# taz.de -- Wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands: Die Globalisierung hilft | |
> Experten erwarten eine wirtschaftliche Erholung in Deutschland ab dem | |
> Frühjahr. Doch Staatshilfen werden wohl noch lange nötig sein. | |
Bild: Weiterhin starke Exportwirtschaft: Neuwagen werden von Cuxhaven aus versc… | |
BERLIN taz | Dank einer starken Exportwirtschaft kommt Deutschland wohl | |
glimpflicher aus der Krise als andere Staaten. Ökonomen erwarten im neuen | |
Jahr steigende Wachstumsraten. | |
So rechnet das Münchner Ifo-Institut mit einem Plus von 4,2 Prozent, das | |
Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) bei einer Verlängerung des | |
Lockdowns bis Ende Januar noch mit einem Zuwachs um 3,5 Prozent. Vor | |
einigen Wochen war das Institut allerdings noch deutlich zuversichtlicher. | |
Die Chancen für einen Neustart der deutschen Wirtschaft seien sehr gut, | |
sofern die zweite Coronawelle in den Griff bekommen wird, so DIW-Chef | |
Marcel Fratzscher. „Das bedeutet noch nicht, dass wir bald das Niveau vor | |
der Pandemie erreichen“, betont er jedoch. | |
Für die vergleichsweise schnelle Erholung sorgt vor allem die | |
Exportwirtschaft. Zwar sind die Ausfuhren im vergangenen Jahr um 12 | |
Prozent, etwa 160 Milliarden Euro, zurückgegangen. Doch kauften Abnehmer im | |
Ausland damit immer noch deutsche Waren im Wert von 1,2 Billionen Euro. | |
Jeder zweite Euro wird im Exportgeschäft erwirtschaftet. | |
Die brachliegenden Branchen wie der Tourismus und die Gastronomie tragen | |
dagegen nur zu einem kleinen Teil zur Gesamtsituation bei. „Dort werden | |
etwa 2 Prozent der Wirtschaftsleistung erwirtschaftet“, erläutert | |
Fratzscher. | |
Über alle Branchen hinweg ist die Stimmung geteilt. 26 von 43 Branchen | |
rechnen nach einer Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) mit | |
einer höheren Wirtschaftstätigkeit. „Die Industrie ist das Zugpferd aus der | |
Konjunktur“, stellt IW-Chef Michael Hüther fest. Voraussetzungen dafür | |
seien offene Grenzen und funktionierende Lieferketten. | |
Während des ersten Lockdowns wurde die internationale Arbeitsteilung noch | |
infrage gestellt. Die Abhängigkeit von im Ausland hergestellten Produkten | |
erschien vielen zu hoch. Doch laut Fratzscher hat sich die Globalisierung | |
im Verlauf des Jahres als Segen erwiesen. „Es kam zwar zu einzelnen | |
Lieferengpässen, aber die Lieferbeziehungen blieben insgesamt stabil“, sagt | |
er, „die Globalisierung hat sich als Stärke erwiesen.“ So sind es vor allem | |
asiatische Staaten, die der deutschen Industrie auf die Beine helfen. | |
Andere Branchen seien nicht zu vernachlässigen. Die Dienstleistungssparten | |
seien für die Beschäftigung von hoher Bedeutung. „Hier werden nicht die | |
Topgehälter bezahlt und es gibt viele Minijobber“, sagt der DIW-Chef. Wann | |
die betroffenen Arbeitnehmer mit einer Normalisierung rechnen können, | |
vermag er nicht zu sagen. Zuerst müsse das Infektionsgeschehen unter | |
Kontrolle sein. | |
Damit wird die Arbeitslosigkeit in diesem Jahr wohl nur geringfügig sinken. | |
Das DIW erwartet im Jahresdurchschnitt knapp 2,7 Millionen Arbeitslose, | |
eine Quote von 5,9 Prozent. Vor Beginn der Krise lag sie bei 5 Prozent. | |
Doch viele Entwicklungen können alle Prognosen schnell über den Haufen | |
werfen. | |
So droht in diesem Jahr eine Welle von Insolvenzen. Viele kleine Firmen | |
haben vermutlich ihre Reserven aufgebraucht und müssen aufgeben. Wie viele | |
es sind und wie viele Jobs dabei verlorengehen, ist eine der großen | |
Unbekannten auf der Rechnung. | |
## Der Geldhahn wird offen bleiben | |
Die Zahl der Pleiten ist 2020 zwar sogar etwas zurückgegangen. Doch führen | |
Experten dies vor allem auf eine zeitweilig geänderte Gesetzeslage zurück. | |
Sie erlaubt es den betroffenen zahlungsunfähigen Unternehmen, mit der | |
Anmeldung einer Insolvenz bis zum Jahresende abzuwarten. | |
Auch deshalb rechnet Fratzscher mit weiter notwendigen öffentlichen Hilfen | |
für Firmen und Selbstständige. „Wir werden uns sehr viel länger auf | |
staatliche Unterstützung einrichten müssen“, erläutert der DIW-Chef. Es sei | |
eine Illusion, dass der Staat bei einer Erholung im zweiten Quartal den | |
Geldhahn wieder schnell zudrehen könne. | |
So geht das Institut auch im kommenden Jahr von einer [1][hohen | |
Neuverschuldung und einem kräftigen Defizit in der Staatskasse] aus. Es | |
wird demnach bei rund 146 Milliarden Euro liegen, nach 186 Milliarden Euro | |
im Jahr 2020. | |
„Ich glaube nicht, dass der Bund [2][die Schuldenbremse] in den nächsten | |
beiden Jahren einhalten kann“, sagt Fratzscher. Dies sei auch richtig so. | |
Über die Refinanzierung macht er sich keine Sorgen. Denn momentan verdient | |
der Bund mit der Ausgabe von Staatsanleihen sogar viel Geld. „Der Staat hat | |
2020 sieben Milliarden Euro an Zinsen bekommen für seine neuen Schulden“, | |
rechnet er vor. | |
Der DIW-Chef spricht sich für hohe staatliche Zukunftsinvestitionen aus. | |
„Das ist das am besten ausgegebene Geld, denn es schützt Arbeitsplätze und | |
hilft Unternehmen, die Pandemie zu überleben.“ Neue Investitionen in den | |
Klimaschutz, den sozialen Bereich und in die Digitalisierung könnten | |
verschlafen werden, warnt er. | |
Hierfür fordert Fratzscher eine Entschuldung von Städten und Gemeinen sowie | |
eine Reform des Länderfinanzausgleichs. „Die reichen Länder im Süden müss… | |
sich stärker an den gemeinschaftlichen Aufgaben aller Kommunen beteiligen, | |
um die Zunahme des Nord-Süd-Gefälles in Deutschland zumindest zu stoppen“, | |
verlangt der Forscher. Nur so könne der Staat gleichwertige | |
Lebensverhältnisse in Deutschland schaffen. | |
5 Jan 2021 | |
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## AUTOREN | |
Wolfgang Mulke | |
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