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# taz.de -- Historikerin über frühen Antifeminismus: „Das Signal war: Die R…
> Ute Planert forscht über Antifeminismus im Kaiserreich. Im Interview
> spricht sie über Strategien der Feministinnen und Parallelen zur
> Gegenwart.
Bild: Beruf und Familie vereinen? 1905 immerhin Anlass für eine antifeministis…
taz: Frau Planert, wer war zuerst da: die Feminist*innen oder die
Antifeminist*innen?
Ute Planert: [1][Antifeminismus ist eine Antibewegung], ist also gegen
etwas, und deswegen ist natürlich das, wogegen man ist, zuerst da.
Wie kam es im deutschen Kaiserreich zur ersten Frauenbewegung?
Forderungen nach einer gleichberechtigten Gesellschaft erhoben die Frauen
in dem Moment, in dem bürgerliche Partizipationsansprüche angemeldet
wurden. In der Französischen Revolution sagten sie: Gleichheit, Freiheit,
Brüderlichkeit – und was ist mit uns Schwestern? In der Revolution von
1848/49 wollten sie „dem Reich der Freiheit Bürgerinnen werben“. Ab da gab
es organisierte Aktivitäten, Versuche gewerkschaftlicher
Frauenorganisation, Frauenzeitungen. Nach der Revolution verbot
[2][Preußen] Frauen, sich politisch zu engagieren. Deshalb fingen sie an,
auf anderen Feldern zu arbeiten: in der Bildung, der Erwerbsarbeit. Im Jahr
1908 wurde dieses Gesetz aufgehoben, da gab es schon eine breite
Frauenbewegung, die größte in Europa.
Wie und ab wann genau organisierten sich die Antifeminist*innen?
Das entscheidende Jahr war 1912. Die SPD gewann die Reichstagswahlen. Das
hatte keine politische Auswirkung, weil wir es nicht mit einer
parlamentarischen Demokratie zu tun hatten, aber das Signal war: Die Roten
kommen! Seit der Vereinsfreiheit 1908 begannen die Parteien ihre Frauen zu
organisieren, die SPD, die Liberalen – ab 1912 selbst die Bastion der
politischen Rechten, die Deutschkonservative Partei. Im Jahr 1912 wurde
außerdem der Geburtenrückgang zum Thema. Den erlebten alle
Industriegesellschaften, aber er wurde von nationalistischen Zeitgenossen
als Gebärstreik wahrgenommen. Eine Universität nach der anderen wurde
geöffnet für Frauen, es bildeten sich Stimmrechtsvereine. Der Trend ging in
Richtung Erfolge für die Feministinnen, deshalb dachten die Antifeministen,
sie müssten Alarm schlagen, bevor die Regierung noch das Frauenwahlrecht
einführt. Im Jahr 1912 wurde der Deutsche Bund zur Bekämpfung der
[3][Frauenemanzipation] gegründet.
Wer waren die Antifeminist*innen, die sich im Bund vereinten?
Für meine Dissertation habe ich mir die Verbandszeitschriften des Deutschen
Bundes zur Bekämpfung der Frauenemanzipation angeschaut. Ich habe
ausgewertet, wer da auftaucht als Autor*in und in den Ortsgruppen. Da bin
ich auf 375 Namen von Aktivist*innen gekommen, davon sind ungefähr 20
Prozent Frauen. Der ganze Bund hatte 300.000 Mitglieder, darunter Vereine
von Angestellten und Lehrern, die weibliche Konkurrenz fürchteten.
Immerhin 20 Prozent, dabei ist das doch ein Widerspruch – [4][Frauen in
antiemanzipatorischen Gruppen] …
Ich habe mich auch gefragt, warum diese Frauen das machen. Manche waren mit
einem Antifeministen verheiratet, aber es gab auch selbstständige
Schriftstellerinnen. Ein wichtiger Punkt war für viele sicherlich, dass dem
traditionellen Frauenbild die Legitimation entzogen wurde. Wenn immer mehr
Frauen gebildet sein sollen, arbeiten und studieren, dann fühlt sich die
[5][„Nurhausfrau“] weniger wert. Und dann kommt das Weltbild dazu, das die
Frauen teilten: Diese Antifeministen waren weit in der rechten Ecke, modern
gesprochen: rechtsradikal, das waren Nationalisten, die waren völkisch, die
waren antisemitisch und antimodern. In diesem deutsch-völkischen Weltbild
hat die Frau zu Hause zu sein und Kinder zu kriegen fürs deutsche Volk.
Aus welchen Bevölkerungskreisen kamen diese Leute?
Das waren vorwiegend Bildungsbürger, meist protestantisch, eher
preußisch-norddeutsch und aus der Großstadt, weil die Frauenbewegung eine
urbane Erscheinung war. Es waren Mediziner dabei, [6][Rassenhygieniker],
Regierungsbeamte, auch Studenten und Lehrer, die nicht wollten, dass Frauen
ihnen die Plätze wegnehmen.
Was waren die Strategien, mit denen die Antifeminist*innen
versuchten, die Feminismuswelle zu stoppen?
Vermeintliche Aufklärung: Sie schrieben ganz viel, reichten Petitionen ein,
hatten diesen Verband, gründeten Ortsgruppen, störten Frauenversammlungen.
Sie versuchten, informell Einfluss zu nehmen auf die Parteien und Verbände,
damit diese keine Frauen zuließen. Die Antifeministen versuchten,
emanzipierte Frauen abzuwerten, indem sie ihnen die Weiblichkeit
absprachen, weil die Funktion von Frauen ja das Kinderkriegen sei. Viele
Frauen der organisierten bürgerlichen Frauenbewegung waren aber Lehrerinnen
– die mussten unverheiratet sein, es gab das [7][Lehrerinnenzölibat],
übrigens auch in der Weimarer Republik.
Was hat der antifeministische Widerstand mit der Frauenbewegung gemacht?
Nicht viel. Es gab sicherlich verbale Auseinandersetzungen, wenn die
Antifeministen zu Frauenveranstaltungen hingegangen sind. Und als der
Antifeministenbund gegründet wurde, erschienen in den Frauenzeitschriften
ein paar Artikel, aber dann kam ja schon der Krieg, und ab da standen die
Antifeministen auf verlorenem Posten. Die bürgerlichen Frauen organisierten
sich im nationalen Frauendienst, unterstützten den Krieg und stellten sich
als gute Patriotinnen dar. Da konnten die Antifeministen schlecht sagen,
dass die Frauen am Herd bleiben sollen, wo sie doch dringend Munition
herstellen, [8][Männer verbinden oder sie in den Fabriken ersetzen
mussten]. Ich bin sogar der Meinung, dass die Frauen das Wahlrecht erlangt
hätten, auch ohne den Krieg und die Revolution, nur hätte es vielleicht
länger gedauert. Die Frauen waren so erfolgreich nicht nur in der
Bildungsbewegung, sondern auch in der Lokalpolitik und den Vereinen oder
den Kirchen. Der Weg war da. Die Antifeministen als Abwehrorganisation
zeigen im Grunde, wie weit die Frauenbewegung schon im Mainstream
angekommen war.
Die Antifeminist*innen damals haben stark den Geschlechterdualismus
betont. Die Natur der Frauen sei so und so, deshalb müssten sie zu Hause
bleiben. Bietet diese [9][Betonung der Zweigeschlechtlichkeit] einen
Nährboden für antifeministische Narrative?
Das 19. Jahrhundert war voll von Bestimmungsversuchen, wie Männer sind und
wie Frauen sind. Das war die bürgerliche Geschlechterordnung, die sich
herauskristallisierte im Übergang vom Ancien Régime zur modernen
bürgerlichen Gesellschaft. Sie können jedes beliebige Lexikon dieser Zeit
aufschlagen und Sie werden ellenlange Abhandlungen dazu finden. Es ist
unglaublich! Dieses Jahrhundert war geradezu besessen davon zu definieren,
wie Männer sind und wie Frauen sind.
Warum das denn?
Die bürgerliche Gesellschaft brauchte ein neues Ordnungssystem, nachdem die
ständische Ordnung aufgehoben war. Und Geschlecht durchdrang alles, ebenso
wie später Klasse und auch Rasse als neue Ordnungskriterien. Selbst die
meisten frauenbewegten Frauen glaubten an die Gegensätze der Geschlechter
und machten daraus sogar ein Argument: Gerade weil Männer und Frauen
fundamental unterschiedlich sind, braucht es beide, etwa in der Politik.
War die Betonung des Dualismus eine erfolgreiche Strategie der
Frauenbewegung?
Ja, klar! Sogar bis dahin, dass man sagte: Männer und Frauen sind
unterschiedlich, also können Männer auch keine Frauen untersuchen – also
brauchen wir [10][Frauenärztinnen]. Diese Idee vom weiblichen
Kultureinfluss durchzog das komplette Kaiserreich, auch da, wo wir es heute
kritisch sehen, zum Beispiel bei den kolonialistischen, imperialistischen
Bewegungen. Auch da brauchte es dann den Kultureinfluss der deutschen
Frau zur angeblichen Emporbildung der Schwarzen.
Sehen Sie Parallelen zwischen dem Antifeminismus im Kaiserreich und dem
aktuellen?
Moderne Antifeministen sammeln sich etwa in der Lebensschutzbewegung,
auch die Männerrechtsbewegung fällt darunter, organisierte Incels oder
neurechte Siedler. Nach meiner aus dem Kaiserreich abgeleiteten Definition
braucht Antifeminismus einen gewissen Organisationsgrad. Oftmals erkenne
ich in aktuellen Debatten, auch in der taz, eher eine aktivistische
Definition. Aber nicht alles, was eine Frau angreift, ist organisierter
Antifeminismus.
Was halten Sie von der [11][Meldestelle Antifeminismus der
Amadeu-Antonio-Stiftung]?
Im Gegensatz zur erfolgreichen Kaumbeachtung der Antifeministen im
Kaiserreich bietet so eine Meldestelle zumindest eine Angriffsfläche, denn
man kann das auch als Denunziationsstelle sehen. Die rechte Argumentation
ist ja, dass ich jetzt bei der Gender-Polizei gemeldet werde, wenn ich
nicht das große I spreche. Ich sehe das Bedürfnis nach so einer Stelle,
gerade wenn Aktivistinnen angegriffen werden, aber ob diese Stelle dagegen
wirklich hilft oder nicht eher vorhandenen Sympathien für feministische
Politik schadet, da bin ich mir unsicher.
7 Mar 2023
## LINKS
[1] /Gefahr-Antifeminismus/!5916155
[2] /Berliner-Ausstellung-zu-Aldo-Rossi/!5912447
[3] /Feministische-Strategie-in-der-Politik/!5915889
[4] /Giorgia-Meloni-als-Mutter-der-Nation/!5882785
[5] /Sachbuch-Die-Erfindung-der-Hausfrau/!5814335
[6] https://www.planet-wissen.de/geschichte/nationalsozialismus/nationalsoziali…
[7] https://www.sueddeutsche.de/politik/geschichte-lehrer-bildungspolitik-gleic…
[8] /Weibliche-Solidaritaet/!5838894
[9] /Soziologin-ueber-Transgender/!5865423
[10] /Elinor-Cleghorn-ueber-Gendermedizin/!5887143
[11] /Expert_in-ueber-Hass-gegen-Frauen/!5909440
## AUTOREN
Katrin Gottschalk
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Hans-Dietrich Genscher
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