# taz.de -- Feministinnen besprühen Skulptur: Frauenskulptur als Propagandacoup | |
> Aktivistinnen haben Hannovers Königinnendenkmal von 1910 besprüht. Es | |
> würdige nicht die Frauen, sondern nur deren Funktion im Politik-Geschäft. | |
Bild: Das Original: Gottfried Schadows „Prinzessinnengruppe“ mit Luise (l.)… | |
HANNOVER taz | Ja, es war fast schon Frauenhandel: Wie selbstverständlich | |
wurden in vergangenen Jahrhunderten Kaiser-, Königs-, Adelstöchter | |
zwangsverheiratet. Männer oft auch, aber die hatten mehr Macht, konnten | |
auch mal eine verstoßen, wenn sie keinen männlichen Thronfolger gebar. Weit | |
öfter aber waren die Frauen Verhandlungsmasse, politisches Pfand, | |
geopolitischer Kitt. Ihre vorrangige Funktion: Reiche vergrößern, Kriege | |
verhindern, Erbfolge, teils auch Grenzen irgendwo im Outback sichern. Bis | |
an den äußersten Zipfel des einstigen Großreichs wurden etwa chinesische | |
Prinzessinnen verheiratet, ausgeliefert der oft feindseligen | |
Schwiegerfamilie, den Intrigen des berechnend kalten Hofs. | |
Ganz so weit mussten Luise und Friederike von Mecklenburg-Strelitz nicht | |
wegziehen, als sie 1793 die preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm und | |
Friedrich Ludwig heirateten und als Prinzessinnen von Preußen zunächst in | |
Berlin wohnten. [1][Luise] wurde später preußische Königin, Friederike – | |
nach ihrer dritten Heirat – Königin von Hannover. | |
Das klingt nach einem sorglosen Leben. Aber auch diese beiden Schwestern | |
fungierten – wie jahrtausendelang Frauen aller Schichten – vor allem als | |
Gebärmaschinen. Luise bekam zehn, Friederike zwölf Kinder, von denen | |
jeweils einige jung starben. Wobei nicht ganz klar ist, ob Luise in ihrer | |
Ehe wirklich unglücklich war. Friederike dagegen schon: Notorisch untreu | |
soll ihr früh verstorbener erster Mann gewesen sein. Danach heirate sie | |
noch zweimal – einmal nachweislich auf Druck des Hofs, um eine uneheliche | |
Schwangerschaft zu vertuschen. Das Paar wurden anschließend von Berlin in | |
die bayerische Provinz verbannt, und Friederike durfte nur eins ihrer | |
Kinder aus erster Ehe mitnehmen – das Mädchen. | |
## Schwestern-Idyll als Polit-Statement | |
Wenn man das bedenkt, ist es folgerichtig, dass Aktivistinnen am Frauentag | |
Hannovers „Königinnendenkmal“, das die Schwestern zeigt und eins der | |
wenigen dortigen Frauendenkmäler ist, mit folgendem Spruch versahen: „Bei | |
dem Königinnendenkmal geht es aber nicht einmal um die Frauen selbst, | |
sondern nur darum, dass sie aus politischer Strategie verheiratet wurden | |
und damit für eine politische Botschaft herhalten konnten.“ Da die | |
überlebensgroße Marmorskulptur im Winter eingerüstet wird, wurde der Satz | |
auf die Holzverschalung gesprüht. | |
In der Tat hatte der spätere [2][Kaiser Wilhelm II.] diese Skulptur 1910, | |
zum 100. Todestag Luises von Preußen, aus rein politischen Gründen der | |
Stadt Hannover geschenkt. Das zartweiße Schwestern-Idyll – eine Kopie von | |
Gottfried Schadows Berliner „Prinzessinnengruppe“ – sollte die Versöhnung | |
zwischen den (preußischen) [3][Hohenzollern] und den (hannoverschen) Welfen | |
beschwören. Denn 1866 war Hannover von Preußen annektiert worden und die | |
Skulptur nun ein Vehikel staatlicher Propaganda. Was übrigens eine | |
nachträglich implementierte Bedeutung war: Das unpolitischere Original | |
hatte Schadow 1795 bis 1797 geschaffen, kurz nach der Doppelhochzeit der | |
Schwestern. Damals waren sie beide noch Prinzessinnen von Preußen. | |
Aus feministischer Sicht bedenklich ist auch das typisch verniedlichende | |
Frauenbild der klassizistischen Skulptur: große, ausdrucksvolle Augen, | |
geschmeidig lockige, züchtig zusammengebundene Haare und das betonte | |
Dekolleté spiegeln eher den männlich-überlegenen Blick als Respekt auf | |
Augenhöhe. | |
## Luise war wohl nicht nur Opfer | |
Dennoch scheint zumindest Luise nicht nur Opfer gewesen zu sein: Obwohl | |
kaum beschult, eignete sie sich einige Bildung an, sympathisierte mit den | |
Reformideen Karls vom Stein und Karl Augusts von Hardenberg. Anders als ihr | |
lange zögerlicher Ehemann plädierte sie für preußischen Widerstand gegen | |
Napoleon – der dennoch siegte, Luise aber als „schwertfuchtelnde Amazone“ | |
bezeichnete. 1807 verhandelte sie mit ihm den Frieden von Tilsit. | |
Auch daheim muss Luise beliebt gewesen sein und wurde nach ihrem frühen Tod | |
als 34-Jährige zur„Königin der Herzen“ idealisiert. Auf derlei Qualitäten | |
zielte Kaiser Wilhelms Denkmals-Schenkung von 1910 deutlich nicht. Er | |
setzte vielmehr ein politisches Statement, basierend auf der | |
jahrhundertelangen Verdinglichung von Frauen. | |
Trotzdem: Die Skulptur selbst erinnert auch an zwei Frauenschicksale, die | |
zu ergründen sich lohnt. Auch in dieser Hinsicht hat die Sprüh-Aktion der | |
Hannoverschen Feministinnen ihr Ziel erreicht: Sie generiert Neugier und | |
Reflexion. Petra Schellen | |
10 Mar 2022 | |
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## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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