# taz.de -- Mieter gegen Nachverdichtung: Kampf um eine Kiezoase | |
> In Friedrichshain wehren sich Mieter*innen gegen die Pläne der | |
> landeseigenen WBM, die ihren grünen Innenhof und Nachbarschaftstreffpunkt | |
> bebauen will. | |
Bild: Diana Böhme von der Initiative „Erhaltet unsere grünen Friedrichshain… | |
Berlin-Friedrichshain. Auf der Landsberger Allee zeichnet sich ein | |
berlintypisches Bild ab: Dutzende Autos sausen im Sekundentakt die Straße | |
hinunter, links und rechts ranken sich Baugerüste an den Häuserfassaden | |
entlang, Kipplaster am Straßenrand runden das Bild der nie fertigen Stadt | |
ab. | |
Nur zwei Querstraßen weiter bekommt man jedoch ein anderes Berlingefühl: | |
Hier – in der Pintschstraße – ist der Lärm der Autos und Baustellen fast | |
nicht mehr zu hören. Einige Meter die Straße hinunter grüßen sechs mächtige | |
Pappeln, die von zwei Häuserfronten eingerahmt sind. Sie sind durch bunte | |
Girlanden verbunden, haben selbst gemalte Schilder umgehängt und eröffnen | |
den Blick auf einen hinter ihnen liegenden Innenhof. | |
Bei näherer Betrachtung entpuppt sich das, was hinter den Bäumen liegt, als | |
kleines Idyll in der Großstadt. Zwischen dem beiseitegeharkten Laub sind | |
etliche kleine und große Blumenbeete angelegt, große Bäume stehen in dem | |
Hof, eine Bank lädt zum Sitzen ein, und ein kleiner Weg führt zu einem | |
Rondell aus Efeu, das – wie ein Schild verrät – Igel beheimatet. Weiter | |
hinten findet man eine Tischtennisplatte, einen Sandkasten und noch mehr | |
Sitzgelegenheiten, die so aussehen, als würden sie sich zu wärmeren | |
Jahreszeiten ideal für einen Plausch bei Kaffee und Kuchen eignen. | |
Wer sich selbst ein Bild von dieser Szenerie machen will, sollte sich | |
allerdings beeilen. Die Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte (WBM) plant | |
nämlich einen Neubau mit 29 Wohnungen auf dem Innenhof, der mit einer | |
Grundfläche von 430 Quadratmetern einen Großteil der Fläche inklusive der | |
Pappeln und des „Igel-Rondells“ schlucken würde. | |
## Glücksgefühl im Garten Eden | |
Viele Nachbar:innen seien geschockt gewesen, als sie 2018 das erste Mal von | |
der WBM über das Bauvorhaben informiert wurden, erzählt Diana Böhme von der | |
Initiative „Erhaltet unsere Grünen Friedrichshainer Innenhöfe“. Böhme ist | |
vor sieben Jahren aus Hellersdorf nach Friedrichshain gezogen. „Erst habe | |
ich gedacht, dass man in Friedrichshain auch keinen Baum vor der Nase hat“, | |
sagt Böhme. | |
Entgegen ihrer ersten Vermutung stellte sich der Innenhof dann jedoch als | |
eine Art „Garten Eden“ heraus. Böhme erzählt von dem „Glücksgefühl“… | |
die „großen rauschenden Bäume“ verursachten, und von dem Charakter der | |
Fläche, die sich längst vom einfachen Innenhof zur „sozialen | |
Begegnungsstätte“ gewandelt hätte, um die sich kollektiv gekümmert wird und | |
wo Anwohner:innnen regelmäßig zusammenkommen. „Es ist wirklich eine Oase“, | |
sagt Böhme. | |
Als die WBM die Anwohner:innen über die geplante Bebauung des Innenhofes | |
informierte, gründete Böhme zusammen mit anderen Mieter:innen Ende 2018 die | |
Initiative für den Erhalt der Fläche. Auf deren Blog lässt sich der | |
mittlerweile erstaunlich lange Verlauf ihres Kampfes gegen die | |
„quantitative Nachverdichtung der Stadt“ ablesen. Böhme berichtet von der | |
ersten kollektiven Anstrengung der Initiative, die es mit vielen Wochen | |
Arbeit geschafft hat, im Februar 2019 einen Einwohnerantrag mit dem Ziel | |
einer Umweltprüfung des Bauvorhabens, zusammen mit über 1.300 | |
Unterschriften von Unterstützer:innen, in die Bezirksverordnetenversammlung | |
(BVV) Friedrichshain-Kreuzberg einzubringen. | |
Der Antrag wurde angenommen und die Umweltprüfung beschlossen, das Anliegen | |
der Anwohner:innen dann aber vom Haushaltsausschuss aus finanziellen | |
Gründen abgelehnt. „Wir waren geschockt. Wie das gelaufen ist, war Mist“, | |
sagt Böhme rückblickend. | |
Auf Anfrage der taz begründet Bezirksstadtrat Florian Schmidt (Grüne) die | |
Ablehnung der Umweltprüfung damit, dass diese „keine Auswirkung auf die | |
bestehende baurechtliche Situation an diesem Standort und den | |
Rechtsanspruch der Bauherrin“ gehabt hätte. Auf die Frage, ob eine | |
Umweltprüfung bei Bauvorhaben, die bestehende Grünflächen zerstören, nicht | |
generell sinnvoll sei, verweist Schmidt zwar darauf, dass bei „neu zu | |
schaffendem Baurecht“ auch „vom Gesetz ein Umweltbericht“ vorgesehen ist, | |
im geltenden Baurecht jedoch ein „Rechtsanspruch des Grundeigentümers“ auf | |
eine Baugenehmigung bestehe. | |
Für Diana Böhme reichen diese Antworten nicht aus. Die Frage sei nicht, „ob | |
gebaut werden muss, sondern wo und wie“. Das Bauvorhaben würde aktiv Mensch | |
und Natur gefährden, da es einerseits viele alte, teilweise | |
pflegebedürftige Menschen dort gebe, die ganz praktisch auf die Kühlung | |
durch die Bäume im Sommer angewiesen seien, und andererseits, wie eine | |
Rufanalyse der Stiftung Naturschutz ergeben habe, mehrere gefährdete | |
Fledermausarten den Innenhof als Jagdhabitat aufsuchen, was mit einem | |
Neubau wegfallen würde. | |
„Es ist klar (und bedauerlich), dass die Nachverdichtung für die | |
betroffenen Anwohner*innen immer eine Veränderung im gewohnten Umfeld | |
bedeutet und damit auch eine Herausforderung ist“, erklärt Florian Schmidt. | |
Um aber das im Koalitionsvertrag angegebene Ziel von 20.000 neuen Wohnungen | |
pro Jahr zu erreichen, „muss auch nachverdichtet werden“. | |
Dass Berlin einem akuten Wohnungsmangel ausgesetzt ist, bestreitet die | |
Initiative nicht, auf ihrer Website betont sie, dass es „nicht um die | |
Verhinderung sozialen Wohnraums geht“. „Es wird aber nicht überlegt, wo | |
gebaut wird“, sagt Böhme. Vor allem in Friedrichshain-Kreuzberg, dem | |
Bezirk, der nach Angaben der Senatsverwaltung für Umwelt sowohl in Sachen | |
öffentlicher Grünanlagen als auch wohnungsnaher Grünflächen Berliner | |
Schlusslicht ist, sollte der Senat „ganz genau hingucken“, bevor bestehende | |
grüne Flecken bebaut würden, so Böhme. | |
## Zuerst fallen die Pappeln | |
Auch wenn die Initiative zum Erhalt des Innenhofes in der BVV mit ihrem | |
Anliegen gescheitert ist, versucht sie weiter, politischen Druck auszuüben. | |
Besuche von Parteitagen und Konferenzen der Grünen und Linken waren bereits | |
auf dem Programm, dazu Brandbriefe an die landeseigenen | |
Wohnungsbaugesellschaften und den Senat. Auch im Kiez werden weiter | |
Unterschriften gesammelt, und mit kreativen Aktionen wie einer Baumtaufe, | |
bei der den Bäumen Namen aus den 70er Jahren – ihrem Geburtsjahrzehnt – | |
gegeben wurden, wird weiter versucht, Menschen auf den drohenden Verlust | |
des Innenhofes aufmerksam zu machen. | |
Mittlerweile haben sich zwölf weitere Anwohner:innen- und | |
Mietergemeinschaften mit ähnlichen Anliegen auch aus anderen Bezirken zu | |
einer vereinigten Bürgerinitiative zusammengeschlossen. In dem gemeinsamen | |
Engagement sieht Böhme einen Lichtblick: „Das Ganze hat völlig fremde Leute | |
zusammengebracht, die sich sonst vielleicht niemals gesehen und miteinander | |
geredet hätten.“ Zusammen wollen sie für den Erhalt ihrer Kiezoasen | |
kämpfen. „Wir wollen, dass die Flächen erhalten und ausgebaut werden, | |
vielleicht könnte man ein Urban-Gardening-Projekt hieraus machen“, so Böhme | |
mit Blick auf die Zukunft. | |
Im vierten Quartal 2021 sollen laut WBM die Bauarbeiten auf dem Innenhof | |
neben der Pintschstraße 9 beginnen. Zuerst würden dem vordringenden | |
Großstadtdschungel wohl die sechs Pappeln zum Opfer fallen, die für den | |
Neubau gefällt werden sollen. Die WBM wird allerdings mit Widerstand | |
rechnen müssen. „Wir werden weiter Aktionen machen“, sagt Böhme | |
entschlossen. Für sie ist klar, was wichtig ist: „Gerade in Zeiten des | |
Klimawandels müssen wir Grünflächen erhalten, besonders die wohnungsnahen.“ | |
1 Dec 2020 | |
## AUTOREN | |
Roberto Sanchino Martinez | |
## TAGS | |
Florian Schmidt | |
Mieterinitiativen | |
Wohnungsbau | |
Friedrichshain | |
Miete | |
Wohnungsbau | |
Bäume | |
Wohnungsbau | |
Florian Schmidt | |
Stadtnatur | |
Kolumne Wirtschaftsweisen | |
Parks | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Nachverdichtung in Berlin: Wohnen statt Freizeit | |
Eine Sporthalle im Märkischen Viertel soll nach 40 Jahren abgerissen | |
werden. Dabei erfüllt die Sporthalle auch soziale Funktionen im Viertel. | |
Umstrittenes Bauprojekt in Pankow: Bäume fällen mit Umwegen | |
Eine Bürgerinitiative kämpft gegen ein Projekt der Gesobau. Die hat nach | |
einem „Nein“ des Bezirks die Gebäude zur Flüchtlingsunterkunft deklariert. | |
Bäume in Friedrichshain besetzt: Buhrufe gegen Kettensägen | |
Die Initiative „Erhaltet unsere grünen Friedrichshainer Innenhöfe“ kämpft | |
für den Erhalt von Bäumen. Montag rückte die Polizei an. Rodung steht | |
bevor. | |
Florian Schmidt und die Ermittlungen: Kulturkampf? Nein, Diffamierung | |
Die Ermittlungen gegen den grünen Baustadtrat Florian Schmidt wurden | |
eingestellt. Die Opposition polemisiert trotzdem weiter. | |
Kampf für Grünflächen in Berlin: Der Baustadtrat erscheint nicht | |
Eine Initiative versucht vergeblich, Unterschriften für den Erhalt einer | |
Grünfläche am Kreuzberger Rathaus zu übergeben. | |
Kolumne Wirtschaftsweisen: Pankower Grünvernichtung | |
In Pankow soll eine baumbestandene Grünfläche zwischen Wohnblöcken bebaut | |
werden. Die Mieter*innen der landeseigenen Wohnungen wehren sich. | |
Berliner Stadtgrün-Politik: Es könnte grüner werden | |
Die wachsende Stadt braucht mehr Wohnraum – aber auch mehr Grünflächen. Die | |
„Charta für das Berliner Stadtgrün“ soll das Dilemma auflösen. |