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# taz.de -- Häusliche Gewalt im Lockdown: „Wir müssen alle hinschauen“
> Die Fälle häuslicher Gewalt könnten wieder steigen, sagt Berlins grüne
> Fraktionschefin Silke Gebel. Sie fordert einen Notfallcode für Schüler.
Bild: Spielt sich oft im Dunklen ab: Häusliche Gewalt
taz: Frau Gebel, befürchten Sie [1][erneut eine Zunahme] häuslicher Gewalt
im Lockdown?
Silke Gebel: Der Lockdown ist notwendig, birgt aber Risiken und hat
Nebenwirkungen, was sich wahrscheinlich wieder in einer Zunahme häuslicher
Gewalt niederschlägt. Zumal die Weihnachtszeit immer traurige Tage sind,
was häusliche Gewalt angeht.
Sie fordern via Twitter „breite Schutzstrukturen, damit die Kinder und
Jugendlichen, die häusliche Gewalt erleben, gut über den Lockdown kommen“.
Wie sollten die aussehen?
Ich greife hier zum Beispiel den Vorschlag eines Notfallcodes auf, den
Lehrerinnen und Lehrer an ihre Schülerinnen und Schüler kommunizieren
können. Sollten jene dann tatsächlich häusliche Gewalt erfahren, können
sich so diskret an ihre Lehrerinnen und Lehrer wenden mit der Botschaft:
„Hier ist es eskaliert, ich brauche bitte Unterstützung.“
Warum über die Lehrerinnen und Lehrer?
Weil ein Anruf bei der Polizei für viele Kinder und Jugendliche vielleicht
eine Stufe zu hoch ist.
Die Hürde, die die Kinder und Jugendlichen überwinden müssen, ist, ihre
Lehrerinnen und Lehrer anzurufen.
Es kann auch per E-Mail passieren oder über andere Kommunikationswege.
Auf die Lehrerinnen und Lehrer kommen in den nächsten Tagen mit der
Vorbereitung des Homeschoolings viele Aufgaben zu. Sind sie nicht
überfordert, wenn sie jetzt auch noch erste Anlaufstelle für häusliche
Gewalt sein sollen?
In einer funktionierenden Lehrer-Schüler-Beziehung besteht ein großes
Vertrauensverhältnis. Ich glaube, dass Lehrerinnen und Lehrer, die ihren
Beruf mit Leidenschaft begreifen – und ich kenne sehr viele –, bereit sind,
die Aufgabe in dieser Situation auf sich zu nehmen. Viele sorgen sich ja um
ihre Schülerinnen und Schüler. Aber dieser Notfallcode kann natürlich nur
ein Baustein sein. Wir müssen alle Schutzmechanismen hochfahren, damit die
Gewaltspirale nicht so eskaliert wie beim ersten Lockdown.
Was waren die Lehren aus dem ersten Lockdown in dieser Hinsicht?
Ich fand besonders schockierend, dass sich das Dunkelfeld häuslicher Gewalt
erst gegen Ende des ersten Lockdowns gezeigt hat – weil es keine
Kontaktmöglichkeiten gab. Erst im Juni war letztlich klar, wie enorm die
Gewalt zugenommen hatte. Wir brauchen also einen Schutzschirm gegen
häusliche Gewalt, weil wir kein Kind und keine Frau im Stich lassen wollen.
Was könnte Berlin noch schnell umsetzen?
Aus Italien kommt die Idee, dass auch in Supermärkten Gewaltschutzberatung
stattfinden kann. Denn die sind ja weiterhin offen und gehören zu den
wenigen Räumen, in denen Opfer von Gewalt sich noch frei bewegen können.
Wir brauchen eine große Informations- und Awareness-Kampagne. Und die
Polizei muss sich auf vermehrte Einsätze wegen häuslicher Gewalt
vorbereiten und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch stärker für das
Thema sensibilisieren.
Was macht die Politik?
Wir sorgen dafür, dass die Familiengerichte weiter funktionieren und
Familienschutzanträge bearbeiten können. Auch die Jugendämter werden weiter
arbeiten können.
Gerade bei Letzteren gab es im ersten Lockdown das Problem, dass sogar
Diensthandys fehlten.
Ich erwarte, dass die Bildungsverwaltung da nachgebessert hat, und wenn
nicht, muss man die nächsten Tage dringend dafür nutzen, digitale Endgeräte
anzuschaffen. Es kann nicht sein, dass eventuell ein Gewaltvorfall nicht
entdeckt wird, weil es im Jugendamt keine Handys gibt.
Sie haben mehr Awareness – also mehr Aufmerksamkeit für das Thema –
gefordert. Wenn es nicht gelungen ist, jene in der Zeit seit dem ersten
Lockdown im vergangenen Frühjahr zu schaffen, ist es dann nicht jetzt zu
spät?
Den wenigsten Menschen ist klar, wie weit verbreitet häusliche Gewalt in
unserer Gesellschaft ist. Vor wenigen Tagen erst startete eine Kampagne für
die Hilfstelefone. Plakate dafür sollten an allen Stellen hängen, wo
mögliche Opfer erreicht werden können: an BVG-Haltestellen, in Apotheken,
in Supermärkten. Wir müssen alle hinschauen, wenn es in der Nachbarswohnung
laut wird. Man darf das nicht abtun, sondern nachfragen und gegebenenfalls
Hilfe holen.
Aber noch mal: Das klingt, als hätte man es durchaus besser vorbereiten
können.
Rot-Rot-Grün hat die Zufluchtsorte für Frauen, die Gewalt erfahren,
ausgebaut und [2][endlich ein siebtes Frauenhaus] eröffnet. Wir haben
zusätzliche Zufluchtsorte in Hotels aufgebaut: Die müssen weiter bestehen
bleiben. Und ein weiteres Frauenhaus ist im Entstehen. Um nachhaltig Gewalt
zu reduzieren, nehmen wir auch die Täterarbeit in den Fokus: Damit Täter
keine Täter bleiben. Aber es ist darüber hinaus sinnvoll, jetzt weitere
Vorschläge zu machen, die schnell umgesetzt werden können.
Reden über häusliche Gewalt hilft?
Ja. Das Thema muss in die Öffentlichkeit. Je weniger Menschen wegschauen,
desto mehr Menschen wird geholfen.
Ist das auch der Grund dafür, dass Einrichtungen für Kinder wie die Arche
offen bleiben dürfen?
Alle Orte, an die sich Opfer von häuslicher Gewalt wenden können, müssen
ein Angebot aufrechterhalten können, entweder im Freien oder über digitale
Kanäle. Das kann überlebenswichtig sein.
14 Dec 2020
## LINKS
[1] /Soziale-Auswirkungen-von-Corona/!5693532
[2] /Gewalt-gegen-Frauen-und-Kinder/!5728093
## AUTOREN
Bert Schulz
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