Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Wirtschaft und Staat während Corona: Der Unternehmer
> Angeblich weiß der Staat nicht, wie man wirtschaftet. Doch ohne ihn gäbe
> es keine neuen Produkte. Und auch keine Medikamente gegen das
> Coronavirus.
Bild: Die deutsche Wirtschaft in Schieflage – das denkt zumindest die Ratinga…
Das Coronavirus vernebelt offenbar auch die Gehirne von Analysten. Vor
einigen Tagen kam eine eigenartige Mitteilung von der Ratingagentur
Moody’s: Die Bonität der deutschen Bundesländer sei nicht mehr „stabil“,
sondern „negativ“. Moody’s rechnet also damit, dass Länder wie
Baden-Württemberg oder Hamburg demnächst bankrott sein könnten.
Das ist absurd. Bundesländer gehen nicht pleite. Doch Moody’s tut so, als
wären Bayern oder Niedersachsen Firmen wie Daimler oder TUI, die Gewinn
machen müssen, damit sie überleben können. Moody’s wendet daher das
Einmaleins der Buchführung an: Einnahmen und Ausgaben der Bundesländer
werden einfach verglichen. Wenig überraschend erkennen auch
Moody’s-Analysten, dass die Pandemie zu Defiziten führt. Durch die
Lockdowns brechen Wirtschaft und Steuereinnahmen ein, während gleichzeitig
die Ausgaben steigen, nicht zuletzt weil die Landesregierungen versuchen,
ihre heimischen Betriebe durch die Krise zu schleppen.
Moody’s wiederholt also nur, was Zeitungsleser längst wissen:
Wirtschaftskrisen erzeugen Staatsdefizite. Man fragt sich, was
Ratingagenturen eigentlich machen – außer Kaffee zu trinken, Zeitung zu
lesen und eine Bewertung wie „negativ“ hinzuzufügen. Verschärftes
Nachdenken scheint jedenfalls nicht zu den Aufgaben eines Analysten zu
gehören.
Sonst wäre Moody’s aufgefallen, dass auch Ratingagenturen indirekt genau
von jenen Staatsdefiziten abhängen, die sie jetzt kritisieren. Man stelle
sich einmal vor, die Bundesregierung und Länder hätten keine Schulden
gemacht, um [1][die Wirtschaft zu stabilisieren]. Viele Betriebe wären
pleite, und Millionen Menschen arbeitslos. Die meisten Konzerne hätten dann
weder Geld noch Lust, um Ratingagenturen anzuheuern. Das
Moody’s-Geschäftsmodell wäre tot.
## Marketing durch Moody's
Moody’s betreibt letztlich nur Marketing; mit abwegigen und alarmistischen
Analysen will man sich ins Gespräch bringen. Das ließe sich ignorieren,
wenn es nicht so erfolgreich wäre. Gekonnt bedient Moody’s eine Urangst der
Deutschen: Nach zwei Weltkriegen mit zwei Hyperinflationen sind die
Bundesbürger jederzeit bereit zu glauben, dass ihr Staat demnächst pleite
sein könnte. Da fällt kaum noch auf, dass wir in Friedenszeiten leben – und
die Preise nicht etwa steigen, sondern fallen. Im Dezember wurde eine
Inflation von minus 0,3 Prozent verzeichnet.
Man kann es nicht oft genug wiederholen: Der Staat ist kein Unternehmen. Er
ist das Gegenüber der Wirtschaft. Er stabilisiert die Konjunktur, damit die
Firmen nicht in die Pleite treiben. Allerdings ist der Staat weit mehr als
nur Retter in der Krise. Ohne den Staat gäbe es fast gar keine
Innovationen, die die Firmen erfolgreich vermarkten könnten. Der Staat ist
kein Unternehmen – aber der wichtigste Unternehmer.
Doch davon ist bei Moody’s nie etwas zu lesen. Die Analysten hängen der
fixen Idee an, dass der Staat nur stört und allein die Firmen wüssten, wie
man neue Produkte entwickelt. Dies ist falsch. Es ist der Staat, der für
Innovationen sorgt, indem er die Grundlagenforschung an den Universitäten
und in öffentlichen Laboren fördert. Die Pandemie ist dafür ein gutes
Beispiel.
Die Mainzer Firma Biontech macht jetzt weltweit Schlagzeilen, weil sie
einen Impfstoff entwickelt hat, der absolut zuverlässig ist und auf
mRNA-Botenstoffe setzt. Doch zur Wahrheit gehört auch, dass die
mRNA-Technik in staatlichen Laboren entwickelt wurde.
## Staatliche Einrichtungen haben das iPhone erfunden
Die beiden Biontech-Gründer Şahin und Türeci haben ihr ganzes Berufsleben
an Universitäten geforscht. Dieses staatlich finanzierte Wissen haben sie
dann in eigenen Unternehmen in Medikamente umgewandelt. 2001 gründeten sie
die Firma Ganymed, 2008 folgte Biontech. Auch ihre Mitarbeiter sind
promovierte Forscher, die an der Universität Mainz ausgebildet wurden und
ihr Wissen von dort mitbringen.
Es ist nicht verwerflich, wenn staatlich finanzierte Mediziner eigene
Unternehmen starten. Denn wie [2][Şahin und Türeci in einem
Spiegel-Interview] feststellten, kommt die „Wissenschaft nicht immer am
Patientenbett“ an. Neue Erkenntnisse werden nicht automatisch zu
Medikamenten, sondern müssen ihren Weg aus den Universitätslaboren in den
Alltag finden. Doch die privaten Firmen werden erst am Ende tätig, nicht am
Anfang. Konzerne meiden die Grundlagenforschung, weil sie zu teuer und zu
unsicher ist.
Diese Beobachtung gilt nicht nur für die Pharmazie, sondern auch fürs
Silicon Valley. Die Ökonomin Mariana Mazzucato hat rekonstruiert, wie es
zum iPhone kam. Apple-Gründer Steve Jobs war zweifellos genial, aber kein
Forscher. Alle wesentlichen Bestandteile des iPhones wurden in staatlichen
Laboren erfunden, ob GPS, Touchscreen, Internet, Lithium-Ionen-Batterien
oder Mikroprozessoren. Jobs’ Leistung war es, diese verstreuten Erfindungen
zu einem neuen Produkt zusammenzuschweißen – eben zum iPhone.
Apple hat seither weit mehr als 500 Milliarden Dollar Gewinn gemacht. Es
sei Unternehmen gegönnt, dass sie mit innovativen Produkten enorme Profite
einfahren. Aber es wäre nur fair, wenn der Staat an diesen Gewinnen gerecht
beteiligt würde – schließlich hat er in Universitäten und Labore
investiert, damit das Wissen überhaupt entsteht. Trotzdem zahlt Apple nur
geringe Steuern auf die Profite. Etwa 17 Prozent dürften es sein, wie
US-Steuerfachleute mühsam ausgerechnet haben. Da zahlt jede Sekretärin mehr
auf ihr Einkommen. Die Kosten der Forschung werden sozialisiert – und die
Gewinne privatisiert.
Das ist in Deutschland nicht anders. Normales Einkommen wird höher
besteuert als Kapitalerträge. Das ist kein Zufall, sondern beruht auf der
falschen Erzählung, dass der Reichtum allein den Unternehmern zu verdanken
sei – während der Staat angeblich schlecht wirtschaftet. Die Mär von
Moody’s ist ja leider kein Einzelfall.
29 Jan 2021
## LINKS
[1] /Wirtschaftliche-Entwicklung-Deutschlands/!5737975
[2] https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/biontech-gruender-oezlem-tuer…
## AUTOREN
Ulrike Herrmann
## TAGS
Kolumne Finanzkasino
Schwerpunkt Coronavirus
Moody´s
Wirtschaft
Schwerpunkt Coronavirus
Nachtragshaushalt
Schwerpunkt Coronavirus
Wirtschaftswachstum
Wirtschaftskrise
## ARTIKEL ZUM THEMA
Mehr Schulden wegen Corona: Ein starker Staat macht Angst
Die Pandemie wird teuer: Allein der Bund nimmt 500 Milliarden Euro auf.
Angst vor Inflation ist dennoch unbegründet.
Nachtragshaushalt für 2021: Corona sorgt für noch mehr Schulden
Der Nachtragshaushalt von Finanzminister Olaf Scholz umfasst zusätzliche
Kredite von gut 60 Milliarden Euro. Die Schuldenbremse bleibt außer Kraft.
Kosten der Coronakrise: Staatsdefizit kleiner als erwartet
Deutschland hat im Krisenjahr 2020 deutlich mehr öffentliches Geld
ausgegeben als eingenommen. Das zeigen Berechnungen des Statistischen
Bundesamts.
Wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands: Die Globalisierung hilft
Experten erwarten eine wirtschaftliche Erholung in Deutschland ab dem
Frühjahr. Doch Staatshilfen werden wohl noch lange nötig sein.
Deutsche Wirtschaft nach Corona: Der Absturz
In einem nie da gewesenen Ausmaß ist die deutsche Wirtschaft im zweiten
Quartal eingebrochen. Die USA trifft es ähnlich schlimm.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.