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# taz.de -- Vermögensteuer-Politik der Grünen: Irgendwie dafür, aber nicht z…
> Die Grünen ringen intern, welche Rolle das Thema Ungleichheit im
> Wahlkampf spielen soll. SPD und Linke sind da mutiger.
Bild: Wollen etwa auch die Grünen ans Vermögen der Reichen?
Berlin taz | Eigentlich sprechen führende Grüne nicht gerne über die
Vermögensungleichheit in Deutschland und die Spaltung in wenige Reiche und
viele Arme. Das Instrument dagegen, eine neue Steuerpolitik, ist bei
mächtigen Wirtschaftsverbänden verhasst, und die Grünen suchen wegen der
ökologischen Wende lieber die Nähe zu UnternehmenschefInnen, statt auf
Konfrontation zu setzen.
Doch hinter den Kulissen der Partei wird gerungen. Es geht um die Frage,
welche Rolle eine Vermögensteuer oder eine fairere Erbschaftsteuer im
Wahlkampf spielen sollen. Grünen-Chef Robert Habeck würde das Thema gerne
mit Investitionen in bessere Bildung verknüpfen. Vermögensbezogene Steuern
seien Ländersteuern, sagte Habeck auf taz-Nachfrage am Montag.
„Bildungsausgaben sind ebenfalls Ländersache.“ Entsprechend gebe es da eine
Verbindung.
In der Tat fließen die Einnahmen aus solchen Steuern in die Haushalte der
Bundesländer. Habeck argumentierte nicht nur strukturell, sondern auch
inhaltlich. „Wir wissen, dass der Bildungsabschluss maßgeblichen Einfluss
darauf hat, wie ökonomisch erfolgreich ein Leben sein kann.“ Entsprechend,
sagte der Grünen-Chef, wäre die Besteuerung von sehr hohen Vermögen „ein
Beitrag zur gerechten Finanzierung im Bildungsbereich“.
Die Verbindung zwischen solchen Steuern und Bildung wird schon im neuen
Grundsatzprogramm hergestellt, das die Grünen im November 2020
verabschiedet haben. Lisa Paus, die Finanzexpertin der Bundestagsfraktion,
argumentiert wie Habeck: „Für ein gerechtes und starkes Bildungssystem zu
sorgen, ist eine zentrale Aufgabe für unsere Gesellschaft.“ Eine höhere
Besteuerung von Vermögen und Erbschaften könne einen Beitrag leisten, um
ein besser ausgestattetes Bildungssystem zu finanzieren.
## Trauma Steuerwahlkampf 2013
Ob die Grünen-Spitze das Thema im Wahlkampf hochzieht, ist allerdings eine
andere Frage. Bei Ungleichheit schlagen zwei Herzen in der grünen Brust.
Kaum ein Grüner würde abstreiten, dass die Spaltung in Arm und Reich in
Deutschland skandalös ist. Die oberen zehn Prozent besitzen laut DIW gut
zwei Drittel des Nettovermögens. Die ärmere Hälfte der Bevölkerung besitzt
fast nichts.
Eine ökologisch orientierte Partei, die Fleisch verteuern will und über
Armut oder explodierende Mieten klagt, darf das eigentlich nicht
ignorieren. Aber die Grünen haben im Wahlkampf 2013 schmerzhaft erfahren,
wie stark die Widerstände gegen linke Steuerpolitik sind. Konservative
Zeitungen, der DIHK und der Verband der Familienunternehmer prügelten auf
sie ein – und diffamieren selbst maßvolle Vermögensteuern bis heute als
Vorboten des Sozialismus.
Auch die Union, die mögliche Koalitionspartnerin nach der Bundestagswahl,
ist strikt und aus Prinzip gegen Steuern auf Vermögen. Deshalb dimmten
Robert Habeck und seine Co-Chefin Annalena Baerbock das Thema herunter,
auch, um sich nicht angreifbar zu machen. Bei den Jamaika-Sondierungen von
Grünen mit Union und FDP 2017 war eine gerechtere Steuerpolitik eines der
ersten Themen, das in den Papierkorb wanderte.
Habecks Idee, Vermögensteuern mit Bildung zu verknüpfen, ist der Versuch,
das Thema positiv zu besetzen. Wenn die Union eine Neiddebatte unterstellt,
könnten die Grünen kontern, dass es eher um eine Solidaritätsdebatte geht.
## Startgeld für alle
Aber so ganz entschieden ist Habeck wohl selbst noch nicht. Er spricht
nicht von selbst über Steuerpolitik, man muss ihn schon in einer
Pressekonferenz, bei der es um alle möglichen Themen geht, danach fragen.
Die Pressestelle hatte eine entsprechende taz-Anfrage zuvor abgelehnt. Man
wolle das Thema nicht setzen, so das Argument. Die Grünen-Spitze ist also
irgendwie für Vermögensbesteuerung, aber lieber nicht zu sehr.
Doch gegen diesen Kurs regt sich intern Widerstand – und zwar an nicht
unwichtiger Stelle. Die Bundesarbeitsgemeinschaft „Wirtschaft und Finanzen“
(BAG) wirbt dafür, das Thema prominent zu spielen. „Als Partei, die
mittlerweile einen gesellschaftlichen und politischen Führungs- und
Orientierungsanspruch formuliert, müssen wir Grüne das Thema der
ökonomischen und gesellschaftlichen Ungleichheit stärker als bisher ins
Zentrum unserer Politik rücken“, [1][heißt es in einem Beschluss.]
Verteilungsgerechtigkeit müsse als „zentrales grünes politisches Ziel“
wahrgenommen werden.
BAGs sind innerparteiliche Thinktanks der Grünen. Hier diskutieren
ExpertInnen und Basismitglieder unterschiedliche Themen und liefern dem
Vorstand zu. Die BAG Wirtschaft und Finanzen schlägt eine einmalige
Vermögensabgabe zur Finanzierung der immensen Coronakosten vor. Außerdem
will sie eine Bodenwertsteuer und eine Reform der Erbschaftsteuer „mit dem
Ziel einer klaren, effektiven und fairen Besteuerung“.
Damit ärmere BürgerInnen mit niedrigen Gehältern überhaupt Vermögen
aufbauen können, fordert die grüne BAG einen jährlich in Höhe der Einnahmen
aus vermögensbezogenen Steuern gespeisten BürgerInnenfonds. Aus diesem
Fonds könnte zum Beispiel an jeden Bürger ein „Startgeld“ ausgezahlt
werden, so der Beschluss. Ein Startgeld fordert etwa der französische
Ökonom Thomas Piketty.
## Mehr Mut bei SPD und Linken
Die Idee hätte den Charme, dass ärmere Leute sofort in der Lage wären,
selbstbestimmter zu handeln. Auch jene, die ohne Erbe auskommen müssen,
könnten plötzlich eine Immobilie anzahlen, eine Ausbildung finanzieren oder
privat fürs Alter vorsorgen. Auf welchen Kurs sich die Grünen verständigen
und ob Verteilungsgerechtigkeit in ihrem Wahlkampf eine Rolle spielt, ist
noch nicht geklärt.
Die Konkurrenz links der Mitte tritt mit klaren Konzepten an. Die SPD
fordert eine [2][Vermögensteuer ab einem Nettovermögen von 2 Millionen
Euro.] Der Satz soll 1 Prozent betragen und für sogenannte Superreiche auf
1,5 Prozent und 2 Prozent steigen. Es sollen hohe Freibeträge gelten: 2
Millionen Euro für Alleinstehende, 4 Millionen für Verheiratete. Ein
Ehepaar mit einem Nettovermögen von 4,1 Millionen Euro müsste also 1.000
Euro pro Jahr zahlen.
Die Linkspartei hat [3][deutlich engagiertere Pläne.] Sie wirbt für eine
Vermögensteuer, die Vermögen ohne Schulden ab 1 Million Euro mit 5 Prozent
belasten würde. Für Unternehmen und betriebsnotwendiges Vermögen gäbe es
einen Freibetrag von mindestens 5 Millionen Euro. Dadurch, wirbt die Linke,
würden rund 100 Milliarden Euro pro Jahr für Investitionen zur Verfügung
stehen.
2 Mar 2021
## LINKS
[1] https://gruene-bag-wifi.de/2021/01/verteilungsgerechtigkeit-in-gruen/
[2] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-12/bundesparteitag-spd-vermoeg…
[3] https://www.die-linke.de/wahlen/wahlprogrammdebatte-2021/wahlprogrammentwur…
## AUTOREN
Ulrich Schulte
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