# taz.de -- „Das Neue Buch“ von Rafael Horzon: Von Spongebob bis Nietzsche | |
> Rafael Horzon ist eine Kultfigur der Berliner Party- und Möbel-Szene. | |
> Sein zweites Buch handelt von der Schwierigkeit, ebendieses zu schreiben. | |
Bild: Typische Seite aus „ Das neue Buch von Rafael Horzon“, im Bild Rafael… | |
Es ist das dickere der zwei Bücher, die der Berliner Unternehmer („Möbel | |
Horzon“), Designer („Möbel Horzon“) und Möbelhändler („Möbel Horzon… | |
Rafael Horzon bisher geschrieben hat. | |
Offensichtlich lag es ihm schwer im Magen: Zehn Jahre nach Veröffentlichung | |
seines ersten Buches („Das Weisse Buch“) schildert Horzon nun in „Das Neue | |
Buch“ auf knapp 300 Seiten zuzüglich zweier Bildstrecken mit farbigen | |
„Dokumentarfotos“ nichts anderes als die Schwierigkeiten beim Aufraffen, | |
ebendieses Buch zu schreiben. Und dies, so Horzons Plan, so | |
literaturnobelpreiswürdig wie nötig. | |
War „Das Weisse Buch“ der spät-popliterarisch geglückte Versuch, Horzons | |
Auftauchen in der Berliner Party-, Möbel- und Apfelkuchenhandlungsszene der | |
neunziger und nuller Jahre durch ausschweifend hanebüchene Anekdoten so | |
unwahrscheinlich wie möglich darzustellen und so seinem Ruf über Mitte | |
hinaus weit vorauszueilen, erzählt „Das Neue Buch“ von dem absurden | |
Kreativitätsstau Horzons, im Jahr 2019 ein, dieses zweite Buch zu | |
schreiben, geschweige denn überhaupt einen Titel hierfür ausfindig zu | |
machen und den Suhrkamp-Verlag währenddessen ebenso bei Laune zu halten wie | |
den Rowohlt-Verlag in der Hinterhand. | |
So unwahrscheinlich es ist, dass diese gespielte Creatio ex nihilo – zudem | |
im ähnlichen Stil wie 2010 – funktioniert, so überraschend ist es, dass sie | |
es trotz und aufgrund der Verwendung so zeitloser Sätze wie „In genau | |
diesem Moment klingelte es an der Tür“ oder „In diesem Moment fing es an zu | |
hageln“ tatsächlich tut. Überhaupt 2019: „Scheußlich, diese Cholera. Gut, | |
dass es so etwas wie eine Epidemie heutzutage nicht mehr gibt. Zumindest | |
nicht in Europa.“ | |
## Frauen kennenlernen, um sie kennenzulernen | |
Inhaltlich geht es im „Neuen Buch“ grob gesagt um Frauen: Horzon will | |
solche kennenlernen, denn er hat „relativ wenig Informationen über Frauen“, | |
braucht sie aber, damit er ein Thema für sein Buch hat, damit erfolgreich | |
wird und so auch die finanzielle Lage der Horzon GmbH (Party, Möbel, früher | |
Apfelkuchen, siehe oben) vom Desaströsen ins Glamouröse wenden kann. | |
Seine wesentlich jüngeren, zumeist windigen und immer männlichen Freunde – | |
alles mehr oder minder bekannte Akteure der [1][Berliner Party- und | |
Kulturszene] – sollen dem wie schon im Vorgängerbuch als Simplicissimus | |
durchs Leben stolpernden Horzon dabei helfen. | |
Genau genommen geht es also um Männer, und da liegt so einiges im Argen: | |
Horzon und (der Autor und Musiker) Timon Karl Kaleyta wollen etwa beim | |
Künstler Jonathan Monk zwei Boiler ausbauen – Wasserschaden! Wie diese | |
erstklassige Slapstickszene ist im Buch vieles entliehen, hier vielleicht | |
von Dick und Doof, Schulze und Schultze, Super Mario oder Goethe, um mal | |
den Referenzrahmen von „Das Neue Buch“ abzustecken, in dem sich Horzon als | |
von Spongebob und Nietzsche beeinflusst darstellt. | |
Auf der letzten Seite entpuppt sich das Buch dann urplötzlich und endlich | |
als Liebesroman (oder wie Horzon, der von sich behauptet, nur Sach- und | |
Fachbücher zu schreiben, sagen würde: als Liebesfachbuch). | |
## Steakessen im Grill Royal | |
Bis es aber so weit ist, erzeugen kontinuierlich gestreute Sätze wie „Nicht | |
dass du mir gleich umfällst vor Begeisterung“ oder „Wie bitte? Das gibt’s | |
doch gar nicht!“ – beim Steakessen im Grill Royal oder bei einer bamstigen | |
Hochzeit auf Sizilien – ein anhaltendes Glücksgefühl. Allerdings: So wie | |
weite Teile des Buches ist auch die Beschreibung dieser Hochzeit eine | |
Hommage an Carl Jakob Haupt, den „König der Berliner Nacht“, dem das Buch | |
zudem gewidmet ist. | |
[2][Haupt, Modeblogger und Partyveranstalter], der gemeinsam mit David Roth | |
den Blog „Dandy Diary“ und das Restaurant „Dandy Diner“ betrieb, war im | |
April 2019 mit 34 Jahren gestorben. Nicht nur die schon letztes Jahr im | |
Spike Art Magazine als „Gallery Weekend Report“ veröffentlichte Textstelle | |
im Buch, die sich erst in ihren letzten Sätzen als Nachruf auf Haupt | |
offenbart, ist eine Würdigung an Horzons Freund, die komischer und dabei | |
zärtlicher nicht sein könnte. | |
Ob [3][Helene Hegemann], wie von Horzon nach Erscheinen seines ersten Buchs | |
behauptet, nun auch „Das Neue Buch“ geschrieben hat, wie die Horzon-Figur | |
darin insinuiert? Andererseits: Was wird da nicht alles noch insinuiert: | |
wie Horzon etwa zu fünft (Achtung, Adlon-Referenz!) auf der „Melody“ über | |
den kristallklaren Wannsee yachtet, als hätte es Duran Durans „Rio“-Video | |
nie gegeben, da schlag ich mir doch auf den Schenkel. | |
Ob man mit derart verspielter Gegenwartsvergessenheit an der eigentlichen | |
Welt (heute eines 50-jährigen: Elternabend, Rennrad, Gießkanne, Twitter, | |
Rentenbescheid) auch noch 2030 so kurzweilig wird vorbeischrammen können, | |
bleibt eine offene Wette. | |
20 Oct 2020 | |
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## AUTOREN | |
Martin Conrads | |
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