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# taz.de -- Kolumne Wirtschaftsweisen: Geschlechtsverkehr am Wattenmeer
> Aus erzieherischen Gründen gegen Anglizismen: „Höhere Gehälter für
> Pflegepersonal“ vermittelt sich besser als „Higher salaries for
> caregivers!“
Bild: Sprachlicher Kompromiss auf Demobanner, 1. Mai 2020 in Berlin
Selbst die kleinste Kunstgalerie betitelt ihre Ausstellungen inzwischen auf
Englisch – „In the heart of the West“ oder „Diversity United“ zum Bei…
Die Hiesigen sprechen bis auf wenige alle Englisch, und von den Ausländern
– meist Touristen – wird gesagt, dass die Sprache in den sozialen Medien
sich sowieso angloamerikanisiert.
Kürzlich fand am Brandenburger Tor eine „Demo“ statt, bei der nur noch
englische Wörter auf den Transparenten standen. Ich konnte es auf Facebook
nicht unterlassen, mich über diesen um sich greifenden PC-Trend zu
mokieren. Woraufhin mich jemand streng anging, was ich denn für ein Typ
sei: in der taz publiziere, RT gucke und eine arische Sprache verlange.
Ich verstand, das Deutsche war für ihn Nazisprache. Auch dass die Nazis
sich als „Arier“ begriffen und SS-Expeditionen ausrüsteten, um im Himalaja
und in Afghanistan nach Ur-Ariern zu suchen, wusste ich, aber nicht, was
eine „arische Sprache“ sein sollte. Auf Wikipedia gibt es sie sogar im
Plural: Die indoiranischen Sprachen, früher als „arische Sprachen“
bezeichnet, bilden einen Primärzweig des Indogermanischen. Die
indoiranische Sprachfamilie besteht aus den Hauptzweigen Iranisch,
Nuristani, Indoarisch, die von insgesamt über eine Milliarde Menschen
gesprochen werden.
Die arischen Sprachen entwickelten sich vor den germanischen. Meine
Forderung nach Protestparolen auf Deutsch war aber weder
altdeutsch-nationalistisch gemeint, noch bedeutete sie „Deutsche helfen
Deutschen“.
Mein Wunsch nach Vermeidung von Anglizismen war höchstens altmodisch
erzieherisch: Die Passanten sollen aufgeklärt werden über die Notwendigkeit
dieser oder jener Forderung: „Mieten runter!“ oder „Keine Rinderzucht auf
Regenwaldböden!“ zum Beispiel. Auch „Höhere Gehälter für Pflegepersonal…
vermittelt sich Vorübergehenden und Polizisten doch viel eindeutiger als
„Higher salaries for caregivers!“. Beim Wort „Pflegepersonal“ hat man
sofort konkrete Bilder vor Augen.
Vor einiger Zeit hatte ich schon zu bedenken gegeben, dass diese
Anglifizierung der deutschen Sprache doch im Zuge des amerikanischen
Imperialismus geschieht. Ein Kollege antwortete mir kurz: US-Imperialismus
– „darauf habe ich nur gewartet“. Das hörte sich an wie: Der Imperialism…
ist doch längst aus der Mode.
Ein anderer Kritiker verortete mich nicht bei den Ariern oder den
„Antiimps“, sondern bei Gender-Gegnern wie dem Berliner Linguisten Peter
Eisenberg, der davon ausgeht: „Die Genderfraktion verachtet die deutsche
Sprache“ – aber nicht zwangsläufig auf amerikanischem Englisch. Im
Gegenteil: Zwar kommt der Genderism aus den USA, aber hierzulande ist er
wesentlich ein Deutsch-Schreib- und -Titelproblem. Er, Eisenberg, sei zwar
kein „Hardliner“, doch er müsse die Sprache, die er liebt, verteidigen.
Etwa gegen den Genderstern, sagte er. Die deutsche Sprache „lieben“, davon
kann bei mir keine Rede sein.
Ich verstehe, dass durch täglich ins Deutsche hinzukommende Anglizismen
„unsere“ Sprache peu à peu mit neuen Bedeutungen aufgeladen wird: zum
Beispiel von „Dauerlauf“ (Schweiß, stinkig, unschön, aber sportlich) zu
„Jogging“ (technisch und modisch ausgerüstet, entstressend, schön) oder v…
„Heimarbeit“ zu „Homeoffice“.
Wenn man aber guten Willens ist, kann man die hiesige Angloamerikanisierung
(bei der aus Entschuldigung „Sorry“ und aus Genau! „Exactly“ wurde), au…
als „Deep Antifa“ verstehen. Die gegen Neonazis vorgehende Antifa wäre
demnach eine eher oberflächliche Variante dieses „Kampfes“, während die
zunehmende Ersetzung der deutschen Wörter durch Anglizismen in die Tiefe
ginge, in das Denken mit Wörtern – deswegen: „Deep Antifa“. Ich halte ei…
solche PC-Arbeit an der Sprache jedoch für überschätzt.
An der mit egalitärem Geist gegründeten Bremer Universität duzten sich
alle, aber schon den ersten jungen Dozenten Ende der siebziger Jahre gelang
es, ihr Duzen distanzierter klingen zu lassen als ein Siezen und dazu jede
Menge Anglizismen „von drüben“ einzuflechten.
Fast so wie die Modemacherin Jil Sander, die der FAZ mitteilte: „Mein Leben
ist eine giving-story. Ich habe verstanden, dass man contemporary sein
muss, future-Denken haben muss …Und für den Erfolg war mein coordinated
concept entscheidend, die Idee, daß man viele Teile einer collection
miteinander combinen kann. Aber die audience hat das alles von Anfang an
auch supported. Der problembewusste Mensch von heute kann diese Sachen,
diese refined Qualitäten mit spirit eben auch appreciaten. Allerdings geht
unser voice auf bestimmte Zielgruppen.“
Immer seltener trifft man auf Leute, die noch einen ganz anderen spirit
appreciaten – wie ein Kneipenbesitzer bei Husum, der seinen Cocktail nicht
„Sex on the Beach“, sondern „Geschlechtsverkehr am Wattenmeer“ nennt.
20 Jun 2021
## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
Kolumne Wirtschaftsweisen
Anglizismus des Jahres
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