# taz.de -- Künstlerin und Aktivistin über die USA: „Es steht viel auf dem … | |
> Die Künstlerin Marisa J. Futernick hat über Presidential Libraries | |
> gearbeitet. Ein Gespräch über Trumps Vermächtnis und das Regierungssystem | |
> der USA. | |
Bild: „Roosevelts Little White House“, Warm Springs, Georgia | |
taz am wochenende: Frau Futernick, am Ende von Trumps Amtszeit scheint es | |
unwahrscheinlich, dass er eine Presidential Library stiftet, oder? | |
Marisa J. Futernick: Ob Trump will oder nicht, die Verfassung verpflichtet | |
ihn, alle Dokumente seiner Amtszeit zur Verfügung zu stellen, nachdem er | |
abtritt. Durch die Watergate-Affäre wurde das obligatorisch. Damals | |
versuchte Richard Nixon, ihn belastende Telefonate zu löschen. Vielleicht | |
verschleiert Trump ebenfalls illegale Aktivitäten, wittert aber die Chance, | |
einen Schrein zu errichten, der dem Mythos seiner Person Vorschub leistet. | |
So wie der Souvenirshop im New Yorker Trump-Tower könnte das aussehen. | |
Sie haben über die Präsidenten-Bibliotheken fotografisch gearbeitet. Was | |
symbolisieren Presidential Libraries allgemein? | |
Die Idee geht auf F.D. Roosevelt zurück. Ihm schwebte ein Ort vor, an dem | |
Regierungsdokumente für die Nachwelt einsehbar gelagert sein würden. Er | |
baute ein Haus in seiner Heimatstadt Hyde Park/New York. Zur Finanzierung | |
sammelte er Spenden, übertrug das Bauvorhaben aber dem Nationalarchiv, was | |
der Bundesregierung untersteht. So funktioniert es bis heute. Presidential | |
Libraries sind eine Mischung aus Archiv und Museum. Scheidende Präsidenten | |
entscheiden selbst, wo sie ihre Bibliotheken errichten, normalerweise | |
geschieht dies am Heimatort. Deshalb sind Presidential Libraries verstreut | |
übers ganze Land. In den Museen ist oft das Geburtshaus der Präsidenten zu | |
sehen. Bis jetzt gibt es 13 solcher Libraries, angefangen bei Herbert | |
Hoover, bis zu George W. Bush. Obamas Bibliothek soll in Chicago entstehen. | |
Kommen dunkle Kapitel der Geschichte in den Ausstellungen vor? | |
Manche KritikerInnen sehen in den Bauwerken lediglich Mausoleen, der Reiz | |
der Ausstellungen liegt gerade in der subjektiven Vermittlung von | |
Geschichte. Negativbeispiel ist die Schau der Nixon-Bibliothek an der | |
Westküste. Lange hat sie die Watergate-Affäre verharmlost. Erst ein neuer | |
Archivdirektor räumte den Verwerfungen Platz ein. | |
Die US-Innenpolitik beruht auf dem Zweiparteiensystem. Hat die destruktive | |
Amtsführung von Trump dieses Kräfteverhältnis erschüttert? Mit Hilfe | |
republikanischer PolitikerInnen ist er an die Macht gelangt, die ihn bis | |
zuletzt unterstützt haben. | |
Als US-Bürgerin habe ich sehr wohl mahnende Stimmen vernommen, die besagt | |
haben, Demokratie sei nicht selbstverständlich. Kürzlich las ich das Buch | |
“Über Tyrannei“ des [1][Historikers Timothy Snyder]. Darin stellt er 20 | |
Thesen auf, wie es um unser Land bestellt ist. | |
Lektion 17 besagt, “Achten Sie auf gefährliche Wörter“, so definiert Snyd… | |
Begriffe, die von Extremisten benutzt werden, auch von Trump. | |
Speziell Lektion 17 bekommt durch den Sturm aufs Kapitol gespenstische | |
Aktualität. In Lektion 6 warnt Snyder vor paramilitärischen Gruppen. Er | |
gibt uns zu verstehen, dass Sprache Macht ausdrückt. | |
Ein US-Präsident ist mit Machtfülle ausgestattet. Um seine Alleinherrschaft | |
zu verhinden, existiert das System der Checks & Balances. Ist es noch eine | |
geeignete Kontrollinstanz? | |
Wie Snyder geschrieben hat, sollten wir uns nicht blind auf [2][diese | |
Instrumente] verlassen. Außerdem gibt es in den USA große regionale | |
Unterschiede. Daher liegt in Checks & Balances eine Logik der Vermischung | |
von föderaler und einzelstaatlicher Regierungsführung. Das bedeutet auch, | |
grundlegende Rechte des föderalen Systems gelten nicht überall. So | |
geschehen bei den Jim-Crow-Gesetzen, die nach Ende des Bürgerkriegs 1865 in | |
den Südstaaten de facto die Segregation aufrechterhielten, obwohl Sklaverei | |
offiziell abgeschafft war. | |
2020 war ein Krisenjahr, genannt seien die Corona-Pandemie und der brutale | |
Tod von George Floyd in Polizei-Gewahrsam sowie die nachfolgenden Unruhen. | |
Wie haben Sie 2020 erlebt? | |
Als [3][schwieriges Jahr]. Schon vorher war ich politisch aktiv, das Chaos | |
hat mich dazu gebracht, nicht nachzulassen. Zusammen mit den | |
Künstlerkolleginnen Rebecca Sittler und Deborah Aschheim habe ich die | |
Ausstellung „Almost Presidential“ organisiert, die sich um politisches | |
Versagen dreht. Meine Arbeit „Concession“ widmet sich unterlegenen | |
PräsidentschaftsbewerberInnen. Concession bezeichnet den Umstand, wenn ein | |
gescheiterter Kandidat die Niederlage einräumt. Wie bekannt, hat Trump | |
seine Wahlniederlage bisher nicht eingestanden. | |
Eine friedliche Amtsübergabe ist politische Norm. Unterlegene üben enormen | |
Einfluss auf die Gesellschaft aus und auf das politische System als Ganzes. | |
Positives Beispiel ist Stacey Abrams, die bei der Gouverneurswahl 2018 in | |
Georgia verloren hatte, aber inzwischen als Wahlrechts-Aktivistin zu | |
Einfluss gekommen ist. Ich bin übrigens Mitglied von Artists 4 Democracy: | |
Vor der Präsidentschaftswahl und der Nachwahl in Georgia haben wir | |
Überzeugungsarbeit an der Basis geleistet, um Menschen dazu zu bringen, an | |
den Urnen ihre Stimmen abzugeben. Dieses Engagement hat mir Zuversicht | |
gegeben, um die großen Herausforderungen zu meistern, die nach Trump auf | |
uns zukommen. | |
Dass die USA vom Sklavenhandel profitiert haben, ist historisch verbrieft. | |
Wie geht das Land mit dem Erbe um? | |
Die USA fußen auf Rassismus und sind bis heute rassistisch. Ich musste | |
zuletzt oft an den Demokraten George Wallace (1919-1998) denken, | |
Exgouverneur von Alabama, der als notorischer Rassist galt. Er versuchte | |
vergeblich, US-Präsident zu werden. Wallace berief sich auf die Segregation | |
als tragfähiges Gesellschaftsmodell und zudem auf Law & Order. Seine | |
Slogans finden in Trump ihr Echo. | |
Faszinierend ist, dass 1972, als Wallace gegen Nixon kandidieren wollte, | |
auch Shirley Chisholm als erste schwarze Frau in den Kongress gewählt | |
wurde. Und sie versuchte ebenfalls, Präsidentschaftskandidatin zu werden. | |
Während des Wahlkampfs wurde auf Wallace ein Attentat verübt, was ihn | |
querschnittsgelähmt zurückließ. Chisholm besuchte ihn im Krankenhaus. Das | |
löste ein großes Medienecho aus und bescherte ihr Kritik. Sie äußerte, in | |
einer Demokratie sei es wichtig, für politische Gegner:Innen Respekt | |
aufzubringen. Alles andere würde nur ein Klima erzeugen, in dem Attentate | |
auf Worte folgen. | |
Freie Meinungsäußerung ist ein Grundrecht, das die Verfassung den | |
BürgerInnen zubilligt. Nun, wo Social-Media-Konzerne Konten von Trump | |
gesperrt haben, mit denen er Hetze verbreitete und Spenden sammelte, ist | |
darüber eine erregte Diskussion entstanden. | |
KünstlerInnen tendieren dazu, freie Meinungsäußerung zu verteidigen, und | |
reizen diese Freiheit bis an ihre Grenzen aus. Wir sind uns aber auch | |
bewusst, wie der erste Verfassungzusatz immer wieder für fragwürdie Ziele | |
hochgehalten wird. Als positives Beispiel fällt mir mein Künstlerkollege | |
Dread Scott ein und dessen transgressiver Einsatz der US-Flagge in seinen | |
Arbeiten. Konservative versuchten das zu verhindern. Der Fall ging bis vors | |
Oberste Gericht, was durchsetzte, selbst das Verbrennen der US-Flagge ist | |
mit der Verfassung vereinbar. Sie können sich also vorstellen, wie Trump | |
und seine Kohorte auf Scotts Kunstwerke reagieren würden, und gleichzeitig | |
das Recht der freien Meinungsäußerung für eigene Hetze bemühen. | |
Am 20. Januar findet die Inauguration von Joe Biden statt. Dieser Tag | |
läutet feierlich seine Amtszeit ein, was gibt Ihnen Anlass zu Optimismus, | |
dass die Regierung Biden und ihr Reformprogramm Chancen bekommen? | |
Die Tatsache, dass die Demokratische Partei nicht nur das Weiße Haus, | |
sondern beide Parlamentskammern kontrolliert, bedeutet, dass die neue | |
Regierung gute Chancen hat, ihre Vorhaben umsetzen zu können. Mir macht | |
zudem Hoffnung, wie viele Bürger:Innen zuletzt am Wahlprozess aktiv | |
teilgenommen haben. Ich hoffe auch, dass die Mehrheit begriffen hat, was | |
bei jeder neuen Wahl auf dem Spiel steht, nicht nur bei Präsidentschafts-, | |
sondern auch bei Kommunalwahlen. | |
17 Jan 2021 | |
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## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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