| # taz.de -- Veranstaltungsreihe in Berlin: Gnackwatschn fürs Patriarchat | |
| > Männerwahlrecht, wie verantwortungslos! Stefanie Sargnagel und Babsi | |
| > Tollwut zeigten ihr Genie in der Kantine im Berghain. | |
| Bild: Singen fehlerlos und ungerührt ihre „Scheiden sind aus Eisen“: Bursc… | |
| Genie sein oder eben nicht, das scheint angeboren, irgendwie geheimnisvoll | |
| und historisch betrachtet auch: männlich. Das genaue Gegenteil wurde | |
| gestern in der Kantine am Berghain bewiesen bei der siebten Ausgabe der | |
| Veranstaltungsreihe „Ich brauche eine Genie“. Sandra und Kerstin Grether, | |
| die selbst als Band Doctorella auftreten, organisieren die Reihe und sagen: | |
| Genie sein kann jede*. Es stimmt auch nicht, dass es nicht genug | |
| talentierte Frauen gäbe. Wer gesehen und demnach berühmt und ein Genie | |
| werde, sei eine politische Frage, speziell auch die des Bookings. | |
| Und was für ein Booking das war! Ganz ungeheimnisvoll, dafür unmittelbar | |
| und urkomisch erzählt Poetin Stefanie Sargnagel davon, wie sie berühmt | |
| wurde. Das sei ganz ähnlich verlaufen wie klassischerweise beim Rap. Erst | |
| schrieb sie auf Facebook authentisch von der Straße, in ihrem Fall vom Job | |
| beim Call Center. | |
| Dann kam der Erfolg, der Rowohlt Verlag und jetzt geht es ihr nur noch um | |
| Money und Bitches. Sie wundere sich auch darüber, dass sie von | |
| Journalist*innen nach einer Einschätzung der gesellschaftlichen Lage | |
| gefragt werde. Sie als Künstlerin mit so viel Cash sitze doch im | |
| Elfenbeinturm und habe gar keinen Kontakt mehr zu dieser Gesellschaft. | |
| ## Sich in der Uni „hochlesen“ | |
| Noch nicht groß raus, aber hoffentlich ganz bald ist Rapperin Babsi | |
| Tollwut. Dass sie jahrelang versuchte, sich dem Patriarchat anzupassen, | |
| irgendwie einen anderen Weg zu finden, als in der Männerdomäne Rap nur | |
| schüchtern anzufragen, das sei „deine Schuld“. Eine Alternative war, sich | |
| in der Uni „hochzulesen“. Aber um dem zu entsprechen, was dort für wertvoll | |
| betrachtet wird, hätte sie „Frauen, Schwarze und Schwule“ ignorieren | |
| müssen. | |
| Und für alle, die sich bei diesem Part noch nicht angesprochen und zur | |
| Reflexion gezwungen fühlen, legt sie noch eine Portion drauf: „In | |
| durchsichtigen Tüten transportiert ihr eure Lügen.“ Die durchsichtigen | |
| Plastiktüten, die es an der Staatsbibliothek, im Grimm-Zentrum und anderen | |
| Bibliotheken gibt, sind eine elegante Allegorie für so vieles, was falsch | |
| läuft in diesem ach so aufgeklärten, transparenten, chancengleichen Milieu, | |
| das selbst diesen Begriff prägte, um die „Klassengesellschaft“ nicht einmal | |
| mehr aussprechen zu müssen. | |
| Babsi Tollwut spricht auch offen über ihre Schlafprobleme, eine | |
| „Volkskrankheit“, über die wir sonst nur in Fightclub hören. Ähnlich cool | |
| und düster inszeniert der plötzlich fast unerträglich laute Bass den | |
| abgründigen Text über Gedankenzirkel, luzide Albträume und das erlösende | |
| Einbrechen des Tages. Tollwut fragt ins Publikum: Was macht ihr gegen | |
| Depressionen? „Burschenschaft“, tönt es aus der ersten Reihe. | |
| ## Furia singen fehlerlos und ungerührt „Germania Menstrua“ | |
| Die Burschenschaft Furia hat Gemeinsinn, Kampfgeist und Disziplin. Die | |
| Frauen* in Uniform fallen nicht aus der Rolle, rauchen streng ihre | |
| Zigaretten und singen fehlerlos und ungerührt „Germania Menstrua“. Ihre | |
| „Scheiden sind aus Eisen“, und sie schreiten in ihrer wichtigen Mission | |
| fort, bis auch die letzte „deutsche Eichel fällt“. | |
| Aber keine Sorge, beruhigt Stefanie Sargnagel, selbst Bursche in dem | |
| Pendant „Hysteria“, es gehe hier nicht um Männerhass. Sie wollten die | |
| Männer doch beschützen vor sich selbst, vor den offensichtlich viel zu | |
| hohen Anforderungen des Alltags und der überkommunalen Politik. | |
| Männerwahlrecht, wie verantwortungslos! | |
| Bei Genies denkt mensch oft: Ich will sein wie er! Nach einem Abend wie | |
| gestern wird mensch in sich selbst bekräftigt, im eigenen Handeln, sei es | |
| soziale Arbeit, eine Anwält*innenkanzlei oder Poesie. Gnackwatschn, | |
| erklärt uns Sargnagel, das sind Schläge ins Genick. Diese (symbolisch) dem | |
| Patriarchat zu verpassen bedeutet nicht mehr und nicht weniger als die | |
| Befreiung der Frau/Menschheit. | |
| 21 Jun 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Zora Schiffer | |
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