| # taz.de -- Therapeutin über Psyche im Shutdown: „Entlastung ist nur kurzfri… | |
| > Psychisch Erkrankte, Paare, Singles: Der „Lockdown light“ kann sich auf | |
| > Menschen unterschiedlich auswirken. Psychotherapeutin Kristina Schütz | |
| > erklärt. | |
| Bild: Abstand halten, Kontakte reduzieren, gut für die Eindämmung des Virus, … | |
| taz: Frau Schütz, wir befinden uns wegen der Coronapandemie jetzt in einer | |
| zweiten Phase der Kontaktbeschränkungen, dem sogenannten Lockdown light. | |
| Wie erleben die Menschen diese Maßnahmen im Unterschied zu den | |
| Beschränkungen in der ersten Phase? | |
| Kristina Schütz: Die Arbeit mit depressiven Patienten war noch nie so | |
| schwierig wie jetzt. Die klassische antidepressive Therapie beruht ja auf | |
| dem Aufbau von Tagesstruktur, von positiven sozialen Aktivitäten, von | |
| Kontakten. Vieles ist da jetzt nicht möglich. [1][Im ersten Lockdown war | |
| alles noch sehr neu], da beobachteten manche Kolleginnen und Kollegen und | |
| ich eine Zunahme der Angststörungen. Jetzt, in der zweiten Phase, | |
| verstärken sich eher die depressiven Symptome. | |
| Die Kanzlerin Angela Merkel ruft derzeit dazu auf, Kontakte zu beschränken, | |
| also andere Menschen zu meiden. Was hat das für psychologische Folgen, dass | |
| die Zuwendung zu anderen Menschen, die doch eigentlich auch in der Therapie | |
| als heilend gilt, jetzt plötzlich zur Bedrohung wird? | |
| Dass eine Nähe jetzt plötzlich schädlich sein kann, dieses Paradoxon, das | |
| ist ein Riesenproblem. Für junge Erwachsene ist es ein großes Thema, sie | |
| wollen auf keinen Fall Auslöser oder Teil einer Infektionskette sein oder | |
| gar die Eltern anstecken. Das hängt auch davon ab, ob es Risikopatienten, | |
| Menschen mit Vorerkrankungen in der Familie gibt oder ob man einen Fall von | |
| Covid-19 schon live erlebt hat in der Verwandtschaft. Diese Ambivalenz | |
| erleben auch Angehörige mit Verwandten im Pflegeheim, wenn man die Mutter | |
| nur noch draußen besuchen kann oder nur so halb erlaubt und immer das | |
| Risiko einer Ansteckung mitschwingt. | |
| Internationale [2][Metastudien] haben gezeigt, dass jüngere Menschen | |
| offenbar psychisch besonders unter der Pandemie und ihren Folgen leiden. | |
| Das überrascht mich nicht. Ich erlebe das bei meinen jüngeren Patienten. | |
| Bei den Studierenden ist das ganze Leben weg, das Studium ist digital, man | |
| begegnet sich nicht mehr an der Universität, viele Nebenjobs fallen weg. | |
| Man trifft sich sonst in der Uni, am Abend vielleicht in Lokalen, das fällt | |
| alles weg. Jüngere haben ja oft auch noch keine stabile Partnerschaft. | |
| Haben die Menschen durch den ersten Lockdown nicht schon Kompensationen | |
| entwickelt für die Kontaktsperren? Man hört ja, dass die Baumärkte voll | |
| seien, manche Leute haben angefangen, mit Youtube zu Hause Gitarre zu | |
| lernen. | |
| Die Leute haben schon während des ersten Lockdowns Dinge gemacht, die sie | |
| sonst nicht unbedingt getan hätten, zum Beispiel die Wohnung renoviert, | |
| Gerümpel zum Wertstoffhof gefahren. Das Digitale hat sich stark entwickelt, | |
| die Menschen machen Sport über Youtube. Man muss aber sehen, dass eben | |
| nicht alle und insbesondere nicht depressive Menschen leichten Zugang zu | |
| diesen digitalen Angeboten haben. Es ist eben ein großer Unterschied, ob | |
| ich einen festen wöchentlichen Termin mit einer präsenten Leiterin in einem | |
| Sportkurs habe oder nur zu Hause allein vor einem Bildschirm turnen kann. | |
| Es gibt Menschen mit sozialen Phobien, die sagen, der Lockdown sei für sie | |
| eine Erleichterung, weil die anderen Leute jetzt auch nicht mehr so viele | |
| Kontakte pflegten wie sonst und man sich daher nicht mehr so als | |
| Außenseiter fühle. | |
| Beim ersten Lockdown haben Patienten mit Burn-out mal gesagt, sie fühlten | |
| eine Entlastung durch die Beschränkungen. Das ist aber jetzt, wo es länger | |
| dauert und die zeitliche Perspektive ungewiss ist, nicht mehr so. Wenn | |
| Depressive oder Menschen mit sozialen Phobien sich nicht mehr so anders | |
| erleben wie Nachbarn oder Freunde, mag das kurzfristig eine Entlastung | |
| sein. Langfristig aber führt es zu einer Verstärkung des Problems, denn man | |
| arbeitet ja nicht an einer Lösung, sondern vermeidet sie. | |
| Leiden Alleinstehende noch mal besonders unter den Maßnahmen zum | |
| Infektionsschutz? | |
| Alleinstehende sind in besonderem Maße auf strukturierte Begegnungen, wie | |
| zum Beispiel auf den Elterntreff, auf Vereine, auf Sportgruppen angewiesen. | |
| Das fällt jetzt alles weg. Alleinstehende, auch ältere Patienten, sind | |
| davon besonders betroffen. Jetzt, im Winter kann man nach der Arbeit am | |
| Abend auch nicht mal eben den Park aufsuchen um einfach nur andere Menschen | |
| zu sehen, die dort spazieren gehen. Wer andere Leute sehen will, geht dann | |
| wohl eher in den Supermarkt. | |
| Paare, die zu zweit zusammenleben, sind zwar nicht allein, hocken aber auch | |
| eng aufeinander. | |
| Beim ersten Lockdown, als auch die Schulen geschlossen waren und beide | |
| Elternteile die Betreuung übernehmen mussten, bedeutete dies viel | |
| [3][Stress für die Paarbeziehungen]. Wir haben den Paaren damals geraten – | |
| und das gilt auch jetzt noch – die Erwartungen aneinander | |
| herunterzuschrauben, nicht jedes Wort auf die Goldwaage zu legen, | |
| Aggressionen wenn möglich nicht auszuagieren und sich bewusst eine Zeit zu | |
| zweit und eine Zeit für sich zu nehmen und dies auch zu unterscheiden. Es | |
| ist auch ein Mythos, zu glauben, dass ein Paar jetzt eine besondere Nähe | |
| erlebt, viel Zeit intensiv miteinander verbringt und automatisch mehr Sex | |
| hat. Andererseits aber erleben viele Paare im Lockdown eine neue | |
| Wertschätzung der Partnerschaft. | |
| Werden die Kontaktbeschränkungen denn im Grunde akzeptiert von den | |
| Menschen? | |
| Wir nehmen im Kollegenkreis wahr, dass der kontroverse Mediendiskurs bei | |
| den Patienten teilweise eine große Unsicherheit, auch Aggressivität und | |
| Ärger hervorrufen. Diese Zweifel an wissenschaftlichen Erkenntnissen, dass | |
| man alles hinterfragt, macht vielen zusätzlich Angst. | |
| Wie lässt sich denn am besten eine Resilienz, eine Widerstandskraft | |
| angesichts der Beschränkungen entwickeln? | |
| Wir versuchen auf der praktischen Ebene, Möglichkeiten, die da sind, zu | |
| nutzen. Dazu gehört zum Beispiel, kleinere Aktivitäten zu planen, spazieren | |
| zu gehen, gesund zu kochen und zu essen, Musik zu hören, Telefonkontakte zu | |
| verstärken, sich mit Freundinnen oder Freunden zu treffen für einen | |
| Spaziergang auf Abstand, Möglichkeiten im Digitalen zu entdecken. Es kann | |
| hilfreich sein, längere Perspektiven zu entwickeln, sich zu sagen, dass die | |
| Pandemie mal ein Ende haben wird. In der Therapie arbeiten wir daran, wie | |
| ich lerne, Einstellungen zu verändern, nicht in negative Gedankenspiralen | |
| zu geraten. Die Aussicht auf eine Impfung ist für viele Menschen da eine | |
| große Erleichterung. | |
| Tausende von Menschen haben inzwischen schon einen positiven Coronatest | |
| erlebt oder sind sogar schwer an Covid-19 erkrankt. Wie verarbeitet man | |
| das? | |
| Es zeigt sich, dass schwer an Covid-19 Erkrankte danach ein höheres Risiko | |
| haben, Traumasymptome zu entwickeln, weil es ja eine lebensbedrohliche | |
| Erkrankung ist. Schlafstörungen, Wiedererleben, eine tiefe Verunsicherung | |
| gehören zu diesen posttraumatischen Symptomen. Aber es gibt noch keine | |
| langfristige Forschung dazu, es ist alles noch zu frisch. | |
| 26 Nov 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Psychische-Belastung-in-der-Corona-Krise/!5692717 | |
| [2] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7413844/ | |
| [3] /Corona-und-Beziehungen/!5722636 | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Dribbusch | |
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