| # taz.de -- US-Wahlkampf mit Ausschreitungen: Zwietracht schüren | |
| > Präsident Donald Trump heizt die Konflikte in den USA immer weiter an. | |
| > Herausforderer Joe Biden versucht wiederum, auf die Republikaner | |
| > zuzugehen. | |
| Bild: Genug Diskussionsstoff: Donald Trump-Fan und eine Black Lives Matter-Demo… | |
| Zwei Monate vor der Präsidentschaftswahl ist die Lage in den USA zunehmend | |
| angespannt. Die Kleinstadt Kenosha in Wisconsin im Mittleren Westen wurde | |
| zum Schauplatz heftiger Proteste: Sie begannen, nachdem der Afroamerikaner | |
| Jacob Blake am 23. August bei dem Versuch seiner Festnahme von einem | |
| Polizisten mit sieben Schüssen in den Rücken niedergestreckt wurde. | |
| Während Ausschreitungen wurden zwei Tage später zwei Demonstranten von | |
| Gewehrkugeln getötet und einer am Arm verletzt. Als mutmaßlicher Schütze | |
| gilt ein 17-jähriger Trump-Unterstützer, der mit anderen bewaffneten | |
| Milizionären durch die Straßen patrouillierte. Für seine Selbstjustiz | |
| machte er nach der Festnahme geltend, er habe Geschäfte vor Plünderung | |
| schützen wollen. | |
| Wie unversöhnlich sich die verfeindeten Lager gegenüberstehen, ist nicht | |
| nur in Kenosha zu beobachten. Letzten Samstag cruiste zum wiederholten Mal | |
| ein Autocorso mit Trump-Unterstützern durch Portland, eine Großstadt an der | |
| US-Westküste. Die Insassen beschimpften von ihren Pick-up-Trucks herunter | |
| Passanten, feuerten mit Paintball-Gewehren auf Gegendemonstranten und | |
| versprühten Pfefferspray. In derselben Nacht wurde einer der Rechten | |
| erschossen. Der Tat verdächtig ist ein Mann, der mit der linken Szene in | |
| Verbindung steht. [1][Bei seiner Festnahme wurde er von der Polizei | |
| erschossen]. | |
| Am Dienstag hat Trumps Herausforderer, der demokratische Politiker Joe | |
| Biden, in einer TV-Ansprache „Ausschreitungen und Plünderungen“ aufs | |
| Schärfste verurteilt. Gleichzeitig kritisierte er „überzogene | |
| Polizeieinsätze mit Waffengewalt“ und Selbstjustiz von „rechten Milizen“. | |
| Zur selben Zeit sprach der Präsident bei einer Pressekonferenz davon, der | |
| 17-jährige Schütze von Kenosha habe „in Notwehr“ gehandelt. Und er dankte | |
| seinem Fußvolk in Portland mit den Worten: „Farbpatronen sind keine | |
| Gewehrkugeln.“ | |
| Am Mittwoch kreuzte Trump trotz Bitten von Einwohnern und des | |
| Bürgermeisters, davon Abstand zu nehmen, selbst in Kenosha auf und schürte | |
| weiter Zwietracht. Für das Schwarze Polizeiopfer Jacob Blake hatte er keine | |
| Silbe übrig. Stattdessen ließ er sich darüber aus, dass die linken | |
| Demonstranten bei ihren Protesten in Kenosha Amok gelaufen seien, und | |
| behauptete, ein Mob habe versucht, in das Wohnhaus des Bürgermeisters | |
| einzudringen, was nicht den Tatsachen entspricht. Ganz anders Bidens Besuch | |
| in Kenosha am Donnerstag, der ohne markige Sprüche blieb. Der Demokrat traf | |
| sich mit der Familie Blake und hörte aufmerksam zu, was sie zu sagen | |
| hatten. | |
| ## Sachlich bleiben | |
| Biden versucht, in der Spirale aus Gewalt und Desinformation sachlich zu | |
| bleiben. Sie hat den Fokus im Wahlkampf verschoben, weg von Trumps | |
| Missmanagement der Coronapandemie, den Auswüchsen der schweren | |
| Wirtschaftskrise und dem institutionalisierten Rassismus in den Reihen der | |
| Polizei. Trump setzt voll auf Polarisierung. Angesichts dessen sorgen sich | |
| manche Amerikaner:Innen sogar, dass der Ausgang der Präsidentschaftswahl | |
| die Gewalt nicht beenden wird. Der New Yorker Filmemacher Spike Lee etwa | |
| sprach angesichts der Bilder aus Kenosha bei einem [2][Interview mit dem | |
| TV-Sender CNN] davon, dass das Land auf „einen Bürgerkrieg zusteuert“. | |
| Dabei sind diese jüngsten blutigen Ereignisse weder die ersten noch die | |
| schlimmsten Auswüchse politisch motivierter Gewalt. Es hat sie während | |
| vergangener Wahljahre mehrmals gegeben. Wenige Monate vor der | |
| Präsidentschaftswahl im Jahr 1920 wurde ein anarchistisches Bombenattentat | |
| auf die Wall Street verübt, dem mehr als 30 Menschen zum Opfer fielen. | |
| Im Jahr 1968 überschatteten tödliche Attentate auf den Bürgerrechtsführer | |
| Martin Luther King jr. und den demokratischen Präsidentschaftsbewerber | |
| Robert F. Kennedy die heiße Phase des Wahlkampfs. In jenen Jahren führte | |
| die Verdrossenheit mit den gesellschaftlichen Missständen jeweils dazu, | |
| dass die Wahlberechtigten der politischen Opposition mit ihren Stimmen zum | |
| Sieg verhalfen und der Machtwechsel letztlich friedlich vollzogen wurde. | |
| Allerdings hatten die beiden amtierenden Präsidenten weder Gewaltakte ihrer | |
| Unterstützer heruntergespielt, noch ihren Gegnern Vergeltung für Proteste | |
| angedroht. Schon gar nicht ließen sie durchblicken, dass sie ihr Amt | |
| behalten werden, auch im Falle ihrer Niederlage. All das hat Trump | |
| verkündet. Deshalb sind die Befürchtungen von Spike Lee nicht völlig aus | |
| der Luft gegriffen. „Sollte Trump die Wahl verlieren, könnte es zu | |
| Betrügereien kommen, vor allem, wenn es ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Biden | |
| gibt“, glaubt der Filmemacher. | |
| Biden hat in seinem Wahlkampf immer betont, dass er das tief gespaltene | |
| Land einen will. Ersichtlich schon an der Nominierung von Kamala Harris zur | |
| möglichen Vizepräsidentin, die der gesellschaftlichen Diversität der USA in | |
| Sachen Hautfarbe und Gender entspricht. Zudem gelobte Biden in seinem | |
| Wahlprogramm, er werde die Blockadepolitik beenden. | |
| Dass er es damit ernst meint, unterstrich Biden bei dem Parteikonvent der | |
| Demokraten, als er Gastredner:Innen der Republikaner an prominenter Stelle | |
| das Pult überließ. Sein stabiler Vorsprung vor dem Konkurrenten in jüngsten | |
| Umfragen deutet darauf hin, dass sich eine Mehrheit in den USA sowohl nach | |
| politischer Stabilität sehnt als auch nach einer Aussöhnung, die nach den | |
| zahlreichen Fällen von rassistisch motivierter Polizeigewalt dringend nötig | |
| scheint. | |
| Während Biden seine Initiativen, die Innenpolitik zu deeskalieren, in | |
| sachlichem Ton vorträgt, lässt die Gegenseite keine Gelegenheit aus, um die | |
| Säbel mit Law-&-Order-Rhetorik rasseln zu lassen. Trumps Wahlkampagne ist | |
| eine einzige Zuspitzungsorgie: Die theatralische, an weiße WählerInnen | |
| gerichtete Warnung, demokratische Desegregierungspolitik würde zur | |
| Abschaffung von Suburbia führen, ist ein durchsichtiges Manöver. | |
| ## Weit links des Mainstreams | |
| Weit unappetitlicher wirkt eine Untersuchung des Thinktanks [3][Media | |
| Matters for America], aus der ersichtlich wird, dass 20 KandidatInnen der | |
| Republikanischen Partei für das Repräsentantenhaus Verschwörungstheorien | |
| der Sekte QAnon anhängen. Mindestens einer von ihnen, Marjorie Taylor | |
| Greene aus Georgia, werden gute Chancen auf einen Sitz eingeräumt. Bis | |
| jetzt hat sich kein Parteigrande von [4][den antisemitischen | |
| Verschwörungstheorien] der QAnon-Nahestehenden distanziert. Im Gegenteil, | |
| Trump hat deren Twittermeldungen weiterverbreitet und Greene als | |
| „zukünftiges Aushängeschild der Partei“ bezeichnet. | |
| Die Demokraten sind nicht von rechtsradikalen Spinnern infiltriert, bei | |
| ihnen gibt es Kräfte, die weit links des politischen Mainstreams agieren. | |
| Den Sommer über wurden bei den Vorwahlen zwei gemäßigte Kandidaten von | |
| Mitgliedern der Plattform DSA (Demokratische Sozialisten Amerikas) besiegt. | |
| In beiden Fällen geschah dies in Wahlbezirken, in denen die Gemäßigten als | |
| sichere Bank für die kommende Abstimmung galten. Die Anzahl der | |
| DSA-Mitglieder innerhalb der demokratischen Fraktion im Repräsentantenhaus | |
| bleibt überschaubar, trotzdem ist ihr Einfluss gewachsen. | |
| Falls Biden am 3. November gewinnt, wird der innerparteiliche Druck auf ihn | |
| zunehmen, damit er nicht mehr auf die Opposition zugehen kann. Es gibt | |
| Bestrebungen von Demokrat:Innen, die Geschäftsordnung im Senat so zu | |
| ändern, dass Abstimmungen ohne Fraktionszwang nicht mehr möglich sind. | |
| Momentan können Senatsabstimmungen – dieser Parlamentskammer gehören 100 | |
| Mitglieder an – durch die Minderheit von 41 Stimmen mit dem Filibuster, der | |
| Endlosrede, blockiert werden. Biden ist ein großer Freund der | |
| überparteilichen Governance, ihm widerstrebt daher eine Abschaffung des | |
| Filibusters. | |
| ## Ist Biden nostalgisch? | |
| Dagegen glauben viele seiner Parteifreunde, die Republikaner hegten gar | |
| kein Interesse an konstruktiver Parlamentsarbeit, ihnen sei daher nicht zu | |
| trauen. Bidens Festhalten an der ehernen Tradition basiere auf einem | |
| nostalgischen Verständnis für politische Umgangsformen, die es im | |
| polarisierten Washington der Gegenwart längst nicht mehr gibt. Dennoch, | |
| Biden wurde auch deshalb zum Präsidentschaftskandidaten der Demokraten | |
| gekürt, weil er sich für ein Festhalten an der Überparteilichkeit stark | |
| macht. | |
| Auch bei einem Wahlsieg von Biden gibt es keine Garantie, dass alleine | |
| durch seine Autorität im Amt wieder politische Ordnung in der | |
| US-Bundeshauptstadt einkehrt, ganz zu schweigen davon, dass die | |
| gesellschaftlichen Konflikte befriedet oder gar gelöst werden. Wenigstens | |
| hätte Biden dann den offiziellen Auftrag der WählerInnen, dies anzugehen. | |
| Aus dem Englischen von Julian Weber | |
| 5 Sep 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.theguardian.com/us-news/2020/sep/04/man-linked-to-death-of-far-… | |
| [2] https://www.mediaite.com/tv/are-we-headed-for-civil-war-anguished-spike-lee… | |
| [3] https://www.mediamatters.org/qanon-conspiracy-theory/here-are-qanon-support… | |
| [4] https://www.nytimes.com/article/what-is-qanon.html | |
| ## AUTOREN | |
| Bill Scher | |
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