# taz.de -- Arte-Serie über den Bataclan-Anschlag: Ganz Frankreich muss auf di… | |
> Eine neue Arte-Serie erzählt das kollektive Trauma von „Bataclan“ anhand | |
> von Therapiesitzungen. Das Konzept funktioniert – zum Teil. | |
Bild: Dr. Dayan (Frédéric Pierrot) mit Patientin | |
Wenige Tage nachdem im November 2015 bei einer Reihe von Terroranschlägen | |
in Paris 130 Menschen zu Tode kamen – davon 90 allein im Club | |
[1][„Bataclan“] –, sitzt Ariane (Mélanie Thierry) auf der Couch eines | |
Psychotherapeuten. Umgeben von Büchern in einer lichtdurchfluteten | |
Altbauwohnung. Sie sitze, weil sie es heute nicht schafft, sich hinzulegen. | |
Aufgelöst erzählt sie davon, sich spontan von ihrem Freund getrennt und | |
sich dann einem Kollegen angenähert zu haben – aber eigentlich in ihren | |
Therapeuten, verliebt zu sein. Der heißt Dr. Philippe Dayan (Frédéric | |
Pierrot), und er erklärt ihr, dass ihre Gefühle wahrscheinlich nur | |
Projektion sind. Eine Reaktion auf „Bataclan“. Den Horror der Anschläge hat | |
Ariane als Chirurgin aus nächster Nähe mitbekommen. | |
So weit das Konzept der neuen Arte-Serie „In Therapie“: Mit Ariane und vier | |
weiteren fiktiven Patient*innen(gruppen) hat sie es sich zum Ziel | |
gemacht, vom kollektiven Trauma, das der Terror in der französischen | |
Gesellschaft auslöste, zu erzählen. In Kammerspielmanier begleitet sie Dr. | |
Dayans Sitzungen – sowie die wöchentliche Analyse, der sich der Therapeut | |
selbst unterzieht – über sieben Wochen hinweg. Dabei verlassen sich die | |
knapp halbstündigen Episoden weniger auf inszenatorische Kniffe als auf den | |
Reiz der Gespräche. Der allerdings schwankt über die 35 Folgen hinweg | |
stark. | |
„In Therapie“ ist die Wiederkehr der Wiederkehr. Mit zahlreichen | |
Vorgängerversionen, darunter das israelische Original „BeTipul“ (2005–20… | |
und die HBO-Adaption [2][„In Treatment“] (2007–2010) mit Gabriel Byrne in | |
der Hauptrolle, ist die reduzierte Struktur nicht neu. Sie erweist sich als | |
sinnvolle Methode, um multiperspektivisch auf ein prägendes Ereignis zu | |
blicken. Nur ist nicht jede Perspektive gleich spannend erzählt. | |
## Wenig Raum für Ambivalenz | |
Adel (Reda Kateb), der als Polizist beim Sondereinsatzkommando „BRI“ in | |
besagtem Club anwesend war, gehört neben Ariane zu den Höhepunkten der | |
Serie. Als Franzose mit algerischen Wurzeln hadert er mit seiner Herkunft | |
und fürchtet sich davor, dass seine Kolleg*innen in ihm eine Nähe zu den | |
Tätern sehen könnten. Während es auch qua seiner Tätigkeit einen | |
unmittelbaren Bezug zum Grauen gibt, ist der Einfluss auf andere | |
Patient*innen subtiler. | |
Was „Bataclan“ mit der jugendlichen Profi-Schwimmerin Camille (Céleste | |
Brunnquell), die sich gerade beide Arme gebrochen hat, oder dem Ehepaar | |
Damien (Pio Marmaï) und Léonora (Clémence Poésy), das sich plötzlich über | |
die Nachwuchsplanung zu zerwerfen droht, zu tun hat, ist erst nach mehreren | |
Sitzungen zu erkennen. Bedauerlicherweise gilt: Je weiter die Figuren von | |
den Ereignissen entfernt sind, desto dröger verlaufen die Gespräche. | |
Auf alle Figuren gleichermaßen trifft zu, dass das Drehbuch (unter anderem | |
von David Elkaïm und Vincent Poymiro) wenig Raum für Ambivalenzen und dafür | |
umso mehr für Therapie-Stereotype gelassen hat. Manchmal wird [3][Sigmund | |
Freud] – der in der französischen Psychoanalyse zugegeben einen | |
prominenteren Status einnimmt als hierzulande – gleich mehrmals pro Folge | |
zitiert; Adel tritt selbstverständlich als Macho in Lederjacke und | |
Pilotenbrille auf, der wenig von „Seelenklempnerei“ hält; und schließlich | |
fühlt sich Dr. Dayan von den Avancen seiner Patientin doch ein wenig zu | |
sehr verunsichert. | |
Es ist wie so oft bei den Regisseuren Éric Toledano und Olivier Nakache | |
([4][„Ziemlich beste Freunde“]): Hinter dem proklamierten, edlen Ansinnen | |
steht ein zu wenig nuancierter Inhalt, um wirklich überzeugen, menschlich | |
packen zu können. Trotz einzelner starker Episoden nehmen, statt des | |
geladenen kollektiven Traumas, vor allem leidige Klischees auf der | |
Therapie-Couch Platz. | |
4 Feb 2021 | |
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## AUTOREN | |
Arabella Wintermayr | |
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