| # taz.de -- Dokumentarserie zu Afghanistan: Erzählung voller Tragik | |
| > Auf Arte schaut ein dokumentarischer Vierteiler mit spannenden | |
| > Protagonist*innen zurück auf die Geschichte von „Afghanistan. Das | |
| > verwundete Land“. | |
| Bild: Die Ärztin und Politikerin Nilofar Ibrahimi berichtet von Depressionen i… | |
| Europäische Mediennutzer, die sich für gut informiert halten, glauben ja | |
| zumindest eine ungefähre Vorstellung zu haben vom Leiden der | |
| Zivilbevölkerung in Afghanistan. Die Ärztin Nilofar Ibrahimi, die dort seit | |
| 2010 dem Parlament angehört, nennt in der Dokumentation „Afghanistan. Das | |
| verwundete Land“ eine Zahl, die bisher wenig Verbreitung gefunden haben | |
| dürfte. 80 Prozent der Menschen in Afghanistan litten unter Depressionen, | |
| sagt sie. Warum das so ist, lässt sich nachvollziehen, wenn man diesen | |
| Vierteiler gesehen hat, für den Arte an diesem Dienstag dreieinhalb Stunden | |
| en bloc zur Verfügung stellt. | |
| Mayte Carrasco und Marcel Mettelsiefen erzählen die Geschichte des Landes | |
| seit den 1960er Jahren. Sie greifen dabei auf einen beeindruckenden Fundus | |
| von Bildern zurück – darunter Material, das Einblicke in das Kampfgeschehen | |
| der jüngeren Vergangenheit liefert, [1][mal aus der Perspektive der | |
| Taliban, mal der Amerikaner]. Hinzu kommen aufschlussreiche Ausschnitte aus | |
| Beiträgen des amerikanischen, französischen und sowjetischen Fernsehens. | |
| Diese Bilder kombinieren Carrasco und Marcel Mettelsiefen mit Interviews | |
| mit Zeitzeugen aus aller Welt. Einige haben Blut an den Händen, etwa der | |
| frühere Mudschaheddinführer und Ministerpräsident Gulbuddin Hekmatyar, der | |
| sich den Beinamen „der Schlächter von Kabul“ erbombt hat. | |
| Den Filmemacher*innen gelingt es, eine soghafte Wirkung zu erzeugen, weil | |
| sie die Elemente sehr gekonnt miteinander verweben. Viele der Akteur*innen, | |
| die auf den Archivbildern zu sehen sind, haben die Filmemacher*innen für | |
| Gespräche gewinnen können. Oder sie haben Bilder gefunden, die die | |
| Interviewäußerungen optimal illustrieren. | |
| ## Investition in Fundamentalismus | |
| Diese internationale Koproduktion erinnert eindrücklich daran, wie stark | |
| das Geschehen in Afghanistan in den letzten rund 40 Jahren die Weltpolitik | |
| beeinflusst hat. „Fünf bis sechs Milliarden Dollar“ hätten die USA zwisch… | |
| 1979 und 1989 an dschihadistische Kämpfer gezahlt, damit diese die | |
| Sowjettruppen vertreiben. Ohne diese Investition hätte sich die Geschichte | |
| des islamischen Fundamentalismus anders entwickelt. | |
| „Afghanistan. Das verwundete Land“ ist eine Erzählung voller Tragik: Immer | |
| wieder flammt nach einer politischen Wende kurz Hoffnung auf in der | |
| Zivilbevölkerung, aber danach wird es nicht nur nicht besser, sondern oft | |
| schlimmer. Nach dem Abzug der Sowjetunion 1989 herrscht zunächst Euphorie, | |
| doch es folgt ein Bürgerkrieg der Mudschaheddin. Die Taliban beenden diesen | |
| Krieg, entfesseln aber schnell eine beispiellose Barbarei. Und nach der | |
| Niederlage der Taliban macht die Nato ähnliche Fehler wie einst die | |
| Sowjets. | |
| Die Machart der Doku erinnert an den von Arte vor einem Monat ebenfalls en | |
| bloc gesendeten [2][Vierteiler über die in Chile ansässige Foltersekte | |
| Colonia Dignidad] und versteht sich nicht zuletzt als Würdigung weiblichen | |
| Widerstands in einem Land, in dem Frauen lange nicht am gesellschaftlichen | |
| Leben teilhaben konnten. Dafür stehen Nadia Ghulam, die sich während der | |
| Taliban-Herrschaft zehn Jahre als Mann ausgegeben hatte, Sima Samir, die | |
| die erste Ministerin für Frauenangelegenheiten war, und vor allem Shukria | |
| Barakzai, die in der Taliban-Zeit als Lehrerin im Untergrund Frauen und | |
| Mädchen unterrichtete und bis 2019 Botschafterin des Landes in Norwegen | |
| war. | |
| Viele Zeitzeug*innen sind in mehreren Teilen vertreten. So wird es möglich, | |
| die Entwicklung der Personen im Laufe der Jahrzehnte nachzuvollziehen – | |
| ähnlich wie bei den Protagonisten von fiktionalen Produktionen, die sich | |
| über mehrere Jahre erstrecken. Insofern ist es stimmig, dass Arte diese | |
| aufwendig komponierte Erzählung als „Doku-Serie“ bezeichnet. | |
| Als die Ärztin Nilofar Ibrahimi über Depressionen spricht, erwähnt sie auch | |
| die unzähligen Afghanen, die sich zur Flucht entschließen mussten – und | |
| diese nicht überlebten. Sei es, weil sie auf dem Weg nach Europa im | |
| Mittelmeer ertrunken sind, sei es, weil sie es nicht einmal so weit | |
| geschafft haben. An dieser Stelle ist kurz eines dieser bekannten Bilder | |
| mit einem Schlauchboot voller Geflüchteter zu sehen. Das reicht, um daran | |
| zu erinnern: Was in Afghanistan passiert, geht uns alle an. | |
| 7 Apr 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /US-Aussenpolitik-in-Afghanistan/!5670659 | |
| [2] /Doku-ueber-Colonia-Dignidad/!5667184 | |
| ## AUTOREN | |
| René Martens | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Afghanistan | |
| Taliban | |
| Dokumentarfilm | |
| Colonia Dignidad | |
| Schwerpunkt Frankreich | |
| Schwerpunkt Afghanistan | |
| Schwerpunkt Afghanistan | |
| Schwerpunkt Afghanistan | |
| Schwerpunkt Afghanistan | |
| Schwerpunkt Afghanistan | |
| USA | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Verbrechen der Colonia Dignidad: Ein Gedenkort fehlt bis heute | |
| In der deutschen Sektensiedlung Colonia Dignidad in Chile wurden schwerste | |
| Menschenrechtsverletzungen begangen. Wie steht es um die Aufarbeitung? | |
| Arte-Serie über den Bataclan-Anschlag: Ganz Frankreich muss auf die Couch | |
| Eine neue Arte-Serie erzählt das kollektive Trauma von „Bataclan“ anhand | |
| von Therapiesitzungen. Das Konzept funktioniert – zum Teil. | |
| Anschlag auf Afghanistans Vizepräsidenten: Saleh entkommt Attentat | |
| Sechs Menschen sterben bei einem versuchten Anschlag auf den | |
| Vizepräsidenten. Zuvor hatte er die Taliban kritisiert, mit denen | |
| Friedensgespräche bald starten sollen. | |
| Krieg und Terror in Afghanistan: Chance auf Frieden vertan | |
| In Afghanistan eskaliert der Krieg. Mit dem Angriff auf die Geburtsstation | |
| eines Krankenhauses hat er einen weiteren moralischen Tiefpunkt erreicht. | |
| Friedensprozess in Afghanistan: Taliban brechen Gespräche ab | |
| In Afghanistan eskaliert das Gezerre um die Freilassung von Gefangenen. Dem | |
| Friedensprozess mit den Taliban droht der Kollaps. | |
| US-Außenpolitik in Afghanistan: Den Taliban das Land serviert | |
| Lange taten die USA so, als könne man eine Demokratie mit Warlords | |
| aufbauen. Jetzt geht Afghanistan an die Taliban. | |
| Aufständische am Hindukusch: Afghanistans Parallelregierung | |
| Die Taliban haben sich gemäßigt, weil sie an die Macht wollen. Vielen | |
| Afghanen ist egal, wer Schulen und Kliniken betreibt – solange sie | |
| funktionieren. | |
| Washington ist enttäuscht: Weniger Geld für Kabul | |
| Der Machtkampf in Afghanistans Regierungslager dauert an. Deswegen streicht | |
| die US-Regierung eine Milliarde Dollar an Hilfsgeldern. |