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# taz.de -- Theater-Regisseurin Christina Tscharyiski: Bierdurst und Feminismus
> Die Wienerin liebt Menschen und Situationen, die ordentlich neben der
> Spur sind. Ihre revueartigen Inszenierungen machen Lust auf mehr.
Bild: Tscharyiski bezeichnet sich als „feministische Volkstheater-Regisseurin…
Fragt man Christina Tscharyiski, was in ihrem Theater zentral ist, kommt
die Antwort schnell: „Wenn Leute aus meinen Proben oder Vorstellungen
kommen, sagen sie immer: ‚Jetzt habe ich aber Lust auf ein Bier!‘“
Das ist ein sehr handfestes Ziel in diesen thesenlastigen Zeiten: Die
Bretter, die die Welt bedeuten, als Unterlage und Appetizer für einen
zünftigen Bierdurst? Schon die Orte legen ihn nah, in denen die
Inszenierungen der 1988 in Wien geborenen Regisseurin spielen: Ihr
Überraschungserfolg „Ja eh! Beisl, Bier und Bachmannpreis“ von 2017 trägt
das Beisl, die österreichische Kneipe, bereits im Namen.
In ihrer Freiburger Produktion von „Kasimir und Karoline“, in „Schlammland
Gewalt“ von Ferdinand Schmalz in Graz oder zuletzt in „Am Wiesnrand“ am
Münchner Volkstheater dominieren Bierzelte das Geschehen. Warum sie das
Wirtshaus in all seinen Erscheinungsformen verfolgt?
„Vielleicht“, sagt sie – und klingt dabei selbst überrascht – „viell…
bin ich einfach eine feministische Volkstheater-Regisseurin.“ Und ja, warum
auch nicht? Wenn man wie sie aus Österreich kommt und mit Nestroy, Horváth
und Schwab aufgewachsen ist, hat der Begriff „Volkstheater“ so gar nichts
mit Komödienstadl und Populismus gemein. „Es geht um menschliche Konflikte
und Milieus – und gleichzeitig kann man sich Mittel zu eigen machen, die
eine gewisse Überhöhung erlauben.
## Von östlicher Melancholie und Magie auf der Bühne
Das ist schon das, was ich gerne mache“, sagt die kleine Frau mit den
funkelnden braunen Augen, die bereits als Noch-nicht-mal-Teenie in einer
Inszenierung von Dimiter Gotscheff mitgespielt hat. „Das hat mich entzündet
für die Magie der Bühne. Und auch seine östliche Melancholie war mir nah.“
Tscharyiskis Vater ist Bulgare wie Gotscheff. Von ihm hat sie „die
Affinität zum Aberglauben, Mystischen und Subkutanen“ geerbt: „In Bulgarien
gibt es vieles, was man nicht ausspricht, weil es Unheil heraufbeschwören
könnte.“ Andererseits hat sie aber gerade zum zweiten Mal einen Text der
Wienerin Stefanie Sargnagel inszeniert. Und die spricht wahrlich alles aus.
„Die Steffi“, sagt Tscharyiski, „hat so einen liebevollen Blick auf
Menschen und Situationen, die neben der Spur sind, abgründig, grindig.“
Einen Blick, den sie teilt.
In „Ja eh!“ tragen ihre drei Schauspielerinnen mit fettigen Haaren so
furios orchestriert ihren Seelengrind auf die Bühne, dass der am kleinen
Wiener Rabenhof Theater entstandene Abend nicht nur beim Münchner
Radikal-jung-Festival zum Publikumsliebling wurde. In der Münchner
Uraufführung von „Am Wiesnrand“ toben fünf zottelige Flöhe auf einem
bühnenfüllenden Bauch herum.
Der hat mit einer Höhe von zwei Meter fünfzig (im Liegen!) alle
Werkstatt-Kapazitäten gesprengt und symbolisiert den sogenannten Kotzhügel,
auf dem sich beim Oktoberfest – der Wiesn – die Besucherkörper aus allen
Öffnungen entleeren, „schnackslnd“, pissend – und kotzend.
Und er steht für das Bier, das an diesen Stoffwechselvorgängen nicht
unbeteiligt ist: „Bald wird alles angefüllt sein mit Bier“, jubilieren die
Stimmen bei Sargnagel in Sprachkaskaden, „Es platzt aus den Backen, es
füllt die Bäuche, die Beine, die Brüste, die Hoden … Die Nieren laufen auf
Hochtouren. Die große Ausscheidung braut sich zusammen.“
## Sprachlicher Rhythmus und Körperkomik
Tscharyiski inszeniert das mit einem herrlich spielfreudigen Ensemble, viel
Sinn für szenischen wie sprachlichen Rhythmus und Körperkomik. Bloß die
Wiener Spaßmusik-Kombo Euroteuro ist ein wenig lahm. Livemusik aber gehört
zu einem revueartig strukturierten Tscharyiski-Abend zwingend dazu. Bei „Ja
eh!“ sorgte Voodoo Jürgens fürs Lokalkolorit, bei „Revolt. She said. Revo…
again. / Mar-a-Lago“, einem am Berliner Ensemble entstandenen Doppelabend
nach Texten von Alice Birch und Marlene Streeruwitz, steuerte die Rapperin
Ebow den feministischen Sprengstoff bei.
Die junge Regisseurin integriert die Musiker kaum in die Inszenierung,
damit sie „mit ihrer Unmittelbarkeit eine Brücke zum Publikum schlagen“
können. Ohnehin hat sie gerne theaterferne Leute im Team, die „gar nicht
erst überlegen, ob etwas machbar oder repertoiretauglich ist“. Das findet
die 32-Jährige erfrischend, die den Pragmatismus selbst von der Pike auf
gelernt hat, weil sie der heute selten gewordenen Spezies derer angehört,
die nicht über das Regiestudium in den Beruf gelangt sind.
Mit einer Hospitanz am Rabenhof Theater ging es los, dann wurde „manisch“
alles ausprobiert: Musical, Kabarett, Oper. So ist man schnell „ganz nah
dran am Produkt“, sagt Tscharyiski. Gerade an einem kleinen Theater: „Man
muss aus heiterem Himmel Umbesetzungsproben leiten, Requisiten einkaufen
und Hemden bügeln und bekommt einen so guten Überblick, dass einem selbst
im technischen Bereich keiner so leicht etwas vormachen kann.“
Doch dann kam eine Assistenz am Burgtheater und ihr selbst
zusammengestelltes „Handbuch von Theaterregeln“ musste überarbeitet werden:
„Wenn jemand wie Castorf Regie führt, spielt halt auch mal eine Szene eine
halbe Stunde im Dunkeln.“ Aber auch ihr Interesse an feministischen
Fragestellungen wurde zwischen so vielen männlichen Regisseuren mit
„Genieanspruch“ und ihnen zuarbeitenden Frauen ordentlich gefüttert. Und
ihr Bierdurst sicherlich auch.
9 Feb 2020
## AUTOREN
Sabine Leucht
## TAGS
Theater
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