| # taz.de -- Debütroman von Stefanie Sargnagel: Drogen nehmen und rumhängen | |
| > Der erste Roman der Stefanie Sargnagel handelt von einer sorgsam | |
| > verschwendeten Jugend. Zugleich geht es um Solidarität unter Outsidern – | |
| > und Talente. | |
| Bild: Abhängen vorm „Flex“ in Wien. Etwas, das Stefanie Sargnagel gut kennt | |
| Um Talente geht es immer wieder in diesem urkomischen und zugleich | |
| urtragischen Roman, der von einer sorgsam verschwendeten Jugend handelt. | |
| [1][Stefanie Sargnagel] hat ihn geschrieben, es ist der erste „richtige“ | |
| Roman der Wiener Autorin und Zeichnerin. „Dicht“ heißt er, weil er viel vom | |
| Dichtsein und vom Dichten während des Dichtseins handelt. | |
| Ein Talent, so viel weiß man, hat Stefanie Sargnagel dafür, ihr Publikum | |
| und ihre Leser in pointierten Sätzen zum Lachen zu bringen. Sie wurde mit | |
| ihren Facebook-Posts berühmt, die mehrfach auch als Buch erschienen sind | |
| (unter anderem [2][„Statusmeldungen“, 2017]). | |
| Die schnelle Pointe zwischendurch blitzt auch jetzt immer wieder auf. Im | |
| Roman sind es kurze Einschübe, die für Lacher sorgen, wenn sie etwa | |
| schreibt: „Ich fühlte mich mädchenhafter als je zuvor, auch wenn ich mich | |
| gendermäßig sonst eher den Landstreichern zurechnete.“ | |
| Oder wenn sie kurze Alltagsszenen beschreibt, etwa beim Bierkaufen: „Der | |
| Mann an der Kasse fragte: ‚Ein so ein schönes Mädchen trinkt so viel Bier?�… | |
| Ich sagte: ‚Nein, das trinke ich.‘“ Über die gesellschaftlichen | |
| Vorstellungen von Talent machen sie und ihre Freunde sich nur lustig. So | |
| attestiert Freund Michi dem Sargnagel-Alter-Ego die größte Begabung in | |
| einem nicht allzu lukrativen Tätigkeitsbereich: „Das Kiffen. Du bist sehr | |
| talentiert darin.“ | |
| Sargnagel, die bürgerlich Stefanie Sprengnagel heißt und in Wien Kunst | |
| studiert hat, erzählt in „Dicht“ von ihrer Teenagerzeit. Der Roman | |
| handelt davon, wie sie in ihrer Schule mehr oder weniger rausgeekelt wird, | |
| weil sie zu schwierig ist – und schließlich abbricht. | |
| ## Urlaub vor den Anforderungen des Lebens | |
| Er erzählt von ihrem losen Freundeskreis aus Freaks, Outsidern, Hippies und | |
| Weirdos, die zusammen Drogen nehmen und rumhängen, er erzählt von stupiden | |
| Jobs, blöden Anmachen, von Geschlechtsverkehr oder der Anbahnung von | |
| Geschlechtsverkehr. Wer aber das Buch nur in die Kategorie lustige bis | |
| heftige Jugenderinnerungen steckt, der irrt. Das wird mit zunehmendem | |
| Verlauf der Handlung immer deutlicher. | |
| Der heimliche Protagonist ist Michi, in dessen Wohnung sich immer alle | |
| treffen. Michi hat sich mit HIV infiziert, die Protagonistin lernt ihn im | |
| Beisl kennen, wo er von einigen „Aids Michl“ genannt wird. Michi | |
| polarisiert und provoziert mit seiner „besoffenen Verrücktheit“, aber er | |
| ist intelligent, er hat ein Talent für gewitzte Wortspiele, und er liebt | |
| Georg Kreisler, dessen Musik sie in seiner Wohnung hören. Michi nimmt sich | |
| im Leben das, was er braucht: Er schnorrt und klaut hier und da und mogelt | |
| sich in Veranstaltungen hinein, die er besuchen möchte. | |
| Den Freundeskreis eint, dass fast alle ihre Probleme haben, mit dem | |
| normalen Leben zurechtzukommen. Manchmal treffen sie sich in der | |
| Psychiatrie Baumgartner Höhe, wo Michi ab und zu weilt, „auf Urlaub vor | |
| den Anforderungen des Lebens“. | |
| Natürlich haben die skurrilen Typen, mit denen die Protagonistin zu tun | |
| hat, ihren Unterhaltungswert. Sargnagel berichtet über den „blonden | |
| Herbert“, der einmal durchdreht, sich mit Milch überschüttet und sagt, er | |
| sei „ein Kälbchen“. | |
| Sie schreibt über den „schwarzen Herbert“, der auf Kaffee immer komische | |
| Sachen macht. Und über Gino, der auf Absinth in seine „Wolfsphase“ | |
| hineingerät: „Er setzte sich auf den Boden, ging in die Hocke und knurrte | |
| wie ein Wolf. […] Wir waren das gewohnt.“ | |
| Sargnagel stellt ihre Figuren aber ganz sicher nicht aus. Sie schont sich | |
| selbst am allerwenigsten, ihr Talent zur Selbstironie ist da förderlich. | |
| Sie macht sich darüber lustig, dass sie zu einem Hippiemädchen aus dem | |
| Bilderbuch wird, sie persifliert die eigene Naivität, wenn sie über ein von | |
| der Firma Nestlé gesponsertes Laufevent in der Schule schreibt, an dem sich | |
| die Protagonistin „aus Gründen der Kapitalismuskritik“ weigert, | |
| teilzunehmen. | |
| Äußerst unterhaltsam ist es, wie sie ihre diversen Drogenerfahrungen | |
| schildert, wenn sie zum Beispiel Ecstasy („Wie lieb sie alle waren. Wie | |
| schön, dass wir uns alle hatten. So besondere Menschen. […],Ich hab euch | |
| alle so gern'“), LSD („Mein Bewusstsein war ein Pudding“) und Pilze | |
| ausprobiert („Sie würden mich so finden: Hippiemädchen erwürgt sich im | |
| Psilocybin-Rausch versehentlich mit Ethnokette selbst“). | |
| Dies alles ist abgründig und typisch österreichisch. „Dicht“ ist nah dran | |
| an der Wiener Melange aus Wapplern und Ungustln (eines der neuen Wörter, | |
| die ich gelernt habe), aus Punks, Hippiemädchen und Zecken. Sargnagel | |
| porträtiert das Wiener Nachtleben und den Underground, der berühmte | |
| Flex-Club etwa ist als Treffpunkt ein wiederkehrendes Element. | |
| Neben all dem verrückten Zeug ist der Roman auch eine Kritik an einem | |
| Schulsystem, in dem so manche Lehrkraft agiert wie in den 1950er Jahren. Er | |
| ist eine Erzählung von Solidarität und tiefer Freundschaft – so ergibt das | |
| Herz auf dem Cover, das aussieht wie mit Microsoft Paint gezeichnet, auch | |
| Sinn. | |
| Nicht zuletzt ist er eine Ode an Outsider wie Michi, eine Hommage an die | |
| Unerschrockenheit der Jugend sowieso. Erfreulich ist die direkte, kein | |
| Blatt vor den Mund nehmende Sprache. Eine Sprache, die den Sound der Straße | |
| aufnimmt und die sich keine Beschränkungen auferlegt, um dem politisch | |
| korrekten linken Zeitgeist zu gefallen. | |
| „Dicht“ endet nicht zufällig mit der Lebensphase Anfang der Zwanziger, als | |
| sich der Freundeskreis langsam zu zerstreuen scheint. Stefanie Sargnagel | |
| will zur Akademie der Bildenden Künste, sie schmeißt Zeichnungen und | |
| bekritzelte Zettel in eine Billa-Plastiktüte, schreibt „Kunst“ darauf und | |
| reicht den Beutel als Bewerbung ein, eine ganze Tüte voller Talent. Sie | |
| wird genommen. | |
| 17 Oct 2020 | |
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| [2] https://www.rowohlt.de/hardcover/stefanie-sargnagel-statusmeldungen.html | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Uthoff | |
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