Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Verkehr und Klimawandel: Kein Happy End in der Tiefgarage
> Kleines Einmaleins: Elektroautos reichen nicht. Wenn die Verkehrspolitik
> nur technologisch weitermacht, dann werden alle Klimaziele verfehlt.
Am Dienstag war wieder Autotag. Der Verband der Automobilindustrie
kommentierte die Zulassungszahlen 2020 in gewohnter Selbstgefälligkeit und
erklärte Deutschland zum „Europameister der E-Mobilität“. Zuvor hatte sch…
das Kraftfahrt-Bundesamt die Kernbotschaft versendet: „Elektromobilität auf
der Überholspur“. Jedes siebte in Deutschland neu zugelassene Auto war ein
Elektrofahrzeug. Sensationell! Die Verkehrswende nimmt also endlich Fahrt
auf. Gibt es doch noch ein Happy End in der Tiefgarage? Dazu passen die
regelmäßig verbreiteten Meldungen von neuen Wunderbatterien und dem ersten
E-Auto mit 1.000 Kilometer Reichweite vom neuen chinesischen Automobil-Star
Nio. Stromert das All-in-one-Reise- und -Rennauto also grün lackiert in
eine nachhaltige Zukunft?
Es ist verständlich, dass in einer großen [1][Krise die Zukunft mit den
Bordmitteln des bisherigen Denksystems] erdacht wird, anstatt die ganze
Denkordnung infrage zu stellen. Und die Mobilitätskrise ist ja
fundamental. Die Stichworte: Erdüberhitzung, Lärm, Abgase, Feinstaub,
Aggression im Straßenverkehr, Dieselskandal, Flächenfressen, unwirtliche
autoverstopfte Städte. Und: Die aktuellen Emissionsmengen engen die
Spielräume immer mehr ein; wir müssen beim Umsteuern höllisch aufs Tempo
drücken.
Schon [2][die Pariser Klimaziele für 2030 sind bei einer Verlängerung] des
bestehenden Trends nicht mehr erreichbar. Ein lineares Rückrechnen von null
Verkehrsemissionen 2050 auf die heutigen 163 Millionen Tonnen (2019) sei
„schwierig“, hatte jüngst BDI-Präsident Dieter Kempf erklärt und
„Lernkurven der Technik“ versprochen. Aber: Geht es überhaupt mit einer
rein technischen Lösung? Sind Tesla und die chinesischen Konzerne, denen
die deutschen Autobauer neidisch hinterherfahren, das Zukunftsmodell? Geht
ein prinzipielles „Weiter so“ und wir schaffen trotzdem die Klimaziele?
Rechnen wir also zurück. Gehen wir einmal von jenen 40 Prozent weniger CO2
bis 2030 aus wie von der Bundesregierung beschlossen. Die EU verlangt sogar
noch anspruchsvollere Ziele. Und jetzt schauen wir in den
Bundesverkehrswegeplan (BVWP)? Was passiert dort? Das Volumen des
automotorisierten Fahrens von Personen und Waren wird überhaupt nicht
hinterfragt. Es soll weiter und immer weiter zunehmen. Extrem ist vor allem
das im BVWP unterstellte Wachstum des Straßengüterverkehrs um 39 Prozent
bis 2030 gegenüber dem Basisjahr 2010. Jährliche Wachstumsrate: 3 Prozent,
weiterer Straßenausbau inklusive.
## Eco-fuels sind keine Alternative
Wie soll der Güterverkehr auf der Straße bei diesem rasanten Wachstum 40
Prozent Klimaemissionen einsparen? Es gibt weder Oberleitungen noch einen
effizienten Batteriebetrieb im Güterfernverkehr. Auch der neuerdings
gehypte Wasserstoff bietet keine ernsthafte Perspektive für einen
Großeinsatz in der Lkw-Flotte bis 2030, zumal bei der Umwandlung des
eingesetzten grünen Stroms enorm viel Energie verloren geht. Noch mehr gilt
dies für synthetische Kraftstoffe, auch wenn sie gern „Eco-fuels“ getauft
werden. Und selbst wenn mit Wasserstoff oder Batterien durch ein kleines
Wunder doch noch vernünftige Lösungen für neu zugelassene Elektro-Lkws
gefunden werden sollten. Die Mehrkilometer würden die Fortschritte einer
sich langsam verändernden Fahrzeugflotte wieder auffressen.
Im Luftverkehr, der jetzt von Corona ausgebremst wurde, geht die Politik
sogar von Steigerungsraten im Passagieraufkommen und Flugkilometern von 5
Prozent aus. Und sie hat bisher nichts getan, um diese Entwicklung zu
stoppen.
[3][Der Auto-Personenverkehr soll ebenfalls weiter zulegen] – um 1 Prozent
in jedem Jahr. Damit stehen alle Wegweiser auf „volle Fahrt voraus“ für den
motorisierten Verkehr. Die Dumpingpreise für Sprit passen perfekt dazu. Der
ist in den vergangenen Jahren in Relation immer billiger geworden, weil er
weniger angestiegen ist als die Fahrkartenpreise für Bus und Bahn. Aktuell
ist er so billig, dass Plug-in-Hybride lieber an die Tankstelle fahren, als
Strom zu laden. Die lächerliche CO2-Abgabe von 25 Euro je Tonne hat den
Kraftstoff zwar um eine homöopathische Dosis von 7 bis 8 Cent verteuert.
Als Abfederung wurde aber prompt die umweltschädliche Pendlerpauschale
erhöht, damit der Autoverkehr bloß nicht leidet.
Eine Verkehrspolitik, die ausschließlich auf den simplen Antriebswechsel
von fossil auf elektrisch setzt, der noch dazu gebremst und ohne Schwung
daherkommt, muss an ihrer Begrenztheit und ihrem ungehemmten
Wachstumsdenken schon im Ansatz scheitern.
## Die Legende von den Hybridfahrzeugen
Wie kontraproduktiv die Verkehrspolitik lenkt, zeigt sich exemplarisch bei
den Plug-in-Hybridfahrzeugen, die sowohl mit fossilen Treibstoffen als auch
elektrisch fahren können. In der Statistik tauchen sie als Elektrofahrzeuge
auf und werden auch entsprechend üppig gefördert. Der reale Fahrbetrieb
entlarvt diese Fahrzeugklasse als klimaschädliche PS-Monster – darunter
auffallend viele SUVs –, die überwiegend fossil unterwegs sind. Bei nicht
wenigen Fahrzeugen liegt das Ladekabel noch originalverpackt und unbenutzt
im Kofferraum. Die jetzt in einer Studie (Ifeu, Öko-Institut, Transport &
Environment) veröffentlichten Daten offenbaren das ganze Verhängnis.
Zwei Drittel der Plug-in-Autos schaffen nicht einmal 50 Kilometer mit ihrem
elektrischen Alibi-Antrieb. Mehr als drei Viertel sind Dienstwagen, die auf
Langstrecken im reinen Verbrennermodus unterwegs sind. Mit einer
martialischen Leistung von durchschnittlich 281 PS und 1.956 Kilogramm
Gewicht verbrauchen diese Fahrzeuge im Schnitt 6,5 bis 8,0 Liter Sprit, in
der Spitze bis zu 11 Liter. Selbst wenn die Autos bei vollem Akku
elektrisch fahren, schaltet sich bei höherer Geschwindigkeit und starker
Beschleunigung der Verbrenner dazu. Die Bilanz der Studie fällt
entsprechend harsch aus: „Für einen mittleren Plug-in-Hybriden im Jahr 2030
ergeben sich real etwa 130 Gramm CO2-Emissionen pro Kilometer, während der
zu erreichende Flottenmittelwert bei ungefähr 60 Gramm liegt.“ Mit anderen
Worten: Der Boom der Plug-in-Hybride, der mehr als die Hälfte der 2020 neu
zugelassenen Elektroautos ausmacht, gefährdet alle Klimaziele. Diese
Fahrzeuge gehören nicht nur zu den PS-stärksten, sondern auch zu den
größten und schwersten Autos, sie fahren mit umweltfreundlichem Image vor,
befeuern aber nur das alte Paradigma des klimaschädlichen Kolosses.
Umweltprämien für übergewichtige und leistungsprotzende Plug-in-Hybride
sind keine Fehlsteuerung, sie sind staatlich subventionierter Irrsinn.
Zurück zur Kempf’schen Rückrechnung. Selbst bei optimistischer Betrachtung
mit unterstellten weiteren technischen Fortschritten und einer Offensive
der Bahn ist offensichtlich, dass die CO2-Einsparung im Verkehr bis 2030
statt der anvisierten und notwendigen 40 oder 50 Prozent maximal einstellig
ausfallen wird. Nach Überwindung der Coronakrise wird der Verkehr, wenn
nicht entschlossen gegengesteuert wird, in Deutschland weiter wachsen mit
einer erneuten Zunahme gefahrener Kilometer von Pkws und Lkws. Beim Lkw
reden wir bis 2030 von 20 Prozent zusätzlichen Tonnenkilometern, beim Pkw
von 10 Prozent Wachstum. Können die neuen Elektroantriebe, selbst wenn sie
entschlossener als bisher durchgesetzt würden, dieses Wachstum
ausgleichen? Können sie es darüber hinaus nicht nur ausgleichen, sondern
den dringend notwendigen steilen Rückgang der Emissionskurve garantieren?
Jeder ehrliche Beobachter kennt die Antwort: Nein!
Elektroautos sind zwar in der Regel CO2-effizienter als fossil getriebene
Gefährte. Aber ein großer Teil ihrer Energie kommt auch in den nächsten
Jahren noch aus fossilen Quellen. Der grüne Strom von Wind und Sonne ist
zudem knapp; er wird auch für andere Sektoren dringend gebraucht. Und auch
in der gesamten Herstellungskette von Elektroautos und ihren Batterien
fallen Klimaemissionen an. Die Menschenrechtsverletzungen beim Abbau von
Kobalt und Lithium werden, wie immer wieder Beispiele zeigen, oft genug
hingenommen. Viele E-Modelle, wie etwa der zweieinhalb Tonnen schwere
Tesla, bringen sogar noch mehr Gewicht auf die Straße als ihre ebenfalls
immer massiger werdenden fossilen Brüder. Auch für Elektroautos gelten
Naturgesetze: Je schwerer sie sind, desto mehr Energie ist notwendig, um
sie zu bewegen.
Kalkulieren wir erneut sehr optimistisch und gehen für 2030 von 10
Millionen Elektroautos auf deutschen Straßen aus und unterstellen wir
weiter, dass sie 50 Prozent CO2 gegenüber fossilgetriebenen Autos
einsparen. Dann würden wir bei einer Flotte mit nun 20 Prozent Elektroautos
pro Autokilometer 10 Prozent Klimagase einsparen. Jeder zusätzlich
gefahrene Kilometer lässt die Einsparungen aber wieder abschmelzen. Bei 10
Prozent mehr Autokilometern sind wir wieder bei 0 Einsparungen angekommen!
Damit ist klar: Das bestehende Verkehrsparadigma mit seinem permanenten
Wachstum und dem entfernungsintensiven Verhalten der Menschen muss radikal
umgedacht werden. Wir müssen wirklich an die Fahrleistungen ran. Die
Energie und die Resilienz des Planeten reichen nicht aus für ein maßloses,
weiter zunehmendes Herumfahren von Personen und Waren, selbst wenn wir bis
2050 vollständig auf elektrisch umstellen. Das heißt auch: Straßenbau wie
bisher, der der Steigerungslogik immer neuen Raum gibt, hat keine Zukunft
mehr.
Umweltgruppen und Grüne haben vor Jahren mit ihrer Forderung nach einem
ökologisch ehrlichen Spritpreis von 5 Mark je Liter für Empörungsstürme
gesorgt. Aktuell kalkuliert eine Studie des österreichischen Automobilclubs
ÖAMTC mit 4 Euro pro Liter fossilem Kraftstoff, wenn wirklich ein Umdenken
einsetzen soll. Weniger Autos, weniger Lastwagen, weniger gefahrene
Kilometer – das wären die Zutaten einer echten Mobilitätswende. Die Zahl
der Kilometer, die wir zurücklegen, ist weder ein Wohlstandsmaß, noch kann
sie dauerhaft ein Indikator für Wirtschaftswachstum sein.
Fazit: Mit Technik allein sind Klimaziele und Mobilitätswende nicht zu
schaffen. Technik, Verhalten, Preise, Vorfahrtsregeln, Stadtplanung –
vieles muss sich ändern. Auch unsere Vorstellung vom guten Leben. Es ist
von vielem abhängig, wie wir gerade in der Pandemie erfahren, aber gewiss
nicht vom Ausmaß der zurückgelegten Kilometer.
31 Jan 2021
## LINKS
[1] /Autoexperte-ueber-Ende-der-Verbrenner/!5745341
[2] /5-Jahre-Pariser-Klimaschutzabkommen/!5734348
[3] /Studie-zur-geplanten-Kuestenautobahn-A20/!5738984
## AUTOREN
Manfred Kriener
Helmut Holzapfel
## TAGS
Schwerpunkt Klimawandel
Verkehrspolitik
Automobilindustrie
Verkehrswende
Weltklimaabkommen
Energiewende
Tesla
Automobilbranche
Verkehr
Selbstfahrendes Auto
Schwerpunkt Klimawandel
Elektromobilität
US-Wahl 2024
Pariser Abkommen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Förderung von Plug-In-Hybriden: Ladekabel verstaubt im Kofferraum
Dank üppiger Subventionen boomen E-Autos. Allerdings werden auch die
zweifelhaften Plug-In-Hybride gefördert – das muss aufhören.
Tesla-Fabrik in Brandenburg: Kritik an fehlenden Genehmigungen
Der US-Konzern kritisiert das Genehmigungsverfahren rund um das Werk in
Deutschland. Das Unternehmen baut bislang mit einer vorläufigen Erlaubnis.
Prächtige Gewinne der Autobauer: Alles in den Umbau stecken
Die Automobilbranche boomt trotz Corona. Die Autobauer sollten die Gewinne
in den Umbau zur E-Mobilität investieren, statt die Aktionäre auszuzahlen.
Verkehrspolitik und autonomes Fahren: Klarer Weg, unklares Ziel
Weniger Autos und weniger Unfälle – beides wäre mit dem autonomen Fahren
möglich. Doch die Politik sträubt sich, Verkehr neu zu denken.
Autonomes Fahren: Vision, aber keine Utopie
Der Bundestag will bis zum Sommer ein Gesetz zum autonomen Fahren
verabschieden. Busse dürfen künftig ohne Fahrer:innen unterwegs sein.
Erneuerbare Energien im Verkehr: Sprit aus Raps soll Klima retten
Die Bundesregierung will mehr erneuerbaren Energien im Verkehr.
Kritiker:innen werfen ihr vor, den Ausstieg aus dem Verbrennermotor zu
verzögern.
Autoexperte über Ende der Verbrenner: „Wir sehen eine enorme Dynamik“
Das E-Auto wird sich aus ökonomischen Gründen schneller durchsetzen, als
viele denken. Das sagt der Gewerkschafter und Autoexperte Hans Lawitzke.
US-Präsident Biden startet durch: Wieder dabei in Paris
Joe Biden leitet direkt nach seiner Inauguration einen Wiedereintritt in
das Pariser Klimaabkommen ein. Auch der Mauerbau an der Grenze zu Mexiko
wird gestoppt.
5 Jahre Pariser Klimaschutzabkommen: Papiertiger mit Biss
Ob das Pariser Abkommen Erfolg hat, entscheiden die nächsten Jahre. Klar
wird: Klimaschutz braucht Demokratie.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.