | |
gern in Opposition. Also ich sagte: Nein, was die machen, will ich auf | |
keinen Fall machen. Ich habe dann erst mal Kunst studiert. Bis meine | |
Großmutter sich das anschaute und sagte: „Ah, begabte Dilettantin.“ Da war | |
ich so verletzt und sagte: Okay, dann Schauspielerin. Als ich den Filmpreis | |
mit 21 kriegte, freute ich mich sehr. Meine Großmutter meinte: „Das ist | |
schön für dich, aber weißt du, was es ist? Eine Herausforderung. Du musst | |
an dir arbeiten.“ Ich habe mein Leben lang an mir gearbeitet. Es ist mir | |
nichts in den Schoß gefallen. | |
Wobei Sie aber in einem Umfeld aufgewachsen sind, wo die Rollen auf Sie | |
zukamen. Nicht umgekehrt. Die Regisseure hatten Sie auf dem Schirm: die | |
Tochter von …, die Enkelin von … | |
Das hat es natürlich sehr erleichtert. | |
Sie sind 1940 in Berlin geboren. Sind Ihre ersten Kindheitserinnerungen die | |
vom Krieg? | |
Sind sie, sind sie. Wir haben zum Beispiel hier in der Wohnung eine | |
Alarmanlage. Wenn die losgeht, lieg ich unterm Tisch und halte mir die | |
Ohren zu. Fliegeralarm, Fliegeralarm. | |
Bis heute? | |
Bis zum heutigen Tag. | |
Ihre Großmutter hat, sagen Sie, Hitler verachtet. | |
Hitler hat sie dagegen offensichtlich sehr verehrt, sie war auch eine | |
interessante und schöne Frau, sagt man, liest man. | |
Sie hat in vielen Filmen während der Nazizeit gespielt. | |
Dennoch fand meine ganze Familie Hitler furchtbar. Ich bin mit einem Satz | |
meiner Großmutter aufgewachsen: „Die größten Verbrecher der Menschheit sind | |
Stalin, Hitler und Mao.“ | |
Wenn Sie auf Ihr Leben schauen, sehen Sie die Entwicklungen der letzten 80 | |
Jahre darin gespiegelt? Krieg. Nachkrieg. Zeit des Vergessens. Aufbruch. | |
Vergessen kann man nicht, man kann es nur beiseiteschieben. Muss man | |
vielleicht auch, manchmal, aber was man erlebt hat, macht einen aus. | |
8 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
Waltraud Schwab | |
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