# taz.de -- Krieg und Terror in Afghanistan: Chance auf Frieden vertan | |
> In Afghanistan eskaliert der Krieg. Mit dem Angriff auf die | |
> Geburtsstation eines Krankenhauses hat er einen weiteren moralischen | |
> Tiefpunkt erreicht. | |
Bild: Dieses Neugeborene hat den Anschlag auf die Geburtsstation in Kabul über… | |
BERLIN taz | Als Ergebnis nicht zustande gekommener Friedensgespräche | |
zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban eskaliert in Afghanistan | |
wieder der Krieg. Der Beginn der Gespräche war für Anfang März geplant | |
gewesen, direkt nach [1][Unterzeichnung eines bilateralen Abkommens] | |
zwischen den USA und den Taliban. Aber [2][Unstimmigkeiten über einen als | |
vertrauensbildende Maßnahme gedachten Gefangenenaustausch] verzögern ihn | |
bis heute. | |
Bei einem Anschlag mit einer Lkw-Bombe auf ein Militärgerichtsgebäude in | |
der Provinz Paktia kamen am Donnerstag in der südöstlichen | |
Provinzhauptstadt Gardes 11 Menschen ums Leben, 28 wurden verletzt. In der | |
Provinz Nangrahar gab es am Dienstag 32 Tote und 130 Verletzte. | |
Einen moralischen Tiefpunkt hatte der Krieg am Dienstag erreicht, als ein | |
Drei-Mann-Terrorkommando mit Polizeiuniformen verkleidet ein Krankenhaus im | |
Westkabuler Stadtteil Dascht-i-Bartschi stürmte und dort in der | |
Geburtenstation umherschoss. | |
Nach offiziellen Angaben wurden dabei 24 Menschen getötet, darunter | |
mindestens zwei Neugeborene, mehrere Mütter sowie Schwestern. Mindestens 19 | |
weitere Menschen wurden verletzt. | |
## Angriff auf schiitische Minderheit | |
In dem Stadtteil leben überwiegend Hasara, die zur schiitischen Minderheit | |
im Land gehören. Dies legt nahe, dass der afghanische Ableger des | |
„Islamischen Staats“ (IS) hinter der Untat steckt, auch wenn sich bisher | |
niemand dazu bekannt hat. | |
Denn Anschläge auf religiöse Minderheiten gehören zum Vorgehen des IS. | |
Zuletzt hatte er Ende März in Kabul einen Anschlag auf einen Tempel der | |
Sikh-Gemeinschaft verübt. 27 Menschen starben. Am Dienstag ließen die | |
Taliban schnell wissen, sie hätten mit dem Angriff auf die Geburtsstation | |
nichts zu tun. | |
Ebenfalls 24 Menschen tötete am Dienstag ein Selbstmordattentäter auf einer | |
Beerdigungsfeier für einen Kommandeur der milizartigen Lokalpolizei ALP in | |
der Ostprovinz Nangarhar. 68 Menschen wurden verletzt. Auch in diesem Fall | |
gibt es keine Bekennererklärung. Und auch hier sagen die Taliban, sie seien | |
nicht verantwortlich. Die ALP gehört jedoch zu ihren Hauptfeinden. | |
## Konkurrenz zwischen Taliban und Islamischer Staat | |
Auch der IS operiert in der Provinz Nangarhar, obwohl er dort im Herbst | |
2019 durch gleichzeitige Operationen der afghanischen und US-Truppen sowie | |
der Taliban weitgehend zerschlagen wurde. Einzelne IS-Gruppen überlebten | |
aber. | |
Die Taliban und der IS konkurrieren um die Vorherrschaft im Kampf gegen | |
Kabul und die US-geführten Nato-Truppen. Doch sind die Taliban wesentlich | |
stärker und kontrollieren etwa die Hälfte des Landesterritoriums. | |
Einen Tag zuvor waren bei einem Luftschlag der afghanischen Armee in der | |
Nordprovinz Balch nach Angaben von Dorfbewohnern neun Zivilisten ums Leben | |
gekommen und elf weitere verletzt worden. Danach kam es zu gewalttätigen | |
Protesten. Das Verteidigungsministerium behauptete, alle Opfer seien | |
Taliban gewesen. In der Westprovinz Farah starben drei Kinder durch | |
Mörserbeschuss. Die Taliban beschuldigten die Regierungstruppen. | |
Nach den Anschlägen am Dienstag versetzte Präsident Aschraf Ghani in einer | |
TV-Ansprache seine Streitkräfte wieder in vollen Offensivmodus. Sie waren | |
während einer Woche der Reduzierung der Gewalt Ende Februar, die zur | |
Unterzeichnung des US-Taliban-Abkommens führte, in den „aktiven | |
Verteidigungsmodus“ befohlen worden und sollten nur auf Taliban-Angriffe | |
reagieren. | |
Die Taliban bezeichneten Ghanis neuen Befehl als „Kriegserklärung“. Sie | |
hatten aber selbst seit Februar ihre eigenen Operationen wieder verstärkt. | |
Im Moment deutet alles darauf hin, dass Afghanistan in seinen 40-jährigen | |
Teufelskreis aus Krieg, Gewalt und gegenseitigen Schuldzuweisungen | |
zurückfällt. Ansätze für eine Friedenslösung haben darin keine Chance. | |
14 May 2020 | |
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## AUTOREN | |
Thomas Ruttig | |
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