| # taz.de -- Bildung und Pandemie: Illusion Präsenzunterricht | |
| > Die Schulen werden mehr digital unterrichten, als ihnen lieb ist. Auch | |
| > wenn das vielerorts nicht gut klappt: Bund und Länder bessern endlich | |
| > nach. | |
| Bild: Bis Ende Januar bleiben – trotz aller Unterschiede in den Ländern – … | |
| Für die Schulen beginnt das neue Jahr: im Chaos. [1][Dafür reicht ein Blick | |
| auf die Regeln], die nach den Weihnachtsferien in Deutschland gelten. | |
| Kinder müssen weiter zu Hause lernen, zu Klassenarbeiten aber in die Schule | |
| kommen. Je nach Wohnort gibt es eine Notbetreuung für alle – oder nur für | |
| Eltern mit bestimmten Berufen. Manche Länder verschieben die | |
| Halbjahreszeugnisse – andere die Faschingsferien. Baden-Württemberg und | |
| Niedersachsen öffnen die Grundschulen schon kommende Woche. Woanders hält | |
| man das für verfrüht. In Hamburg und Bremen entscheiden die Eltern, ob die | |
| Kinder in die Schule dürfen. Und in Sachsen und Thüringen versprechen | |
| Landespolitiker:innen Regelunterricht im Februar, obwohl die aktuellen | |
| Infektionszahlen das kaum hergeben. | |
| Die Kultusminister:innen fahren auf Sicht. Sie wägen ab zwischen | |
| Gesundheitsschutz, der Chancengerechtigkeit, der Vereinbarkeit von Beruf | |
| und Familie. Bis Ende Januar bleiben deshalb – trotz aller Unterschiede | |
| zwischen den Ländern – die meisten Schulen im Land zu. Das ist gut so. | |
| Damit gestehen die Kultusminister:innen auch stillschweigend ein, was sie | |
| bis vor Weihnachten noch rundheraus bestritten haben: dass Schulen sehr | |
| wohl eine Rolle für das Infektionsgeschehen spielen können. [2][Das | |
| bedeutet aber auch: Geschlossene Schulen und Distanzunterricht könnten uns | |
| 2021 noch lange, lange begleiten]. Nicht zuletzt wegen der besonders | |
| ansteckenden Virusmutation B.1.1.7, die schon in mehreren Bundesländern | |
| entdeckt wurde. Die baldige Rückkehr zum Präsenzunterricht, auf die die | |
| Kultusminister:innen wie selbstverständlich bauen, könnte sich als Illusion | |
| herausstellen. Umso ärgerlicher sind die Versäumnisse, die den | |
| Fernunterricht heute erschweren. | |
| Zur Erinnerung: Vor fünf Jahren haben die Kultusminister:innen | |
| versprochen, dass im Jahr 2021 jede und jeder Schüler:in im Land auf eine | |
| „digitale Lernumgebung“ zurückgreifen kann – mit eigenem Smartphone, | |
| Breitband an allen Schulen und entsprechend fortgebildeten Lehrkräften. Wie | |
| weit die Schulen von diesem Versprechen entfernt sind, zeigt [3][eine | |
| Umfrage der Lehrergewerkschaft VBE] unter 785 Schulleiter:innen von Ende | |
| November: Nur an 6 Prozent der Schulen gibt es demnach Tablets für alle | |
| Kinder, lediglich an 15 Prozent ist das Kollegium hinreichend für digitales | |
| Arbeiten fortgebildet. Anschluss ans Breitband? Hat nur jede zweite Schule. | |
| Und das volle acht Monate nach den schmerzlichen Homeschooling-Erfahrungen | |
| im ersten Lockdown. Wie kann das sein? | |
| Am Geld jedenfalls liegt es nicht. Seit Mai 2019 stehen die 5 Milliarden | |
| Euro des Bundes für den Digitalpakt Schule zur Verfügung. Doch selbst | |
| während der Pandemie schien es damit niemandem sonderlich eilig zu sein. | |
| Bis Juli 2020 haben die Länder gerade mal 15,7 Millionen Euro abgerufen. | |
| Seither hat der Bund noch drei Sofortprogramme über je 500 Millionen Euro | |
| draufgepackt: zunächst für Leihgeräte für bedürftige Schüler:innen, spät… | |
| noch eins für IT-Personal an Schulen sowie für Dienstlaptops für | |
| Lehrer:innen. Und: Bund und Länder haben das Antragsverfahren für | |
| Digitalpakt-Gelder vereinfacht. Seither kommt etwas Tempo in die Sache. | |
| Trotzdem waren Ende 2020 gerade mal 18 Prozent der Mittel bewilligt. Im | |
| Saarland oder in Schleswig-Holstein sogar nur rund 3 Prozent. Schnelles | |
| Nachrüsten in der Pandemie sieht anders aus. | |
| ## Keine virtuellen Unterrichtsstunden | |
| Nichts symbolisiert die Halbherzigkeit besser als die staatlichen | |
| Lernplattformen. Eigentlich sollen Mebis, LernSax oder Lernraum Berlin aus | |
| dem „häuslichen Lernen“ mehr machen als einen Stapel ausgedruckter | |
| Arbeitsblätter. Leider schmieren Mebis & Co zuverlässig ab, wenn sich zu | |
| viele Klassen gleichzeitig einloggen wollen. Im März hatten die Eltern für | |
| die technischen Pannen noch Verständnis. Heute sieht es so aus, als hätten | |
| die Ministerien ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Doch selbst wenn die | |
| Lernplattformen optimal liefen: Virtuelle Unterrichtsstunden ermöglichen | |
| sie nicht. Dafür braucht es Videotools wie Zoom oder Microsoft Teams, denen | |
| die Kultusministerien aber zurückhaltend begegnen – aus Datenschutz- und | |
| vielleicht auch aus Kostengründen. | |
| Zur Wahrheit gehört, dass nicht alle Lehrkräfte Liveunterricht vor dem PC | |
| geben möchten (oder für notwendig halten). Sie würden es aber vielleicht | |
| ausprobieren, wenn sie ein entsprechend ausgestattetes Dienstgerät hätten, | |
| sich nicht um Datenschutzfragen scheren müssten und mit dem technischen | |
| Support an der Schule zufrieden wären. Zumindest zeigt eine Umfrage der | |
| Bildungsgewerkschaft GEW, dass die große Mehrheit der befragten Lehrkräfte | |
| beim Thema digitaler Unterricht unzufrieden ist. Und auch mit den | |
| Fortbildungsangeboten. | |
| Doch es tut sich was. In Niedersachsen beispielsweise wurden seit dem | |
| ersten Lockdown 53.550 Lehrkräfte digital fortgebildet, fast 80 Prozent der | |
| gesamten Lehrerschaft. Ähnlich imposant klingt die Zahl der Laptops, die | |
| die Ministerien mittlerweile gekauft und bereits an Schulen verteilt haben: | |
| 23.412 Stück in Schleswig-Holstein, 38.813 in Sachsen, 41.610 in Berlin | |
| etc. Viele Länder packen noch Tausende Geräte obendrauf, um möglichst | |
| vielen Schüler:innen ein Gerät leihen zu können. Wenn nun ebenso rasch | |
| Schuladministratoren angeheuert und Dienstlaptops für Lehrkräfte verteilt | |
| würden, dürfte der Fernunterricht im zweiten Schulhalbjahr schon gleich | |
| etwas besser und gerechter laufen. Und digitaler. | |
| Das löst freilich nicht alle Probleme, die bei längerem Fernunterricht | |
| auftreten. Aber immerhin bessern die Länder nun beherzter nach. Passend | |
| dazu liegt der diesjährige Schwerpunkt in der Kultusministerkonferenz bei: | |
| digitalem Lernen. Wobei das nichts am obersten Ziel der Minister:innen | |
| ändert: der schnellstmöglichen Rückkehr zum Präsenzunterricht. Wann und | |
| wie jedoch welche Schulen wieder öffnen, entscheidet jedes Bundesland | |
| selbst. Für die Schulen dürfte das Jahr 2021 so chaotisch weitergehen, wie | |
| es angefangen hat. | |
| 11 Jan 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Lockdown-Verschaerfung-in-Berlin/!5742773 | |
| [2] /Gewerkschafterin-ueber-Bildungschancen/!5738093 | |
| [3] /Lockdown-fuer-Schulen-bleibt/!5741263 | |
| ## AUTOREN | |
| Ralf Pauli | |
| ## TAGS | |
| Bildungssystem | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Bundesländer | |
| Schule und Corona | |
| Schule | |
| Pandemie | |
| Digitalisierung | |
| Schule | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Digitalpakt | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Gewerkschaft GEW | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Digitalpakt Schule: Digitalisierung kommt langsam voran | |
| Der Großteil des Gelds aus dem Digitalpakt Schule ist immer noch nicht | |
| ausgegeben. Doch die Zahl der Anträge steigt. Das Geld für Laptops ist fast | |
| weg. | |
| Schulen im Lockdown: Einstürzende Schulszenarien | |
| Vor allem Niedersachsen und Bremen müssen beim Unterricht nachbessern. | |
| Hamburg und Schleswig-Holstein stehen besser da. | |
| Verdopplung der Kinderkrankentage: Kind betreuen, Kohle kassieren | |
| Eltern werden mit mehr Kinderkrankentagen entlastet. Das gilt auch für | |
| Beschäftigte im Homeoffice und dann, wenn Kitas und Schulen noch offen | |
| sind. | |
| Digitalisierung an Schulen: Sorry, wir sind nicht erreichbar | |
| Im Coronalockdown sollen die Schulen ganz schnell digital werden. Geld ist | |
| da. Trotzdem hapert es landauf, landab an der Umsetzung. | |
| Politikerin über Schulen im Lockdown: „Die Zahlen sind zu hoch“ | |
| Brandenburgs Kultusministerin Britta Ernst, neue Vorsitzende der KMK, über | |
| Schulöffnungen, digitalen Unterricht und den Streit um Luftfilter. | |
| Studien zu Corona in Kitas und Schulen: Dem Virus auf der Spur | |
| Welche Rolle spielen Kitas und Schulen beim Infektionsgeschehen? Das will | |
| die Bundesregierung wissen und fördert hierzu Studien. Eine Übersicht. | |
| Überblick zu den aktuellen Coronaregeln: Was gilt wo? | |
| In nunmehr allen Bundesländern gelten inzwischen schärfere | |
| Corona-Kontaktregeln. Ein Überblick in interaktiven Karten. | |
| Lockdown-Verschärfung in Berlin: Scheeres lenkt bei Schulöffnung ein | |
| In der Debatte um Schulöffnungen rudert die Schulsenatorin nach heftiger | |
| Kritik zurück: Die Schulen bleiben zu. Lockdown-Verschärfung in Kraft. | |
| Gewerkschafterin über Bildungschancen: „Viele Kinder leiden psychisch“ | |
| Der Fokus muss auf Kindern liegen, die von Schulschließungen besonders | |
| benachteiligt sind, fordert Ilka Hoffmann. Lehramtsstudierende könnten | |
| helfen. | |
| Lockdown für Schulen bleibt: Lehrerverbände begrüßen den Kurs | |
| Schulen sollen vorerst geschlossen bleiben und nur stufenweise öffnen. | |
| Lehrervertreter:innen schlagen ein zusätzliches Schuljahr vor. |