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# taz.de -- It-Girl Königin Luise: In russischer Tracht Mode gemacht
> Ihre Garderobe war Politikum, und doch gelang ihr ein eigener Stil:
> Königin Luise. Zu bewundern ist ihr modischer Appeal in Schloss Paretz
> bei Potsdam.
Bild: Alte Hüte? Nicht auf dem Kopf von Luise...
Sie war ein It-Girl zu ihrer Zeit - nicht ohne Grund. Schließlich hatte
Luise von Preußen selbst nach heutigen Maßstäben das Zeug zum Model. Die am
10. März 1776 in Hannover geborene Luise Auguste Wilhelmin Amalie Herzogin
zu Mecklenburg war schmal und mit 1,74 m hochgewachsen; dazu besaß sie das
bei ihrer Statur seltene und deshalb besonders attraktive runde
Kindergesicht kleiner Frauen. Ihre aufsehenerregende Erscheinung
prädestinierte sie geradezu zum Fashion Victim, zumal sie es liebte, ihre
körperlichen Vorzüge höchst effektvoll in Szene zu setzen.
Natürlich in der neuesten Mode, wobei Garderobe in ihrem Fall, als
Repräsentantin von Hof und Staat, immer auch Politikum war. Luise, die die
Kunst des Auftritts meisterhaft beherrschte, entwarf in ihrem Kleiderluxus
ihr eigenes gesellschaftspolitisches Programm, ihr Image, wie man heute
sagen würde, und sie tat das mit großem, vielleicht mit zu großem Erfolg.
Sie starb auf dem Höhepunkt ihrer Beliebtheit 1810; ihr Nachruhm ließ
Theodor Fontane 1892 resümieren: "Mehr als von der Verleumdung ihrer Feinde
hat sie von der Phrasenhaftigkeit ihrer Verherrlicher zu leiden gehabt."
Diese Gefahr ist anlässlich ihres 200. Todestages, der zum
Tourismusereignis "Luisenjahr 2010" erklärt und mit entsprechenden
Ausstellungen und Tagungen vermarktet wird, noch immer virulent. Im
Frühjahr prangten zum Beispiel in der Ausstellung "Luise. Leben und Mythos
der Königin" die Verherrlicherlosungen "Schönste der Schönen", "Schutzgeist
deutscher Sache", "Edelste Frau der Geschichte" an den Wänden des Schlosses
Charlottenburg in Berlin. Mit solch plumper Ironie kommt man nicht gegen
die fatalen Vereinnahmung der früh Verstorbenen an, ob im
Kriegspatriotismus von 1814, 1871 und 1914, den reaktionären
vaterländischen Luisenbünden und -vereinen oder ihren Nazi-Filmauftritten.
1.000 Taler Nadelgeld
Dafür muss man das Gewebe von Dichtung und Wahrheit schon genauer ins Auge
fassen; so wie es jetzt die Ausstellung "Luise. Die Kleider der Königin" im
havelländischen Schloss Paretz bei Potsdam, dem Sommersitz der Königin,
tut. Etwa, indem die dreiundzwanzigköpfige Gruppe der an der Ausstellung
beteiligten Kunst- und Modehistoriker-, Kostümbildner- und RestauratorInnen
einfach einmal die ruinösen Kosten auflistet, die für die bescheiden
anmutenden Gewänder der Königin aufliefen. Während die Lebenshaltungskosten
eines Berliner Arbeiters bei knapp 10 Talern monatlich lagen, fand Luise
ihre 1.000 Taler Nadelgeld im Monat als zu knapp bemessen. Sie bat ihren
Gatten Friedrich Wilhelm III. um weitere 1.000 Taler monatlich.
Darüber hinaus ist es erhellend zu erfahren, dass sich Karoline von Bayern
wegen ihres im Vergleich mit Preußen zu sparsamen Modekonsums schon 1804
Vorhaltungen von der Gattin ihres Pariser Gesandten machen lassen musste.
Keine Frage, die feine Goldstickerei am durchscheinenden Unter- wie am
roten Übergewand, die zusammen das "Tunikakleid" bildeten, in dem die
gesuchte Porträtmalerin Élisabeth-Lousie Vigée-Lebrun 1802 Luise
porträtierte, war kostspieliges Luxushandwerk, das aus ökonomischen Gründen
freilich am preußischen Hof durchaus gefördert wurde.
Auffällig sind der großzügige Brust- und Rückenausschnitt des Kleides, der
zeitgenössische Betrachter als "so willkürlich ganz offen" irritierte,
"dass man wohl oder übel mit seinen Augen drauf verweilen musste". Die
Mode, die am Ende der Grande Terreur der Revolutionszeit den weiblichen
Körper so freizügig exponierte wie nie zuvor in der abendländischen
Kleidergeschichte, ist nun just jener Ort, von dem Roland Barthes sagt,
dass sich an ihm "der Geist der Moderne, ihr Umgang mit dem Plastischen,
dem Erotischen und dem Traumhaften am ehesten entziffern lässt".
Adlige Musterbiografie
Demnach wird in den weißen, luftigen Chemisenkleidern der Königin eine
adlige Musterbiografie der Revolutionszeit, im wahrsten Sinne des Wortes,
transparent. Wie der weiße Anstrich die denkbar einfachste Verhüllung des
schmucklos-nackten klassizistischen Idealbaus war, den sich Luise 1797 von
David Gilly als Sommerresidenz im bäuerlichen Paretz errichten ließ, so war
ihr schlichtes weißes Hemdkleid denkbar einfachster Ausdruck des
Rousseauschen Frauenbildes, dem sie durch Salomé de Gélieu, ihrer
Erzieherin aus Neuchâtel, verpflichtet war.
Die Nuditätenmode zwischen 1794 und 1810 feierte das unverstellte,
natürliche und reine Wesen der Frau; nicht anders, als wenig später der
Schneideranzug das "individuelle Allgemeine" der freien Männer der Republik
symbolisch zum Ausdruck brachte. Es ist also in Paretz Mode im essenziellen
Sinne zu bestaunen: ideologisch aufgeladene, freilich vollkommen säkulare
Kleidung, die nicht mehr religiösen Geboten folgt.
Die alte höfische Kleiderordnung des Ancien Régime war deshalb freilich
nicht außer Kraft gesetzt. Luises Garderobe beachtet die vierstufige
Rangfolge von Robe du Cour, von Hofkleidung und Staatsgala, von Grande
Parure, der Kleidung für halboffizielle Empfänge und Feste, und Parure, den
weniger aufwändigen Kleidern für den Tag und den Abend, sowie dem Negligé,
das damals die Straßen-, Reise- und Hauskleider bezeichnete. Beim Besuch
des preußischen Königspaars am Petersburger Hof 1809 tritt sie etwa in
Korsett und "Reifrock, mit Diamanten", bedeckt auf und findet sie ihre Robe
zwar "prächtig", aber "schwer … zum Totbleiben". Nach zwölf Stunden, hart
geprüft durch diesen atemberaubenden Aufputz, "riss ich mir alles vom
Leibe, hundemüde". Schwer waren freilich auch die kostbaren Zobel- und
Fuchspelze, mit denen Alexander I. Luise gleich mehrfach überraschte.
Ausgerechnet dieser Besuch führte nun dazu, dass Luise nicht nur Mode trug,
sondern in "russischer Tracht", bestehend aus weißem Unter- und blauem
Oberkleid, erstmals Mode machte. Die Berichte über ihr aufsehenerregendes
Erscheinen am russischen Hof, das die politische Brisanz des preußischen
Besuchs noch unterstrich, führten zu einer europaweiten Begeisterung für
das "neueste Modekleid", von der selbst Paris nicht verschont blieb. Aus
Paris hatte sie 1803 Hüte, Seidenblumen und zwei Spitzenkleider sowie ein
noch nie gesehenes "in Stahl gesticktes" Ballkleid erhalten, denn auch
Napoleon war bestrebt, der preußischen Königin mit Kleidergeschenken
diplomatische Ehren zu erweisen.
Viel ist von der Pracht nicht übrig geblieben, umso mehr jedoch von ihrem
modischen Appeal; in den Restbeständen wie etwa den riesigen
Kaschmirschals, die noch heute als absolut fashionable überzeugen. Ein
annähernd quadratisches Kaschmirtuch mit einer stilisierten Nelke als
durchgehendes Spiralrankenmotiv wurde aus vier verschiedenen Teilen
zusammengesetzt. An einem solchen Tuch arbeiteten zwei Weber wenigstens ein
halbes, wenn nicht ein ganzes Jahr.
Anmut und Natürlichkeit
Bezaubernd sind die Hüte, von denen immerhin sieben Stück überlebten. Nicht
höfischer Prunk, sondern Anmut und Natürlichkeit, verkörpert durch die
Verwendung von Pflanzenfasern und Blumendekoration, stand bei ihnen im
Vordergrund. Gern wurden sie unter dem Kinn gebunden. Überhaupt, so
verraten es Modejournale wie Gallery of Fashion, Journals des Dames et des
Modes oder Journal des Luxus und der Moden, die sich in der
Privatbibliothek der Königin fanden, liebte die Mode Kinn- und Halsbinden.
Luise wollte damit also keineswegs eine Schwellung am Hals verbergen, wie
ihr der Bildhauer Johann Gottfried Schadow unterstellte, als er sie mit
ihrer Schwester Friederike in seiner berühmten Prinzessinnengruppe
verewigte.
In einem Fall allerdings war die Mode mit ihrer hohen, unter die Brust
gesetzten Taille hilfreich. Das verrät das ausgestellte blaue Seidenkleid,
dessen vorderseitiger Saum 20 Zentimeter weiter ist als der rückseitige:
Unter dieser Zugabe verschwand Luises fortwährender Schwangerschaftsbauch.
Immerhin gebar sie in 17 Ehejahren zehn Kinder, von denen sie sieben
durchbrachte, eine zur damaligen Zeit erstaunliche Leistung. Das machte sie
keineswegs zu der treu sorgenden Mutter, zu der sie später stilisiert
wurde, ebenso wenig, wie sie ihre Erziehungspflichten vernachlässigte, wie
ihr angesichts ihres liberalen Umgangs mit den Kindern der Freiherr von
Stein unterstellte.
Doch adorabel war Luise gewiss in ihrer modischen Allure und ihrem
zeitgemäßen Lebensstil. Wie Schloss Paretz, die Kleider und selbst die
Bilder (es gibt kein offizielles Herrscherporträt von ihr) zeigen, kam er
weniger im repräsentativen als im intimen, persönlichen Rahmen zur Geltung.
Ihn in die Dimension einer preußischen oder deutschnationalen
Staatsangelegenheit zu vergrößern hieß ihn maßlos zu vergröbern. Kitsch ist
bekanntlich falscher Maßstab. Mode aber, gerade dort, wo sie mit ihm
spielt, nimmt immer penibel Maß. Das wussten die Kuratoren Bärbel Hedinger,
Adelheid Schendel und Stefan Schimmle für ihre Ausstellung zu nutzen.
9 Aug 2010
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
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