# taz.de -- Bombige Begegnung in Berlin: „Irre gibt es überall“ | |
> In einem beschaulichen Viertel wird eine Bombe gefunden. Gäste eines | |
> Restaurants verfolgen die Bergung mit einem Gläschen Sekt. | |
Bild: Sprengmeister Matthias Rabe nach der Bergung einer Bombe in Berlin 2015 | |
Der Prager Platz befindet sich im CDU-Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf. | |
Früher sprach man von „Wilmersdorfer Witwen“, inzwischen leben dort aber | |
auch viele Unverheiratete und sogar einige Arme. Weil die meisten Straßen | |
hohe Bäume und breite Vorgärten haben, leben dort zudem viele Kaninchen, | |
Eichhörnchen, Amseln und Spatzen. Außerdem scheint das Grünflächenamt des | |
Bezirks im Gegensatz zum Friedrichshain-Kreuzberger noch Ehrgeiz zu haben: | |
Der verkehrsberuhigte Prager Platz mit Brunnen und Fontäne wird jedenfalls | |
regelmäßig mit bunten Blumen bepflanzt. | |
Kürzlich gingen wir dort hungrig zum „Italiener“. Kaum hatten wir draußen | |
Platz genommen, fuhr ein Polizeiwagen nach dem anderen vor und sperrte das | |
gegenüberliegende Haus großräumig mit rotweißen Plastikbändern ab, danach | |
standen die Polizist:innen müßig in der Gegend herum. Neben uns meinte | |
jemand: „Die warten auf die Spusi, die Spurensicherung. Ich kenn mich da | |
aus, weil ich keinen ‚Tatort‘ verpasse.“ Schließlich kam einer der | |
Polizisten rüber. Er sprach mit dem Wirt, und der bat uns daraufhin, alles | |
stehen und liegen zu lassen und 30 Meter weiter in der Prinzregentenstraße | |
zu warten; wir säßen zu nah am Einsatzort. | |
Alle fügten sich. Der Wirt ließ uns erst von seinen Kellnern Gläser mit | |
Sekt bringen und spielte dann den Verbindungsmann zur Polizei, um uns | |
Neuigkeiten vom Einsatzort mitteilen zu können: Dort wartete man. Dann | |
gesellte sich ein Polizist zu uns, der uns erst noch etwas weiter | |
scheuchte, aber dann bereitwillig Auskunft gab: Am Haus sei ein Gegenstand | |
gefunden worden, der eine Bombe sein könnte; zur Sicherheit sollten wir in | |
gebührendem Abstand bleiben. Noch wisse man nichts Genaueres und [1][warte | |
auf den Sprengmeister]. | |
Als der kam, breitete sich angespanntes Schweigen unter den mit Sektglas in | |
der Hand stehenden Gästen aus. „Hoffentlich ist es keine Atombombe in | |
Koffergröße“, meinte einer. Weil man ihn sofort der Panikmache bezichtigte, | |
fügte er hinzu, dass er gerade ein Buch von einer CIA-Agentin gelesen habe, | |
die in Bagdad hinter solchen Kofferbomben her war, die angeblich in | |
Russland hergestellt werden. „Natürlich, die Russen wieder“, empörte sich | |
ein Gast in Hörweite, der an seiner Aussprache erkennbar aus Russland | |
stammte. | |
## Schnelle und präzise Arbeit | |
Der Sprengmeister leistete anscheinend schnelle und gute Arbeit. Denn kurz | |
darauf rollten die Einsatzkräfte das Absperrband ein, stiegen in ihre Autos | |
und fuhren weg. Wir nahmen wieder Platz beim „Italiener“, einige Gäste | |
waren inzwischen nach Hause gegangen. Obwohl sie noch nicht bezahlt hatten, | |
war der Wirt zuversichtlich, dass sie am nächsten Tag wiederkämen: „Wir | |
sind hier in Wilmersdorf, da geht es ehrlicher als anderswo in Berlin zu“, | |
meinte er. | |
Als wir was zu Essen und Trinken bestellten, erzählte uns der Kellner, dass | |
es sich bei der Bombe um eine Gasflasche mit Zeitschaltuhr gehandelt habe. | |
Der Sprengmeister hätte sie „entschärft und dann im Auto mitgenommen“. | |
Unser Gespräch am Tisch drehte sich dann um das Motiv: Was könnte es für | |
einen Grund geben, das Mietshaus gegenüber in die Luft zu sprengen, außer | |
dass es architektonisch missraten war? Aber vielleicht war es gar keine | |
Bombe, sondern, wie so oft, falscher Alarm? Und die Zeitschaltuhr war bloß | |
ein zur Gasflasche gehörender Druckmesser? Brauchte es nicht außerdem auch | |
noch einen Zünder, um das Ding explodieren zu lassen? | |
Weil wir uns keinen Reim auf den Bombenalarm machen konnten, wechselten wir | |
das Thema und sprachen über ältere Wilmersdorfer Männer und ihre jungen | |
Frauen. Einige dieser Paare saßen an den Nebentischen. So weit wir das | |
akustisch mitbekamen, machten sie sich Gedanken über den oder die Täter. | |
Eine junge Frau fragte ihren Mann: „Wer kann denn so etwas Schreckliches | |
planen und dann noch an unserem schönen Prager Platz?“ „Irre gibt’s | |
überall“, erwiderte er. | |
19 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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