# taz.de -- Über patriarchalische Mobilität: Eine Huskymeute mitten in Berlin | |
> Eine Kolumne über Karawanen und Schlittenhunde – und ein Berliner | |
> Pferdehotel. Helmut Höge schreibt über patriarchalische Mobilität. | |
Bild: Kein Sommer, nicht Berlin, aber passend zur Kolumne: Huskies auf der Schw… | |
Schon bei der kleinsten Karawane setzt sich die traditionelle | |
Geschlechtertrennung durch: Ein Mann, möglichst mit Bart, geht mit dem | |
Packpferd oder dem Leithund voran, die Frau geht mit Kind und Kegel | |
hinterdrein. So kürzlich wieder geschehen, als kleine „nomadische | |
Kriegsmaschine“ mit Kamel am Zügel, die auf dem Weg in die Hauptstadt bei | |
Greifswald Quartier machte, was einen „nächtlichen Polizeieinsatz“ | |
auslöste. | |
Man weiß nicht, wo das Kamel herkam, aber die Frau stammte aus Polen und | |
der Mann aus Frankreich. „Sie nutzten nach eigenen Angaben das Kamel als | |
Lastenträger auf ihrer Wanderung“, wie der Tagesspiegel aus Polizeiquellen | |
erfuhr. Der Polizeisprecher in der Leitstelle Neubrandenburg verteidigte | |
den Einsatz: „So ein Paar mit Kamel fällt hier auf, wir hatten schon | |
mehrere Anrufe von besorgten Leuten.“ | |
Unsere Hunderte Anrufe und Mails, gerichtet an verschiedenste Leitstellen | |
in den letzten 20 Jahren, in denen wir sie anflehten, endlich | |
einzuschreiten – bei den ganzen Burgen und Schlössern in Ostdeutschland, | |
bevor die Nachfahren der einstigen Krautjunker sich auch noch diese letzten | |
volkseigenen Luxusimmobilien unter den Nagel rissen –, lösten keinen | |
einzigen Einsatz aus. Gegen deren Penetration des Ostraums war doch die | |
nach Westen orientierte polnisch-französische Minikarawane wahrlich ein | |
Witz. | |
Vor einiger Zeit war es ein norddeutsches Pärchen mit Eseln, das nach | |
Sibirien wollte. Hinter Strausberg liefen ihm in einem Quartier die vier | |
Esel weg, aber die beiden konnten sie wieder einfangen. Dennoch kann man | |
sich fragen, ob Sibirien den Eseln guttun wird. Schon viele Nordwanderer – | |
Polarforscher und solche, die es werden wollten – haben ihre „Expeditionen�… | |
mit Ponys durchgeführt – statt mit Schlittenhunden. Alle scheiterten, die | |
Pferdchen starben an Hunger und Kälte. | |
## Schlittenhunde im Sommer | |
Der norwegische Polarforscher Roald Amundsen wollte einmal Eisbären vor | |
seine Schlitten spannen, und Hagenbeck ließ schon mal ein Dutzend | |
trainieren, aber dann kam der Deal doch nicht zustande, weil Hagenbecks | |
Dompteur die Eisbären nicht mit in die Arktis begleiten wollte. | |
An der „Brandenburger Torheit“ hielt sich eine Weile lang ein Mann auf, der | |
ein kleines Rudel Huskys und einen Schlitten dabeihatte – auch im Sommer. | |
Vielleicht wartete er auf Schnee, um weiterzuziehen. Seine Hunde warteten | |
ganz sicher darauf, denn es war ihnen zu heiß dort. Aber ich vermute eher, | |
dass er mit seiner Huskymeute vereinsamt war und vorm Brandenburger Tor | |
versuchte, mit anderen Vereinsamten und Touristen, die sich dort ebenfalls | |
gerne aufhalten, in Kontakt zu kommen. | |
Man wird dort leicht in ein Gespräch über die „Mauertoten“ und die | |
kommunistische „Diktatur“ verwickelt. Dem Schlittenmann fehlte eine Frau, | |
um arktisch zu nomadisieren, auch auf sie mochte er an diesem immer wieder | |
wie magisch „BRD-Regimekritiker“ anziehenden „Nicht-Ort“ (Marc Augé) | |
hoffen. | |
Auch dem Bauer Emil Kort fehlte für eine echte Karawane eine Frau – seine | |
Frau. Sie fand das Nomadisieren blöd und war zu Hause in Kampehl geblieben, | |
einem Ortsteil von Neustadt (Dosse). Die Volkspolizei hatte ihrem Mann den | |
Führerschein abgenommen, und um nicht im Dorf festgenagelt zu sein, spannte | |
er eines seiner Pferde vor einen kleinen Wagen und fuhr über Land. Tagsüber | |
kehrte er gerne in Dorfgasthäuser ein, abends bat er den erstbesten Pastor | |
um einen Schlafplatz. Als er wieder in Kampehl war, schrieb er einen | |
Reisebericht, den er Stefan Heym schickte. „Ich wusste gar nicht, dass es | |
so viele Kneipen in der DDR gibt“, meinte der. | |
## Mit Pferd und Esel auf Tour | |
Einmal wanderten eine Freundin und ich mit Pferd und Esel durch | |
Norditalien, der Esel trug ihre Sachen, das Pferd meine, aber den Esel | |
hielt sie nicht am Halfter, er lief frei – mal trabte er voran, mal blieb | |
er zurück, guckte in jedes Café und in jeden Hausflur. Ich weiß nicht mehr, | |
ob meine Freundin nomadenmäßig hinter mir ging, erinnere mich aber, dass | |
sie Blasen an den Füßen hatte und kein Wort darüber verlor, was einen | |
starken Eindruck auf mich machte. Wegen des unternehmungslustigen Esels mit | |
wenig Gepäck auf dem Rücken war unsere Wanderung keine ordentliche | |
Karawane, eher ein langer Spaziergang vom Brenner nach Arezzo. | |
Eine der interessantesten Berliner Schriftstellerinnen, Emine Sevgi | |
Özdamar, die an der Volksbühne arbeitete und im Wedding wohnte, schrieb | |
einen biografischen Roman mit dem Titel „Das Leben ist eine Karawanserei, | |
hat zwei Türen, aus einer kam ich rein, aus der anderen ging ich raus“. | |
Karawansereien sind institutionalisierte Raststätten für Nomaden. In | |
Berlin gab es eine vier Stockwerke hohe, von der noch ein Foto existiert. | |
Die Landesbildstelle hat das Gebäude „Pferdehotel“ genannt. Ähnlich wie | |
heute das Nachwendewohnhaus in der Reichenberger Straße, in dem man sein | |
Auto mit dem Fahrstuhl in seine Wohnung mitnehmen kann, musste man im | |
Charlottenburger Pferdehotel 1910 seinen Gaul mit aufs Zimmer nehmen. Und | |
es gab dort keine Doppelbetten, mitreisende Frauen waren also wohl nicht | |
vorgesehen. Ohne sie ist man jedoch bloß ein blöder Reiter. | |
Neuerdings macht sich ein Forschungstrend bemerkbar, der die Karawanen | |
bildenden Nomaden im Gegensatz zu den barbarischen Stadtstaaten als den | |
wahren Hort der Zivilisation begreift. Das erhellt in gewisser Weise den | |
barbarischen Polizeieinsatz in Vorpommern gegen ein Kamel. | |
12 Jul 2020 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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