# taz.de -- Friedensprozess in Afghanistan: Taliban brechen Gespräche ab | |
> In Afghanistan eskaliert das Gezerre um die Freilassung von Gefangenen. | |
> Dem Friedensprozess mit den Taliban droht der Kollaps. | |
Bild: Im Gefängnis Parwan inhaftierte Taliban warten auf ihrer Freilassung | |
BERLIN taz | Der Friedensprozess in Afghanistan steht vor neuen Hürden, | |
bevor er überhaupt richtig begonnen hat. Am Dienstag haben [1][die Taliban] | |
Gespräche mit der Regierung von Präsident Aschraf Ghani über einen | |
Gefangenenaustausch abgebrochen. Der sollte eigentlich Friedensgespräche | |
beider Seiten in Oslo ermöglichen, die ursprünglich schon am 10. März | |
beginnen sollten. | |
Die USA hatten zuvor beide Seiten dazu gebracht, den Beginn des Austauschs | |
für Anfang April neu festzusetzen. Die Gespräche wurden per Videokonferenz | |
geführt: wegen der Coronakrise und weil die Taliban so die von ihnen | |
ungewünschten Direktgespräche mit der von ihnen nicht anerkannten Regierung | |
vermeiden konnten. | |
Vorige Woche schickten die Aufständischen dann erstmals ein sogenanntes | |
technisches Team nach Kabul. Das sollte die Modalitäten des Austauschs | |
festlegen. Indirekt schienen sie sich damit auch auf eine schrittweise | |
Freilassung von Gefangenen eingelassen zu haben, wie sie Präsident Ghani | |
dekretiert hatte. | |
Doch als Kabul mit Hinweis auf die Coronakrise damit begannn, zunächst alte | |
und kranke Gefangene zu entlassen, forderten die Taliban, dass 15 ihrer | |
Kommandeure in der Gruppe der ersten Freigelassenen sein sollten. Das wies | |
am Montag der Vizechef des Nationalen Sicherheitsrats, Matin Bek, ab. „Wir | |
können die Mörder unseres Volkes nicht freilassen,“ sagte Bek, der selbst | |
der Sohn eines Warlords ist. | |
## Vor der Freilassung biometrisch erfasst | |
Streit gab es auch über Kabuls Ansinnen, dass die Entlassenen sich | |
schriftlich verpflichten müssen, nicht in den Kampf zurückzukehren. Das | |
lehnen die Taliban ab. Als Kabul am Mittwoch und Donnerstag je 100 Taliban | |
auf freien Fuß setzte, wurde nur gemeldet, die Entlassenen seien | |
biometrisch erfasst worden. | |
Schon am Dienstag hatten die Taliban erklärt, sie würden sich nicht weiter | |
an diesen „fruchtlosen Gesprächen“ beteiligen. Ihre Delegation reiste aus | |
Kabul ab. Ihr Sprecher Suhail Schahin warnte, das Truppenabzugsabkommen mit | |
den USA von Ende Februar, und damit der geplante Friedensprozess, komme | |
„einem Bruchpunkt näher“. | |
Dabei war der Krieg in Afghanistan ohnehin weitergegangen, obwohl auch dort | |
die Coronakrise und in den großen Städten deshalb eine Ausgangssperre | |
herrscht. | |
Allerdings lag das [2][Gewaltniveau] zuletzt weiter unter dem vor der | |
[3][Unterzeichnung des US-Taliban-Abkommens]. Am Donnerstag schlugen fünf | |
Raketen auf der US-Hauptbasis Bagram nördlich von Kabul ein. In der | |
Hauptstadt selbst detonierte ein Sprengsatz. | |
## Corona „außer Kontrolle“ | |
Beide Vorfälle forderten keine Opfer. Aber am Mittwoch hatte das US-Militär | |
Dorfbewohnern in Kandahar zufolge bei einem Drohnenangriff drei Kinder | |
getötet und acht verletzt. Ein US-Militärsprecher stritt ab, dass es in | |
diesem Gebiet überhaupt einen Angriff gegeben habe. Laut der afghanischen | |
Menschenrechtskommission seien dort Zivilisten durch Artilleriebeschuss von | |
Regierungstruppen getötet worden. | |
Offiziell lag die Zahl der landesweit positiv auf den Coronavirus | |
getesteten Menschen am Donnerstag bei 484, die Zahl der an Corona | |
Verstorbenen bei 14 Toten. Die Dunkelziffer könnte hoch sein. | |
Gesundheitsminister Firusuddin Firus sprach von 10.000 Fällen allein in | |
Kabul und sagte, die Pandemie sei „außer Kontrolle“. | |
Aus Kabul wird berichtet, dass Familien Erkrankte und Tote verbergen, um | |
nicht unter Quarantäne gestellt zu werden. Zwar wurden zusätzliche | |
Notkliniken errichtet, aber es gibt landesweit nur 300 Beatmungsgeräte. | |
Immerhin begann China Anfang der Woche medizinische Hilfslieferungen. Auch | |
die Taliban lassen Gesundheitstrupps von Hilfsorganisationen in die von | |
ihnen kontrollierten Gebiete und führen Aufklärungskampagnen zum | |
Coronavirus durch. Ein Journalist aus der Westprovinz Badghis sagte der | |
taz: „Corona ist ein Disaster und die Taliban-Attacken ein anderes. Nicht | |
nur die Taliban, auch alle anderen sollten humanitär denken und die Gewalt | |
zumindest reduzieren.“ | |
9 Apr 2020 | |
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## AUTOREN | |
Thomas Ruttig | |
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