| # taz.de -- TV-Serie „In Treatment“: Das Coming Out der Therapie | |
| > Die Therapieserie „In Treatment“ ist klassisches Fernsehen und bringt die | |
| > Sprache der Psychoanalyse zurück. Das Original für das Remake des | |
| > US-Kabelsenders HBO stammt aus Israel. | |
| Bild: Lässt sich beim Therapieren über die Schulter schauen: Psychologe Dr. W… | |
| BERLIN taz | Am Eingang des Bürohauses von HBO in Los Angeles, dem Mekka | |
| modernen Fernsehens, hängt der Slogan: „It's not TV – it's HBO“. Die hier | |
| produzierte Serie „In Treatment – Der Therapeut“, deren erste Staffel | |
| gerade auf 3Sat gezeigt wird, ist aber nicht nur ein Meilenstein in der | |
| Entwicklung des TV-Dramas. Sein Motor ist etwas, das fernsehtypischer nicht | |
| sein könnte: „In Treatment“ ist ein ganz eigenes, auf geniale Weise | |
| minimales Format, in dem nur sprechende Köpfe zu sehen sind. Die Handlung | |
| entwickelt sich ausschließlich im Rahmen von therapeutischen Sitzungen. | |
| „In Treatment“ ist die direkte Adaption der israelischen Serie „Be Tipul�… | |
| („In Behandlung“), die der Produzent Hagai Levi erdacht hatte. Diese war | |
| von einem ganzen Arsenal erfolgreicher israelischer Autoren, darunter Ari | |
| Folman („Waltz with Bashir“), Uri Sivan und Regisseur Nir Bergman („Broken | |
| Wings“) geschrieben worden. Die erste Staffel der Serie wurde 2005, die | |
| zweite 2008 in Israel gesendet. Sie wurde schnell und unerwartet zu einem | |
| Erfolg. | |
| Für das amerikanische Remake, das mit dem Dreifachen des minimalen | |
| israelischen Budgets produziert wurde, übersetzte man die Originaldialoge | |
| beinahe eins zu eins. Die Charaktere und ihre Geschichten sind mehr oder | |
| weniger identisch, selbst die Titelmusik wurde übernommen. Dennoch | |
| unterscheiden sich die beiden Fassungen stark in ihrem Temperament und in | |
| der äußeren Erscheinung. | |
| Vier Tage in der Woche trifft Therapeut Paul Weston/Reuven Dagan jeweils | |
| einen Patienten in seiner häuslichen Praxis. Am fünften Tag geht er selbst | |
| zu einer Therapeutin, seiner früheren Mentorin Gina/Gila, um sich mit | |
| seiner eigenen Krise auseinanderzusetzen. Montags besucht ihn Laura/Naama, | |
| die fest dazu entschlossen ist, Paul/Reuven zu verführen und damit die | |
| Grenzen der Therapie zu sprengen. | |
| Paul/Reuvens innerer Kampf mit ihr und seinen eigenen Gefühlen bilden die | |
| Achse, um die sich die erste Staffel dreht. Dienstags folgt die Sitzung mit | |
| Alex/Yadin, einem sarkastischen, aber charmanten Bomberpiloten, der von | |
| Schuldgefühlen und existenziellen Zweifeln geplagt wird. | |
| In der israelischen Fassung hat er bei einem Einsatz palästinensische | |
| Kinder getötet und ein gespanntes Verhältnis zu seinem Vater, einem | |
| Holocaust-Überlebenden. Sein afroamerikanisches Pendant hat im Irak Bomben | |
| auf eine Religionsschule geworfen. Sophie/Ayala ist ein hartgesottener | |
| Teenager, von der erwachsenes Verhalten und kindliche Elastizität beim | |
| Turnen erwartet wird. Sie wird sexuell missbraucht. Donnerstags versuchen | |
| Jake und Amy sowie Orna und Michael ihre Ehe zu retten. | |
| Wie eine Telenovela und eine echte Arbeitswoche regt das tägliche | |
| Wiedersehen mit dem Therapeuten und seinen Patienten die Zuschauer dazu an, | |
| eine Beziehung zu ihnen aufzubauen. Er oder sie kann die Dynamik der | |
| therapeutischen Sitzung miterleben, Gefühle der Wut, der Zuneigung oder der | |
| Distanz gegenüber den Charakteren entwickeln. Sie werden bald Teil des | |
| eigenen Alltags. | |
| Hohes Maß an Intensität | |
| Das zentrale Thema von „Be Tipul“ ist das Überschreiten von Grenzen. Wo | |
| hört die Behandlung auf, wann funktioniert die Übertragung nicht mehr? Wo | |
| hört eine Person auf und wo fängt die andere an? Das sind keine | |
| unwesentlichen Fragen im israelischen Alltag, wo es einen Mangel an | |
| physischem und individuellem Raum gibt. Die Kommunikation ist lauter, | |
| Beziehungen gestalten sich extremer. | |
| Der israelische Therapeut Reuven Dagan (gespielt vom Filmemacher Assi | |
| Dayan, Sohn von Moshe Dayan) und seine Patienten sprechen auf eine direkte | |
| Art und Weise miteinander, wie sie weder in den USA noch in Europa denkbar | |
| ist. In der amerikanischen Version wird das hohe Maß an Intensität des | |
| Originals deutlich heruntergefahren: Therapeut Paul Weston (Gabriel Byrne) | |
| trennt nun ein massiver Tisch von seinen Gesprächspartnern. | |
| „In Treatment“ markiert somit das endgültige Coming-out der Therapie im | |
| Fernsehen. Die Serie demystifiziert die Praxis der Psychoanalyse | |
| detailreich und genau. Wir blicken durchs Schlüsselloch, um diesem hinter | |
| verschlossen Türen stattfindenden Prozess beizuwohnen, der eine zentrale | |
| Rolle in der heutigen Kultur spielt. In ihr ist die Zeugenschaft eines | |
| Traumas und das Sprechen mit therapeutischem Jargon die dominanteste | |
| Ausdrucksform geworden. | |
| Nie zuvor wurde Therapie so realistisch gezeigt. Umgekehrt aber blieb auch | |
| die Welt der Psychoanalyse nicht unberührt von der Serie: Auf Konferenzen | |
| diskutierten Fachleute die Serie, einzelne Episoden werden in Uniseminaren | |
| analysiert. Therapeuten haben die Gebühren erhöht, Klienten gehen | |
| selbstbewusster in die Sitzung. | |
| Wer sich in Psychoanalyse begibt, versucht das eigene Leben zu reparieren | |
| oder wenigstens zu verbessern, indem eine Beziehung zum Therapeuten | |
| hergestellt wird, die alle anderen Beziehungen simuliert. Die Sitzung ist | |
| ein künstlicher Raum, der wie eine Metapher des Lebens funktioniert. Ihr | |
| Werkzeug ist der Dialog. Und so operieren die Episoden von „In Treatment“ | |
| in einem bilderlosen Raum, zu sehen sind nur sprechende Leute auf Sessel | |
| und Couch. | |
| Bald konzentriert sich die Aufmerksamkeit darauf, wie diese Leute ihre | |
| Geschichten erzählen und was sich dadurch offenbart. Es gibt einen Bruch | |
| zwischen dem, worüber erzählt wird, und dem, was zu sehen ist. Die | |
| Übertragung ist allein Sache des Betrachters. „Be Tipul“-Erfinder Hagai | |
| Levi ist in einem religiösen Kibbuz aufgewachsen. Er sagt, er habe vor | |
| seinem 20. Lebensjahr nichts als Text gekannt. Für ihn ist das textbasierte | |
| Format seiner Telenovela wie der Raum des Therapeuten ein Container für das | |
| alte talmudische Duell: These trifft auf Antithese. | |
| Es gibt bereits südamerikanische und serbische Adaptionen der Serie, auch | |
| deutsche Produzenten zeigten sich interessiert. Nun hat 3Sat sich für die | |
| Übernahme von „In Treatment“ entschieden. Therapiesitzungen in der | |
| US-amerikanischen Vorstadt wird wohl eher zugetraut, ein deutsches Publikum | |
| anzusprechen, als die arme, aber sexy israelische Originalfassung. | |
| Die Sprache der Analyse | |
| So oder so operiert die deutsche Fassung mit einer Synchronisierung, was | |
| ein massiver Eingriff ist. Bei so einer minimalen Komposition hat nicht nur | |
| der Inhalt, sondern auch der Klang der Sprache eine immense Bedeutung. Es | |
| ist kaum zu glauben, dass die hier zu hörende Sprache die Sprache ist, in | |
| der die psychoanalytische Methode einst formuliert wurde. | |
| Sigmund Freud war ein sorgfältiger Autor und virtuoser Kenner der deutschen | |
| Sprache. Der einzige Preis, den er je erhalten hat, war der Goethe-Preis | |
| für Literatur im Jahr 1930. Obwohl das Deutsche unwiderruflich mit der | |
| Psychoanalyse verbunden ist, wurde sie in den Dreißigerjahren des letzten | |
| Jahrhunderts aus Deutschland deportiert und ist nie wieder richtig heimisch | |
| geworden. Dass der psychoanalytische Dialog nun in Form der amerikanischen | |
| Adaption einer israelischen TV-Serie nach Deutschland zurückkehrt, kann man | |
| als Ironie der Geschichte betrachten. | |
| 25 Feb 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Tal Sterngast | |
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| Remake | |
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