# taz.de -- Bahn verweigert Rollstuhl-Mitnahme: Heimreise im Rettungswagen | |
> Eigentlich wollte Susanne Steffgen mit dem Zug fahren. Doch der | |
> Regionalexpress fiel aus und im ICE durfte die Rollstuhlfahrerin nicht | |
> mit. | |
Bild: Wer im Rollstuhl mit der Bahn verreisen will, muss immer noch mit Hindern… | |
HANNOVER taz | Es ist nicht das erste Mal, dass Susanne Steffgen sich über | |
die Deutsche Bahn ärgert. Die 56-Jährige ist linke Ratsherrin in | |
Ganderkesee, durchaus streitbar und viel unterwegs. Obwohl sie aufgrund | |
einer fortschreitenden Nervenerkrankung im Rollstuhl sitzt und auf | |
Sauerstoffversorgung angewiesen ist. | |
Ausgefallene Verbindungen oder nicht funktionierende Aufzüge haben ihr da | |
schon [1][so manches Mal bizarre Um- und Irrwege aufgezwungen.] Aber was | |
ihr am 1. Dezember dieses Jahres im Hauptbahnhof von Hannover passiert ist, | |
habe selbst für sie eine neue Qualität, sagt Steffgen. Eigentlich habe sie | |
dort nur der Familie ihrer Assistentin einen Besuch abstatten wollen – und | |
dann nach einem schönen Tag die Heimreise nach Ganderkesee antreten wollen. | |
Doch der eigentlich eingeplante Regionalexpress um 21.20 Uhr fiel | |
kurzfristig aus. So kurzfristig, dass dies weder in der App noch an der | |
Anzeigetafel bekannt gegeben werden konnte – keine Chance für Steffgen, mal | |
eben umzudisponieren. | |
Sie versuchte ihr Glück also beim am selben Bahnsteig zwanzig Minuten | |
später abfahrenden ICE. Und sie sei auch schon fast im Zug gewesen, erzählt | |
sie. Sie habe im Gang gesessen, während die Assistentin sich mit der Hilfe | |
von herbeigeeilten Zugbegleitern bemüht habe, den 25 Kilo schweren | |
Rollstuhl in den Zug zu wuchten. Der zum Glück über einen freien | |
Rollstuhlplatz verfügte. | |
Normalerweise ist das der Grund, warum man sich als [2][Rollstuhlfahrerin | |
für eine solche Reise anmelden muss] – weil dann ein Hubwagen bereit steht, | |
um den hohen Einstieg des ICE zu überwinden, und der Platz reserviert wird. | |
Das war nun in diesem Fall nicht möglich. Warten aber auch nicht, sagt | |
Steffgen. Die nachfolgenden Verbindungen sollten auch ausfallen, habe sie | |
von anderen Reisenden gehört. Allerdings sei der Sauerstoff zu Neige | |
gegangen und sie habe dringend nach Hause gemusst. | |
Der alarmierte Zugchef sei damit allerdings gar nicht einverstanden | |
gewesen. Er habe sie genötigt, zurück auf den Bahnsteig zu kommen. Sie sei | |
nicht angemeldet und für den Ausstieg in Delmenhorst stünde auch niemand | |
zur Verfügung der ihr helfen könne, habe es zunächst geheißen. | |
Außerdem hatte der Zugführer wohl die Atemnot Steffgens registriert und das | |
rote Blinken der Anzeige am Sauerstofftank – eine Weiterreise erschien ihm | |
da zu riskant, wie die Bahn auch später auf taz-Anfrage noch einmal betont. | |
Das ärgert Steffgen, die sich ein weiteres Mal bevormundet fühlt: „Ich kann | |
das sehr genau einschätzen, wie weit ich mit meinem Sauerstoff noch komme | |
und ich kenne meinen Körper“, sagt sie. „Ich habe denen sogar angeboten zu | |
unterschreiben, dass ich auf eigenes Risiko mitfahre.“ Aber auf so | |
freihändig improvisierte Lösungen mochte sich niemand der Bahnmitarbeiter | |
einlassen. Man habe ihr noch angeboten, einen Rettungswagen zu rufen – die | |
Kundin habe es aber vorgezogen, den Bahnsteig zu verlassen, sagt ein | |
Bahnsprecher, eine weitere Unterstützung sei daher nicht möglich gewesen. | |
Den Rettungswagen rief dann Susanne Steffgens Assistentin wenig später. | |
Durch die Aufregung und den Stress hatte sich Steffgens Zustand | |
verschlechtert. Die Notärztin wollte sie zunächst in ein Krankenhaus | |
bringen lassen. Doch Steffgen wollte nur nach Hause. | |
## 600 Euro kostet die Fahrt im Rettungswagen | |
Dazu musste einer der wenigen Rettungswagen angefordert werden, die über | |
einen Rollstuhlplatz verfügen, sagt sie. Rund 600 Euro kostete die | |
Heimreise damit. | |
Die Kosten solle die Deutschen Bahn übernehmen, findet Steffgen – die ja | |
immerhin in anderen Fällen, wenn Fahrgäste aufgrund von Zugausfällen | |
irgendwo stranden, auch für Hotelübernachtungen oder alternative | |
Transportmittel aufkommen muss. | |
„Ich finde es nicht einzusehen, dass meine Krankenkasse – und damit | |
letztlich die Allgemeinheit – das jetzt übernehmen muss“, sagt Steffgen. | |
Das, sagt ein Sprecher der Deutschen Bahn, würde nun geprüft. Man bedaure | |
sehr, dass die Reise der Kundin so unglücklich verlaufen sei. Die | |
hauseigene Kontaktstelle für Behindertenangelegenheiten habe sich schon mit | |
Susanne Steffgen in Verbindung gesetzt. Auch das nicht zum ersten Mal. | |
9 Dec 2020 | |
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## AUTOREN | |
Nadine Conti | |
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