# taz.de -- Zwischen Angst und Faszination: Draußen ist der Wolf | |
> Die Debatte über Wölfe wird in Deutschland geht weit über Detailfragen | |
> hinaus. Tatsächlich geht es darum, wer definieren darf, was Natur ist. | |
Bild: Ist er da, der Wolf? Und wenn ja, was bedeutet das? | |
LANDKREIS ROTENBURG taz | Man kriegt als Normalmensch wenig von ihnen mit“, | |
sagt der Wolfsberater des niedersächsischen Landkreises Rotenburg, Wolfgang | |
Albrecht, am Telefon. Das ändert aber nichts daran, dass es in der Gegend | |
ein Rudel gibt, das eben auch durch den kleinen Ort Vierden streift. Dabei | |
hatte ich angerufen, weil ich das, was ich um eine Ecke in dem Dorf gehört | |
hatte, für ein Schauermärchen gehalten hatte. Schauer deshalb, weil es | |
nicht so geklungen hatte, als sei es eine gute Nachricht: Die Wölfe sind | |
da. | |
„Irgendwo sind sie immer“, sagt Albrecht noch, schließlich ist das Revier | |
eines Rudels etwa 250 km2 groß. Weit weg und immer da – so wie die | |
Diskussion über ihre Rückkehr. Warum wird die Debatte über die Wölfe so | |
erbittert geführt, als ginge es um die Existenz der Beteiligten, was | |
manchmal, aber durchaus nicht immer der Fall ist? | |
So aufgeheizt, dass die Namen der Jäger, die auffällig gewordene Wölfe | |
erschießen, nicht genannt werden, weil man fürchtet, dass sie zur | |
Zielscheibe radikaler Wolfsschützer werden. Und umgekehrt Wolfsschützer | |
berichten, ihre Veranstaltungen würden von Landwirten und Jägern gestört. | |
Es sind Welten, die so weit voneinander entfernt scheinen, dass man nicht | |
einmal dieselbe Sprache spricht: Was für die Wolfsschützer der Wolf Kurti | |
ist, läuft für die Jägerschaft und die Landwirte [1][als MT6 durch | |
Niedersachsen]. Und wenn Umweltverbände diese Sprechweise übernimmt, macht | |
er sich in den Augen von [2][Vereinen wie Wolfsschutz Deutschland bereits | |
verdächtig]. | |
## Es geht nicht nur um Kostendeckung | |
Von Töten wird in der ganzen Debatte nie gesprochen: Den Abschuss der | |
auffällig gewordenen Wölfe bezeichnen die Behörden als „letale Entnahme“, | |
wenn die Wölfe Beute machen, wird es meist mit einem Begriff der | |
Jägersprache „reißen“ genannt. | |
Will man auch in Rotenburg, dass die Wölfe entnommen werden? So direkt sage | |
das niemand, meint Wolfsberater Albrecht. „Es heißt: Es muss etwas gemacht | |
werden.“ Aber was? | |
Glaubt man Thomas Norgall vom BUND Hessen, dann gibt es ganz praktisch eine | |
[3][ökonomische Ebene], auf der die Nutztierhalter zu wenig entschädigt | |
werden. Sie bekommen etwa nur Geld für Schutzzäune, aber nicht für die | |
Arbeitszeit, um sie zu errichten. | |
Aber, sagt Norgall dazu, dahinter komme gleich eine zweite, schwierigere | |
Ebene: „die Emotionen“. Da stünden einerseits diejenigen, für die die | |
Rückkehr der Wölfe bedeute, dass es jetzt mitten in Deutschland so etwas | |
wie Wildnis gibt. Und für die anderen, die Weidetierhalter – mit denen man | |
sich, so bedauert es Norgall, als Umweltschützer noch stärker hätte | |
zusammenschließen müssen – gibt es nun eine neue Ära: die mit den Wölfen. | |
Und davor eine vergangene, bessere Zeit ohne sie. | |
## Wer darf bestimmen, was Natur bedeutet? | |
„Es gibt eine Angst vor dem, was neu ist“, sagt Norgalls Kollege vom BUND | |
Nordrhein-Westfalen, Holger Sticht. Gerade bei denen, die eine konservative | |
Haltung als Landwirt haben, die sich gemäß dem Bibelspruch die Erde | |
untertan machen wollen. | |
Philosophisch gesehen wäre das Etikett dazu das Anthropozän, ein Zeitalter, | |
in dem Natur etwas von Menschen Gemachtes ist. Und damit kommt man zum Kern | |
des Problems, der tiefer liegt als die Benennung der Wölfe und die Höhe der | |
Schutzzäune: die Frage, wer bestimmen darf, was heute Natur bedeutet. | |
Und so ist es gar nicht weiter überraschend, dass viele derjenigen, die | |
hier leidenschaftlich mitmischen, noch nie einen Wolf gesehen haben. So wie | |
der Mann in der Lausitz, der zehn Jahre nach ihnen fahndete und dem auch | |
als Holger Sticht zu Besuch war, kein Glück bei seiner Suche beschieden | |
war. | |
Glaubt man Sticht, dann will eine Mehrheit inzwischen eine Natur, die nicht | |
komplett der Kontrolle des Menschen unterworfen ist. Die Rückkehr des Wolfs | |
– das ist für seine VerteidigerInnen die Verheißung einer Natur, die wieder | |
zu sich selbst findet. Dazu passt, dass die Politik – der EU-Vorgabe | |
folgend – ganz dezidiert auf eine Steuerung der Wolfspopulation verzichtet. | |
## Auch eine Migrationsdebatte | |
Aber was, wenn diejenigen, die nach ihrem Verständnis möglicherweise viel | |
näher an der Natur leben, die LandwirtInnen, SchäferInnen und JägerInnen, | |
eine andere Auffassung haben? Nämlich dass hier unter Zwang eine dem | |
Menschen zuträgliche Bewirtschaftung der Natur torpediert wird. Wobei man | |
da nicht unterschlagen darf, dass die nicht so uniform ist, wie die | |
lautesten Stimmen es jeweils vermuten lassen, und leisere wie etwa den | |
ökologischen Jagdverband übertönen. | |
In Manchem erinnert die Debatte über die Rückkehr der Wölfe in ihrer | |
Rollenverteilung an diejenige zur Migration nach Deutschland: Das Neue | |
erscheint für die einen als Gewinn und für die anderen als Bedrohung. | |
Es ist aufregend, das Anthropozän zu verlassen – und sei es nur für einen | |
kleinen Abstecher. Die Diskussion darüber ist noch lange nicht vorbei. | |
Mehr zum Thema lesen Sie in unserem Wochenendschwerpunkt in der gedruckten | |
taz am wochenende oder [4][hier] | |
8 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Forderung-der-Naturschutzverbaende/!5402877 | |
[2] https://wolfsschutz-deutschland.de/fall-kurti/ | |
[3] /Konsens-zum-Umgang-mit-dem-Wolf/!5441332 | |
[4] /e-kiosk/!114771/ | |
## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
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