| # taz.de -- Autorin Stefanie Sargnagel: Urarg, urschlecht, urschade | |
| > Die Alltagsbeobachterin hat Humor mit Sprengkraft und Erfolg. Den einen | |
| > gilt sie als „Ekelfeministin“, den anderen als „Lena Dunham von Wien“. | |
| Bild: Isst Penny-Kirschen ungewaschen. | |
| Das Café Weidinger im 16. Wiener Bezirk wirkt wie eine Wartehalle. | |
| Kneipenrauch verteilt sich in Zeitlupe im Raum, Kartenspieler kloppen im | |
| Hinterzimmer, ein älterer Typ mit zurückgekämmten, klammen grauen Haaren | |
| und Mehrtagebart liest die Kronen Zeitung zum Spritzer, die Frau neben ihm | |
| strickt. Einen Tisch weiter sitzt eine schnieke junge Laptopfrau. Wiener | |
| Kaffeehaus, ein Wochentag Ende Februar. | |
| Stefanie Sargnagel kommt herein. Die Autorin und Bloggerin ist Stammgast in | |
| diesem schmucklosen Lokal, das in einer etwas heruntergekommenen Gegend am | |
| Wiener Gürtel liegt. Auch zu Terminen lädt sie gern hierher. | |
| In jüngster Zeit waren das nicht wenige: „Seit Jänner hab ich jeden Tag | |
| irgendwas“, sagt sie, nachdem man sich die Hand gegeben hat, „zuletzt war�… | |
| Hardcore. Von einem Termin zum nächsten hetzen – und dazwischen was | |
| ausdenken, das funktioniert nicht. Ich kann mich nur inspirieren lassen, | |
| wenn ich in den Tag hinein lebe.“ Bauchiges Schmunzeln. Mh-mh. Die Autorin | |
| setzt sich. Sie trägt schwarze Adidas-Turnschuhe, kurzen Rock über | |
| schwarzer Strumpfhose. Die blaue Jacke und eine rote Baskenmütze – eine Art | |
| Erkennungszeichen von ihr – behält sie an. | |
| Über dieses In-den-Tag-hinein-Leben, über den Alltag als Kunststudierende, | |
| Prekärjobberin und Trinkerin hat Stefanie Sargnagel bereits zwei Bücher | |
| veröffentlicht, „Binge Living“ (2013) und zuletzt „Fitness“. Zudem sch… | |
| und illustriert sie unter anderem für den Wiener Falter, die SZ und Vice. | |
| Die beiden Logbücher sind gänzlich auf dem Smartphone geschrieben, denn es | |
| sind ihre Facebook-Posts in gedruckter Form, die in einem Kleinverlag | |
| erschienen (redelsteiner dahimène edition). Längst wird sie von großen | |
| deutschsprachigen Verlagen umgarnt. Mit Erfolg: Bald wird sie einen Vertrag | |
| unterschreiben, sagt sie. | |
| ## Survival of the laziest | |
| Wenn Sargnagel konventionelle Lebensentwürfe in ihren Posts konterkariert, | |
| klingt das so: „Karriere is was für Leute ohne Fantasie“. Oder: „Ich lie… | |
| den Sozialismus: survival of the laziest“. Und: „Ich identifiziere mich mit | |
| nichts. Ich identifiziere mich nicht mal damit, mich mit nichts zu | |
| identifizieren.“ | |
| Beiläufig postet sie Sätze wie: „Ich ess die Pennymarkt-Kirschen | |
| ungewaschen. Es ist wie inneres Ritzen.“ Die pointierte, kurze Form | |
| beherrscht sie perfekt; oft spielt sie sehr gut mit rhetorischen Figuren, | |
| und seien es bloße Aufzählungen (“Gras Piece Pepp Speed Koks Teile Pappn | |
| Pilze Biokiste Miss Fitness“). | |
| Ihre Alltagsbeobachtungen, Aphorismen und Adoleszenz-Raps treffen einen | |
| Nerv. Etwa 20.000 Follower und Friends interessieren sich dafür, was die | |
| 30-Jährige postet. „Fitness“ – ein ironischer Titel, der auf die Versuche | |
| der Autorin, Sport zu treiben anspielt – landete in Österreich in | |
| Jahresbestenlisten. | |
| Allein der Name irritiert: Sargnagel. Ein Künstlername, natürlich. Aber | |
| auch in ihrem bürgerlichen Namen, Stefanie Sprengnagel, scheint | |
| anzuklingen, was einen erwartet, wenn man ihre Texte liest: Morbider | |
| österreichischer Humor mit Sprengkraft. Eine Parodie auf das kaputte Leben. | |
| ## Sie redet schnell | |
| „Ich hab das Gefühl, es lässt sich urviel reinprojizieren“, sagt Sargnagel | |
| über das Phänomen Sargnagel, und man kann sich schon mal daran gewöhnen, | |
| dass fortan die österreichische Steigerungsform „ur-“ des Öfteren zum | |
| Einsatz kommen wird. Urarg, urschlecht, urschade. Aber recht hat sie; | |
| Sargnagel wurde bereits als – kleine Auswahl – „Facebook-Schriftstellerin… | |
| „Ekelfeministin“, „lustigste Depressive des Landes“, „Bier- und | |
| Menstruationsliteratin“, „Lena Dunham von Wien“ und, klar, als „Stimme | |
| einer Generation“ bezeichnet. | |
| Eine Stimme von der Straße, aus der Gosse, meinen manche. „Das arg Derbe“ … | |
| “oag Deabe„, sagt sie – „fällt mir eigentlich gar nicht so stark auf, … | |
| ich halt auch so denke. Leute, die das alles sehr prekär und kaputt finden, | |
| haben oft einen bürgerlicheren Background. Aber die meisten, die ich kenn, | |
| leben so. Es ist ja nicht so, als würden alle nur brav studieren oder an | |
| der Karriere basteln.“ | |
| Karriere nach Sargnagel-Art, das bedeutete bis zum vergangenen Winter noch: | |
| Langzeitkunststudium und ein Job bei der Telefonauskunft in Wien. In | |
| „Fitness“ hat der Leser, wie bereits im Vorgänger, teil an irren | |
| Callcenter-Dialogen. Anrufer fragen etwa nach der „Nummer von Jugoslawien“, | |
| Scooter oder Christoph Waltz. Oder schwallen die Autorin touretteverdächtig | |
| voll. | |
| Sargnagel selbst redet im Interview schnell, viel, unterbricht manchmal | |
| abrupt, denkt nach, und wenn man gerade nicht mehr damit rechnet, dass sie | |
| noch was sagen will, dann kommt doch noch was. So wie jetzt: „Ich finde | |
| das, was ich schreibe, gar nicht so düster. Eher verträumt-romantisch. Und | |
| es steckt ja auch viel Selbstironie darin.“ | |
| ## Eher comedymäßig | |
| Mit dem Begriff Authentizität, der für Figuren wie sie oft herhalten muss, | |
| kann sie „wenig anfangen“. Und stellt fest: „Ich spiele ja inzwischen mit | |
| diesem Charakter. Man nimmt etwas, das schon da ist, und überhöht es. Das | |
| ist eigentlich eher comedymäßig. Ich erstelle selbst Klischees über mich.“ | |
| Klischees, die sie dann auch erfüllt. Der Tabakbeutel, Marke Smart, liegt | |
| offen vor ihr. Alle 15 Minuten dreht sie sich eine. Nur das Getränk vor ihr | |
| ist antialkoholisch. | |
| Stefanie Sargnagel wirkt wie ein Punk, der aus Versehen Schriftsteller | |
| geworden ist. Oder dabei ist, es zu werden. Sie kommt aus der Subkultur, | |
| hat bis 2013 ein Fanzine herausgegeben (“Extrem Deprimierende Zines“) – u… | |
| auch HipHop hat seine Spuren hinterlassen. Sargnagel, die fast die ganze | |
| Zeit mit dem gleichen Gesichtsausdruck dasitzt, sagt zwar, sie habe wenig | |
| Bezug zu dieser Szene, „aber der Sprachstil hat viel mit meinem gemein. | |
| Dieses Aufbäumen, diese kurzen, prägnanten Sätze und Punchlines.“ | |
| Wenn man sie fragt, wie sie aufwuchs, dann sagt sie: „Ich tu mich ja gern | |
| so stilisieren als armes Arbeiterkind.“ Falsch sei das nicht: Vater | |
| Elektriker, Mutter Krankenschwester und alleinerziehend, „das war schon | |
| anders als bei anderen“. | |
| Groß geworden ist sie im Wiener Bezirk Hernals – „eher migrantisch, low | |
| class“ –, sie besuchte aber im Nachbarbezirk eine tief bürgerliche, | |
| konservative Schule. Dort eckte sie später oft an, mit Sachen, die anderswo | |
| niemanden interessiert hätten. Eine gute Schülerin, eigentlich. Die aber in | |
| der Oberstufe immer weniger kam, weil sie keine Lust hatte, sich andauernd | |
| mit Lehrern anzulegen. | |
| Kurz vor der Matura legte man ihr nahe, den Abschluss doch woanders zu | |
| machen. An der Abendschule meldete sie sich kurz danach eher alibimäßig an, | |
| sie traf auf all die anderen Freaks und Dropouts. Zeitgleich bewarb sie | |
| sich an der Akademie für Bildende Künste, wo sie von 2006 an bei Daniel | |
| Richter studierte. „Ich hab aber kaum Vorlesungen besucht, ich hab da nur | |
| abgehangen und genetworkt.“ | |
| ## Und: Wanda! | |
| Zur Veröffentlichung ihrer Posts kam es 2013 durch Bekannte aus der | |
| Musikszene: Ihr Verleger Stefan Redelsteiner ist eigentlich Musiker und | |
| Labelbetreiber und bekannt dafür, dass er Wanda groß herausbrachte. | |
| Ebenjenen Wanda, denen Sargnagel kürzlich in einem SZ-Artikel ihre | |
| Hassliebe gestand. | |
| Für den jüngeren Austriapop steht die Autorin dabei weniger als für das | |
| alte, böse Kulturösterreich mit seinen Josef Haders, Elfriede Jelineks und | |
| Ulrich Seidls. Sie aber gibt sich kulturbetriebsfern: „Ich konsumiere | |
| generell nicht so viel Kultur, ich gehe lieber in irgendein Beisl und schau | |
| mir die Leute an, als in ein Theaterstück zu gehen. Ein Buch hab ich, glaub | |
| ich, seit Jahren nicht gelesen, echt schlimm, ich hab das Gefühl, ich hab | |
| meine Konzentrationsfähigkeit durch das Internetding eingebüßt.“ Aber es | |
| sei schon was typisch Österreichisches an ihren Texten: „Man wühlt halt so | |
| im eigenen Kot . . .“ Schmunzeln, mh-mh. | |
| Sie selbst nennt – was vielleicht überrascht – Christine Nöstlinger als | |
| wichtigen Einfluss. „Die hat eine sehr trockene Sicht auf die Kinderwelt | |
| und beschreibt ja auch Außenseiterfiguren. Die Geschichten spielen in der | |
| gleichen Gasse, in der ich als Kind gewohnt habe. Ich konnte mich sehr gut | |
| darin wiederfinden.“ Auch den Hamburger Studio-Braun-Zirkel schätze sie. | |
| Zuletzt, so erzählt Sargnagel, habe sie mit Klagenfurt gekämpft. Also mit | |
| einem Bewerbertext für den Bachmannpreis Ende Juni. „Viel prokrastiniert“, | |
| sagt sie, „am Wochenende dann kaum geschlafen und bis acht in der Früh was | |
| zusammengetippt.“ | |
| Auch den Verlagsdeal schiebe sie vor sich her, im kommenden Jahr aber dürfe | |
| man wohl ein neues Sargnagel-Buch mit neuem Verlag erwarten. Einen Roman? | |
| „Nein, das könnte ich nicht. Oder das könnte ich schon, aber das würde mich | |
| umbringen.“ Kurze Pause. „Die haben gesagt, ich kann eh machen, was ich | |
| will.“ | |
| 15 Mar 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Uthoff | |
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