| # taz.de -- Grenzkontrolle in Westafrika: Gegen Terror – und Migration | |
| > An Nigers Südgrenze soll eine neue Einheit Islamisten und Migranten aus | |
| > Nigeria abwehren – finanziert auch durch deutsche Gelder. | |
| Bild: CMCF-Polizeibeamte mit Gewehrattrappen vor einem Auftritt bei der EU-Miss… | |
| Berlin taz | Frühmorgens am 13. Dezember sollten die Kommunalwahlen in | |
| Niger beginnen. Auch in Toumour, einer Kleinstadt im äußersten Südosten des | |
| Landes. Doch in der Nacht kamen Mörder. Sie töteten 28 Menschen. 14 wurden | |
| verbrannt, 10 erschossen, 4 ertränkt. Ihr Überfall dauerte mehrere Stunden. | |
| Die 70 Angreifer verletzten Hunderte und brannten mindestens 800 Häuser | |
| nieder. | |
| Nigers Regierung ordnete eine dreitägige Staatstrauer an. Die | |
| [1][islamistische bewaffnete Gruppe Boko Haram] aus Nigeria meldete sich | |
| mit einem Video. Während des bevorstehenden Weihnachtsfestes werde es | |
| „keinen Frieden geben“, heißt es darin. Am 27. Dezember sind in Niger | |
| Präsidentschaftswahlen. | |
| Die meisten Toten waren lokalen Berichten zufolge geflohene Nigerianer, und | |
| wahrscheinlich kamen auch die Angreifer aus Nigeria, über die nur wenige | |
| Kilometer entfernte Grenze, hinter der Boko Haram seit Jahren die | |
| Bevölkerung terrorisiert und [2][jüngst wieder aktiver geworden] ist. | |
| Einer der Männer, die in Niger den grenzüberschreitenden Dschihad | |
| bekämpfen, ist Haro Ammani. Seit 2019 befehligt er eine neu gegründete | |
| Polizeieinheit, die Compagnie Mobile de Contrôle des Frontières (CMCF). | |
| „Wir sind auch ein Instrument gegen den Terrorismus“, sagt er. Die Betonung | |
| liegt auf „auch“. Ammanis Einheit zeigt, wie sehr sich Sicherheits-, | |
| Migrations- und Entwicklungspolitik heute im Sahel vermischen. „Die | |
| Hauptaufgabe unserer Truppe ist die Sicherung der Grenzen“, sagt Ammani. | |
| „Die Bekämpfung der illegalen Einwanderung ist dabei ein wesentlicher | |
| Bestandteil.“ | |
| ## Deutsche Polizei in Niger | |
| [3][Niger, eins der ärmsten Länder der Welt], hat eine Nationalpolizei, | |
| eine Gendarmerie, eine Nationalgarde und eine Armee. Alle sind auch mit | |
| Grenzschutz befasst und seit 2016 mit dem Kampf gegen Schlepper. Trotzdem | |
| hat die EU mit der CMCF noch eine weitere Grenzschutztruppe aufgebaut. | |
| Deutschland hat PolizistInnen in das Land entsandt. „Ein Schwerpunkt ihrer | |
| Tätigkeit war die Planung eines zu großen Teilen von Deutschland | |
| finanzierten Projekts zum Aufbau mobiler Grenzkontrollkompanien“, teilte | |
| die Bundesregierung im Juni mit. | |
| Die CMCF besteht derzeit aus 245 Männern und 7 Frauen. Deutschland und die | |
| Niederlande haben dafür einen zweistelligen Millionenbetrag gegeben, | |
| Polizisten aus Belgien, Deutschland und den Niederlanden haben sie | |
| ausgebildet. Ihr Hauptquartier in der Kleinstadt Birnin Konni an der Grenze | |
| zu Nigeria hätte im Oktober 2020 eingeweiht werden sollen. Die Feier wurde | |
| allerdings auf Januar vertagt – die Sicherheitslage war zu schlecht. | |
| „Unsere Partner sind die EU und vor allem Deutschland und die Niederlande“, | |
| sagt Ammani. Es sei schon viel geliefert worden. „Es wird ein modernes | |
| Gebäude für die Kompanie errichtet, mit einer modernen Küche, | |
| Kommunikationsausrüstung, aber auch viel persönliche Ausrüstung, Schuhwerk, | |
| Rettungsausrüstung für Kampfeinsätze, Ambulanzen.“ | |
| Die Grenzen in den Wüsten Westafrikas sind bis heute meist unmarkiert. In | |
| der Vergangenheit konnte die lokale Bevölkerung sie überqueren, ohne Pässe | |
| vorzeigen zu müssen. Das soll anders werden. „Unsere Truppe besteht aus | |
| mobilen Einheiten, denn viele Phänomene entziehen sich der Kontrolle der | |
| Polizeistationen an den offiziellen Grenzübergängen“, sagt der Kommandant. | |
| „Unsere Patrouillen sollen die Menschenhändler und Schmuggler auch jenseits | |
| davon verfolgen und festnehmen.“ | |
| ## Angst vor Migration aus Nigeria | |
| 2016 hat die EU begonnen, stärker gegen die [4][Migration aus Westafrika] | |
| vorzugehen. Damals zählte die UN-Migrationsagentur IOM 298.000 Menschen, | |
| die über Niger nach Libyen kamen – die meisten wohl mit dem Ziel Europa. | |
| 2019 waren es nur noch 50.000. | |
| Ein wichtiger Faktor dabei war ein neues Gesetz in Niger, das den bis dahin | |
| legalen Transport von Migranten in Richtung Libyen als „Menschenschmuggel“ | |
| einstuft und bestraft. Die Zahl der Ankünfte von WestafrikanerInnen in | |
| Italien ging in der Folge um über 90 Prozent zurück. Und insgesamt bekam | |
| Niger seit 2016 weit über eine Milliarde Euro aus Europa. Das ist deutlich | |
| mehr als die Entwicklungshilfe für vergleichbare Staaten. | |
| 2018 dann kündigte die EU an, die CMCF aufzubauen. Formal ist diese für | |
| ganz Niger zuständig. Doch dass ihr Hauptquartier an der Grenze zu Nigeria | |
| liegt, kommt nicht von ungefähr. Etwa 20.000 NigerianerInnen stellen pro | |
| Jahr in Europa einen Asylantrag – mehr als aus jedem anderen afrikanischen | |
| Land. | |
| 2050 wird Nigeria bevölkerungsmäßig das drittgrößte Land der Erde sein. Die | |
| EU rechnet damit, dass sich [5][von dort immer Menschen auf den Weg nach | |
| Europa] machen. Nigeria war der erste Staat in Afrika, mit dem die | |
| EU-Grenzschutz-Agentur Frontex ein Abkommen zur Zusammenarbeit schloss. | |
| Und gleichzeitig ist Nigers Grenze zu Nigeria auch eines der | |
| [6][Einfallstore für islamistische Kämpfer]. In den letzten zwölf Monaten | |
| stieg der Zahl der Nigrer, die innerhalb ihres eigenen Landes vor dem | |
| Terror fliehen mussten, um über ein Drittel auf nun fast 270.000 Menschen. | |
| Gegen den Terror setzen Staaten wie Mali und Niger unter anderem auf die | |
| Unterstützung der EU. Die hilft, Militär und Polizei schlagkräftiger zu | |
| machen. Und die kämpfen dann später gegen Islamisten – und Schlepper. | |
| ## Armeeangehörige lassen Menschen verschwinden | |
| „Diese Border Units passen ziemlich gut in das Schema, wie sich das | |
| Grenzmanagement entwickelt hat“, sagt zum Aufbau der CMCF die Juristin | |
| Carolyn Moser vom Heidelberger Max Planck Institut für Völkerrecht. „Die | |
| sollen sich mit irregulärer Migration beschäftigen und dazu beitragen, dass | |
| Terroristen nicht über die Grenzen kommen.“ | |
| Moser hat mit ihrem [7][Projekt Borderlines] erforscht, wie die EU in den | |
| Sahel-Staaten Sicherheitsbehörden aufbaut. Der Kampf gegen Migration, | |
| Kriminalität und Terror sei unter dem „Prisma Sicherheit“ zusammengefasst | |
| worden, sagt sie. Das biete „andere Eingriffsmöglichkeiten“. | |
| Amnesty International hat dokumentiert, dass Soldaten in Mali, Niger und | |
| Burkina Faso allein zwischen Februar und April 2020 mindestens 199 Menschen | |
| unrechtmäßig töteten oder gewaltsam verschwinden ließen. Nigers Nationale | |
| Menschenrechtskommission bestätigte am 5. September: „Unsere Mission | |
| entdeckte mindestens 71 Leichen in sechs Massengräbern. Armeeangehörige | |
| sind für Hinrichtungen verantwortlich.“ | |
| Diese Vorwürfe richten sich nicht gegen die Truppe von Kommandant Haro | |
| Ammani, sondern gegen andere Einheiten. Doch wenn Deutschland Polizei und | |
| Militär ausbildet, stellt sich die Frage, welche Mitverantwortung | |
| Deutschland für deren Taten trägt. | |
| Die Völkerrechtlerin Moser ist da zurückhaltend: „Man würde Niger dann | |
| seine Souveränität absprechen und sagen: Ihr befehligt ja eigentlich gar | |
| nicht eure Polizei. Das macht ja Deutschland irgendwie aus Berlin.“ Die | |
| Frage sei „eher politisch“, sagt sie. „Wir wissen, dass wir Einheiten | |
| ausbilden und dass diese Einheiten später dann aber in der Praxis Sachen | |
| machen, die mit unseren Wertvorstellungen nicht einhergehen.“ | |
| ## Auf abgelegenen Routen Richtung Libyen | |
| Weil die Fahrer der MigrantInnen heute als Kriminelle verfolgt werden, ist | |
| der Weg durch die Wüste nur noch auf verschlungenen Wegen möglich. Immer | |
| wieder kommt es zu Vorfällen wie Anfang September: Da rettete ein Team der | |
| IOM 83 Menschen tief in der Sahara. Die Gruppe hatte eine Woche zuvor in | |
| der Transitstadt Agadez vier Pick-up-Trucks bestiegen. Sie fuhren auf | |
| abgelegenen Routen nach Libyen, um nicht entdeckt zu werden. Als | |
| Militärfahrzeuge in Sicht kamen, setzten die vier Fahrer ihre Passagiere | |
| aus. Das komme „häufig vor“, schreibt die IOM. | |
| Die UN schätzen, dass heute [8][doppelt so viele Menschen in der Wüste als | |
| im Mittelmeer] zu Tode kommen könnten. „Gerade die Maßnahmen zur | |
| Migrationskontrolle, die auf Wunsch der europäischen Staaten eingeführt | |
| wurden, haben das Todesrisiko für Reisende auf Trans-Sahara-Routen erhöht“, | |
| sagt die Initiative [9][Alarm Phone Sahara], die in Not geratene | |
| MigrantInnen in der Wüste unterstützt. | |
| „Dass die UNO diese humanitäre Tragödie beklagt, ist völlig legitim“, sa… | |
| dazu Kommandant Ammani. Doch das habe nichts mit einem Mangel an legalen | |
| Wegen für die MigrantInnen zu tun. „Wer andere durch die Wüste schickt, wo | |
| sie sterben können, soll bestraft werden.“ Doch die meisten schickt | |
| niemand. Sie ziehen aus freien Stücken los. | |
| Der Autor ist derzeit Journalist in Residence am [10][Max Planck Institut | |
| für Völkerrecht] in Heidelberg. | |
| 16 Dec 2020 | |
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| [7] https://www.mpil.de/de/pub/forschung/nach-projekten/forschungsgruppen/borde… | |
| [8] /UN-Bericht-zu-Gewalt-gegen-Fluechtlinge/!5704754 | |
| [9] https://alarmephonesahara.info/en/ | |
| [10] https://www.mpil.de/de/pub/forschung/nach-rechtsgebieten/voelkerrecht.cfm | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Jakob | |
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