| # taz.de -- Sanifair nimmt viel ein mit der Notdurft: Das Ding mit den Wertebons | |
| > Auf Autobahnraststätten kostet einmal aufs Klo gehen 70 Cent bei | |
| > Sanifair. Dafür gibt es einen Wertbon von 50 Cent. Ein gutes Geschäft. | |
| > Für Sanifair. | |
| Bild: Also 70 Cent reinstecken und 50 Cent als Wertbon zurück und äh … | |
| Die Indiepopgruppe „Blond“ singt: „Sanifair Millionär hat den | |
| Highway-Flair“. Ich habe zwei Sanifair-Bildwitze aufbewahrt: Ein Typ geht | |
| an einem Mercedes-Geschäft vorbei, an dessen Schaufenster ein Plakat hängt: | |
| „We accept Sanifair“, dazu das Logo der Firma, der alle Toiletten auf den | |
| Autobahnraststätten gehören. Sanifair ist die Tochterfirma des | |
| Autobahn-Raststätten-Betreibers Tank & Rast. Der Konzern war einst | |
| staatlich und wurde dann für 1,3 Milliarden DM verkauft (nachdem er alle | |
| Einrichtungen der MITROPA übernommen hatte): an den Finanzinvestor Terra | |
| Firma und einen Fonds der Deutschen Bank. | |
| 2015 verkaufte Tank & Rast an ein Konsortium „um den Versicherungsriesen | |
| Allianz. Zu der Käufergruppe gehören daneben der kanadische | |
| Infrastruktur-Fonds Borealis, der Staatsfonds von Abu Dhabi, ADIA, und die | |
| Münchener-Rück-Tochter MEAG,“ meldete die „Tagesschau“. Der Kaufpreis f… | |
| die 390 Raststätten, 350 Tankstellen und 50 Hotels betrug 3,5 Milliarden | |
| Euro. Jährlich muss Tank & Rast dem Staat Konzessionsgebühren um 17 | |
| Millionen Euro zahlen, dieser hält dafür die Anlagen für 110 Millionen Euro | |
| im Jahr instand. | |
| Im Privatisierungsvertrag hieß es 2016: „Die Tank & Rast wird sich bemühen, | |
| die unentgeltliche Benutzung von sanitären Einrichtungen ganzjährig | |
| durchgehend sicherzustellen.“ Sie bemühte sich aber nicht. Gegen die | |
| Kostenpflicht bei Benutzung der Toilettenanlagen ist der Kabarettist | |
| Rainald Grebe juristisch vorgegangen – jedoch erfolglos. Unterdes hat sich | |
| der Abgeordnete Victor Perli (Linke) zu einem weiteren Sanifair-Gegner | |
| profiliert. | |
| ## Benzin ist ausgenommen | |
| Die Tochterfirma von Tank & Rast, Sanifair, verwendet statt Toilettenfrauen | |
| oder -männern, denen man 50 Cent für die Benutzung der Toiletten bezahlte, | |
| elektronisch gesteuerte Drehkreuze, die sich nur mit dem Einwurf von 70 | |
| Cent öffnen lassen. Dafür bekommt man einen „Wertbon“ in Höhe von 50 Cent | |
| wieder. Da man diesen nur an den Raststätten einlösen kann, es dort jedoch | |
| so gut wie keine Waren zu diesem Preis gibt, kauft man notgedrungen | |
| irgendetwas teureres aus ihrem Angebot und verrechnet den Sanifair-Bon | |
| damit beim Bezahlen (Benzin ist davon ausgenommen). | |
| „Branchenschätzungen zufolge generiert jeder Sanifair-Bon knapp dreieinhalb | |
| Euro Umsatz,“ schreibt der Berliner Schriftsteller Florian Werner. Auch auf | |
| den großen Bahnhöfen sowie in Österreich und in Ungarn gibt es seit einiger | |
| Zeit Sanifair-Toiletten. Ebenso in Ketten wie McDonald´s, WMF, Nordsee und | |
| Backwerk. | |
| Mein zweiter Sanifair-Bildwitz mit dem Titel „Tod eines Handlungsreisenden“ | |
| zeigt eine Frau, die einem Notar gegenübersitzt, der ihr mit wenigen | |
| Worten ein Testament vorliest: „Ihr Vater hat Ihnen 3.197 Sanifair-Bons | |
| hinterlassen.“ Auf Wikipedia ist zu erfahren: „Eine repräsentative | |
| Befragung des Marktforschungsinstituts INSA ergab, dass fast die Hälfte der | |
| Deutschen diese Gutscheine selten oder nie einlöst.“ | |
| ## Raststätte Garbsen Nord | |
| Florian Werner hat in seinem neuen Buch über die Raststätte Garbsen Nord – | |
| „eine Liebeserklärung“ natürlich auch ein Kapitel über die üblen | |
| Machenschaften von Sanifair eingefügt. Ich mochte schon seine Bücher „Die | |
| Kuh. Leben, Werk und Wirkung“ und „Schnecken. Ein Porträt“, und kenne die | |
| Raststätte Garbsen Nord, in der eine Familie bereits in der dritten | |
| Generation den Geschäftsführer stellt. | |
| Weil ich auch dieses Buch von Florian Werner mit Vergnügen gelesen habe, | |
| hier einige seiner Überlegungen und meine Einwände: Für ihn sind die | |
| Autobahn-Rast- und Tankstellen „Nicht-Orte“, die jeder Kunde oder Gast so | |
| schnell wie möglich wieder verlässt. Der Autor hat sich dort für seine | |
| Recherche allerdings im Autobahn-Motel einquartiert. Er hat nur einen | |
| Flaschensammler getroffen, der fast täglich kommt – mit dem Fahrrad, | |
| Garbsen Nord ist sein „Revier“. | |
| Es gibt jedoch etliche Jugendliche in Sachsen und in den niedersächsischen | |
| Dörfern der Umgebung der Raststätte Allertal West (nicht weit von Garbsen | |
| Nord auf der A7), die nachts, wenn die Kneipen schließen, auf die | |
| Raststätte fahren, wo eine nette Frau aus einem der Dörfer arbeitet. Sie | |
| nennt sie ihre „Dauergäste“. | |
| Auf einer anderen Raststätte in Hessen, Pfefferhöhe, arbeitete der Verleger | |
| Werner Pieper als Koch und der Schriftsteller Uwe Nettelbeck durfte dort in | |
| der Küche, jedesmal wenn er nach oder von Frankfurt aus unterwegs war, für | |
| seine Frau „Porridge“ zubereiten. Auch er war eine Art Dauergast. | |
| Und von mir und von vielen Freunden weiß ich, dass wir, egal welche | |
| Autobahn wir von Berlin aus nehmen, dort immer die selben | |
| Autobahn-Raststätten anfahren. Die Pfefferhöhe wurde nebenbei bemerkt 1983 | |
| von einer Familie übernommen, es war „das erste privat geführte Rasthaus an | |
| deutschen Autobahnen“, wie es auf seiner Internetseite heißt. | |
| ## Mit dem Ende der „Petromoderne“ … | |
| Den schönsten Satz in dem Autobahn-Raststätten-Buch sagt „die Rechte Hand“ | |
| des Geschäftsführers von Garbsen Nord, die trotz Radiomusik in ihrem Büro | |
| ständig die Autobahn hört: Wenn das nicht mehr wäre, dann sei es, glaube | |
| sie, vorbei. | |
| Man wird sie noch einige Jahre hören, aber mit dem Ende der „Petromoderne“ | |
| werden auch wohl ihre einst stolzesten Stützpunkte an den Autobahnen | |
| notgedrungen als vegane Radfahrer-Treffs enden. Der Autor selbst isst schon | |
| kein Fleisch und hat auch kein Auto mehr. | |
| Der diesem Ende vorausgegangene Umschwung der Moderne in die Postmoderne | |
| wurde übrigens von dem Philosophen Jean-Francois Lyotard erstmalig | |
| erfahren, als er in das Urinal der Universität von Aarhus pinkelte, das | |
| dann automatisch mit Lichtstrahl spülte. | |
| 25 Apr 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Helmut Höge | |
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