# taz.de -- Kolumne Wirtschaftsweisen: Pankower Grünvernichtung | |
> In Pankow soll eine baumbestandene Grünfläche zwischen Wohnblöcken bebaut | |
> werden. Die Mieter*innen der landeseigenen Wohnungen wehren sich. | |
Bild: Kastanienbäume sollen in Pankow der Nachverdichtung weichen | |
Zwischen Kavalierstraße, Am Schlosspark und Ossietzkystraße errichtete das | |
Nationale Aufbauwerk in den fünfziger Jahren eine Siedlung bestehend aus | |
neun Blöcken, die eine große Grünfläche umranden. Es wachsen dort 110 | |
Bäume, darunter mehrere 200 Jahre alte Kastanien. | |
Die Anwohner, teilweise noch Erstmieter, pflanzten einst selbst einige | |
Bäume. Als sie nun zwei Apfelbäume pflanzten, ließ der Besitzer, die aus | |
Westberlin über sie gekommene stadteigene Gesobau, die 42.000 Wohnungen in | |
der Stadt „betreut“, diese entfernen. | |
Denn auf der Grünfläche zwischen den neun Wohnblöcke, zu der noch ein | |
Kinderspielplatz für die fünf Kitas ringsum gehört, sollen weitere | |
Wohnhäuser entstehen. Eine Birke wurde bereits gefällt, die Anwohner nutzen | |
die Holzstücke zum Sitzen. Jeden Sonntag findet unter den Bäumen ein | |
Konzert statt, organisiert von der Bürgerinitiative Grüner Kiez Pankow, die | |
gegen das Verschwinden ihrer „Wohngrünfläche“ kämpft und gegen die | |
Verschattung durch die Neubauten. Sie hat dort ein Hochbeet bepflanzt, ein | |
Bücherregal eingerichtet und sich mit zwölf Berliner Bürgerinitiativen | |
zusammengetan, die sich ebenfalls gegen „Nachverdichtungen“ wehren. | |
Die Gesobau war eines Tages gekommen, hatte auf der Grünfläche ein Zelt | |
aufgestellt und verkündet: Hier wird jetzt gebaut, wobei sie von einem | |
„Partizipationsverfahren“ unter Ausschluss einer „Nullvariante“ sprach. | |
Daraufhin stellten die Mieter einen Bürgerantrag bei der BVV, die dann | |
ebenfalls für ein „Partizipationsverfahrn ohne Nullvariante“ war. | |
Eine Mieterin berichtet: „Die ersten Partizipationsverfahren fanden in | |
Schulaulen statt, aber wegen Corona verschickte die Gesobau dann nur | |
Partizipationsfragebögen. Da sollte man ankreuzen, ob man zum Beispiel | |
einen Bouleplatz und einen Fahrradständer wolle.“ | |
Mit Aushängen in den Wohnhäusern machte die Gesobau darauf aufmerksam, dass | |
die Birkenhocker und das Hochbeet gegen die „Verkehrssicherheit“ verstoßen | |
würden. Tatsächlich fuhr der Objektbetreuer mit seinem Auto auf die | |
Grünfläche: „Das darf ich, ist ein Privatgrundstück!“ | |
Die BI erinnerte daran, dass die Bundesregierung die Flächenversiegelung | |
von 60 Hektar täglich auf null senken will. In der Klimaforschung wird | |
sogar davon ausgegangen, dass man, wo es nur geht, Flächen entsiegeln muss, | |
um das weniger werdende Regenwasser in die Erde und nicht in die | |
Abwasserkanäle zu leiten. | |
In der Bezirksverordnetenversammlung des Bezirks Pankow bilden die | |
Vertreter der Grünen, der Linken und der SPD eine Zählgemeinschaft. Die | |
schlägt der BI jetzt einen Runden Tisch mit der Gesobau und einem | |
Staatssekretär des Bausenats vor. | |
2016 hatte sich bereits das Mietermagazin über die „wildwüchsigen | |
Nachverdichtungen“ mokiert. Darin hieß es in etwa: Weil es keinen | |
Bebauungsplan gibt, können die Privateigentümer tun, was sie wollen und die | |
Behörde in Pankow muss es genehmigen. Da gibt es z. B. den Filmproduzenten | |
Lars Dittrich, der das Haus Torstraße 39 im „Milieuschutzgebiet“ erwarb und | |
erst einmal die Fassade malern ließ: Das Geld dafür holte er sich nach dem | |
Vorbild des Architekten Reinhard Müller, Chef des EUREF-Gasometers in | |
Schöneberg, mit einem Riesenwerbebanner am Gerüst herein, das den Mietern | |
fünf Monate lang die Sicht versperrte. | |
## Einen Riegel vorschieben | |
Nun will er ihnen im Hinterhof einen Riegel vorschieben: mit einem | |
6-stöckigen Bürogebäude. Das ist eher eine Vernichtung von Lebensqualität | |
als eine Verdichtung der Bebauung, zumal es bereits knapp eine Million | |
Quadratmeter Büroflächen in der Stadt gibt, die leer stehen, nicht zuletzt, | |
weil immer mehr Beschäftigte zu Hause arbeiten. | |
In der Torstraße 39 wurde dem Zahnarzt gekündigt und neue Mieter zahlen | |
statt wie bisher 300 Euro monatlich nun 1.200 Euro. Eine Mieterin schrieb | |
auf Facebook: „Was hier geschieht, ist Verdrängung durch Zermürbung und | |
brutale Kapitalverwertung.“ | |
6 Sep 2020 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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