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# taz.de -- Militäreinsätze im Sahel: Strukturen statt Sicherheit
> Um militärische Einsätze im Sahel zu rechtfertigen, werden Ängste vor
> Terrorismus geschürt. Das verkennt die tatsächlichen Probleme vor Ort.
Bild: Ein Camp für Geflüchtete aus der Sahelzone in Dori, Burkina Faso im Nov…
Zumindest zwei Einsichten hat es im Rahmen [1][des G5-Sahel-Gipfels in
N’Djamena] – Europa nahm per Videokonferenzen teil – gegeben. Frankreichs
Präsident Emmanuel Macron hat betont, dass staatliche Strukturen in die
besonders von Gewalt betroffenen Regionen im Sahel zurückkehren müssen.
Neben Sicherheit brauche es Dienstleistungen für die Bevölkerung sowie
Perspektiven. Der deutsche Außenminister Heiko Maas sagte, der Schlüssel
zum Erfolg liege bei den Regierungen der fünf Sahelstaaten, die ihren Kampf
gegen Korruption und Straflosigkeit fortsetzen müssten.
Das ist zwar alles andere als neu, erkennt aber immerhin indirekt an, dass
die bisherige militärische Strategie ohne Einbeziehung der Bevölkerung
gescheitert ist. Alleine in Mali sind im Rahmen verschiedener Missionen
Tausende internationale Soldat*innen stationiert. Doch nichtstaatliche
Organisationen beklagen zu Recht, dass 2020 eines der tödlichsten Jahre für
Zivilist*innen war. Warum der Antiterrorkampf nicht funktioniert? Die
Terroristen sind im Sahel weniger das Problem. Stattdessen sind es kaum
funktionierende Staaten. Die Verantwortlichen haben bei Gewalt an den weit
von den Hauptstädten entfernten Staatsgrenzen viel zu lange weggeschaut,
sie haben Staatsmonopole aus der Hand gegeben und lassen ihren
Sicherheitsapparat brutal agieren. Vor allem sind sie von der Bevölkerung
entfremdet.
In Mali ist das während der Amtszeit von Ex-Präsident Ibrahim Boubacar
Keïta, der im August 2020 gestürzt wurde, besonders deutlich geworden.
Schon vor seiner Wiederwahl 2018 war klar, wie desillusioniert die
Bevölkerung von der politischen Elite war. Es fehlte nur eine Alternative.
Nach anfänglicher Hoffnung hatte sich unter Keïta vieles wieder
verschlechtert. Vor allem hatte sich die Gewalt aus dem Norden ins Zentrum
ausgebreitet. Dazu kamen Luxuseskapaden der Elite. Schlagzeilen machte
vergangenes Jahr Präsidentensohn Karim, der, so war es in einem Video zu
sehen, wild auf einer Luxusyacht gefeiert hatte.
In Burkina Faso zeigt sich der dysfunktionale Staat an den zahlreichen
Selbstverteidigungsmilizen wie den Koglweogo. Vor Jahren gründeten sie
sich, um Dörfer in ländlichen Regionen vor Viehdieben zu schützen.
Mittlerweile haben die Hilfssheriffs einen staatlichen Segen und übernehmen
Aufgaben der Polizei, obwohl sie keine Ausbildung haben und es mit
Menschenrechten nicht so genau nehmen.
Im Süden des [2][Nigers] sowie im Norden Nigerias ist indes ein Korridor
entstanden, über den Mitglieder von Terrorgruppen ausgetauscht werden.
Beobachtern zufolge lassen sich über diesen Weg auch Menschen und Drogen
durch die ganze Region schmuggeln. Niemandsland ist auch die Grenze nach
Mali in der Region Tillabéri geworden, in der erst Anfang des Jahres mehr
als 100 Menschen ermordet wurden. Für Sicherheit sorgt dort schon lange
niemand mehr.
Dazu kommen weitere Herausforderungen, etwa Menschenrechtsverletzungen
durch Militär und Polizei. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights
Watch (HRW) hat seit Ende 2019 mehr als 600 Ermordungen durch
Sicherheitskräfte im Zentralsahel dokumentiert, die so gut wie nie
aufgearbeitet werden. Zugenommen haben Ausschreitungen zwischen
verschiedenen Ethnien in Mali und Burkina Faso, die über eigene Kämpfer
verfügen. Auch macht der Klimawandel der Region zu schaffen. Ausbleibende
Regenfälle wie Überschwemmungen sorgen dafür, dass Lebensgrundlagen
wegbrechen. Bei einem Bevölkerungswachstum von bis zu 3,6 Prozent (Niger)
sind diese wichtiger denn je. Das lässt erahnen, wie komplex die Lage im
Sahel ist und dass es keine einfachen – militärischen – Lösungen gibt.
Dennoch ist es leichter, alles auf den Terrorismus zu schieben, statt sich
mit dem Staatsversagen auseinanderzusetzen. Dabei ist vielerorts gar nicht
klar, ob hinter Angriffen Dschihadisten stecken, ob es lokale Banditen oder
organisierte Verbrecherbanden sind, die ganze Regionen unter ihre Kontrolle
bringen wollen, um etwa Drogen zu schmuggeln.
Um militärische Einsätze im Sahel zu rechtfertigen, werden also Ängste
geschürt. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) sagte im
vergangenen Jahr in einem Interview: „Die Sahelzone ist eine
Schlüsselregion für Europas Sicherheit.“ Es ging wohl eher um [3][die
Sorge, dass Westafrikaner*innen weiter über das Mittelmeer nach Europa
kommen]. Dabei findet Migration vor allem in der Region und gemessen an
absoluten Zahlen nur selten in Richtung Europa statt. Dass also
ausgerechnet dort westafrikanische Terroristen künftig Anschläge verüben
sollen, klingt unwahrscheinlich.
Ohnehin sind diese eher regional in Westafrika als international vernetzt.
Sicher, es gibt Ausnahmen wie den aus Algerien stammende Mokhtar
Belmokhtar. Er war Anführer der Bewegung Al-Mourabitoun und gilt als
Drahtzieher für den Anschlag auf das Hotel Radisson Blu in Bamako im Jahr
2015. Doch Terrornetzwerke wie al-Quaida und der Islamische Staat (IS)
sehen Bewegungen aus Westafrika eher als „kleine Brüder“ an, die sich erst
im Terrorkampf beweisen sowie Geld und Waffen mitbringen müssen.
Auch handelt es sich in der Region weniger um überzeugte Dschihadisten,
sondern mehr um Söldner, die sich den Gruppen oft infolge von psychischem
Druck und Einschüchterungen anschließen oder mit der Hoffnung, zu Geld und
Ansehen zu kommen. In Staaten, in denen es kaum soziale Durchlässigkeit
gibt, ist das auf anderem Wege kaum möglich und in den vergangenen Jahren
noch schwieriger geworden.
Deshalb müssen dringend strukturelle Probleme gelöst werden, statt ständig
die Antiterrorkampf-Rhetorik zu bemühen. Dafür braucht es aber
innenpolitischen Willen und umfassende Reformen. Davon ist bisher nichts zu
spüren.
18 Feb 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Katrin Gänsler
## TAGS
Mali
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