# taz.de -- Techno-Party in Kreuzberg: Disziplinierter Rave | |
> Keine Drinks mehr auf der Tanzfläche, kein Rauchen, kein Knutschen: Von | |
> hemmungsloser Feierei kann in den Berliner Clubs gerade keine Rede sein. | |
Bild: Im „Kulturgarten“ ist Trinken und Rauchen erlaubt | |
BERLIN taz | Es ist 20.02 Uhr, aus der Ferne wummern Bässe, und vor dem | |
Ritter Butzke steht kein einziger Mensch an. Konnten sich die Leute bei 10 | |
Grad und Nieselregen doch nicht zur Freiluftparty aufraffen? Nein, sagt der | |
Türsteher am Eingang, die meisten seien schon am Tanzen. | |
Noch vor der Ticketkontrolle müssen alle, die an diesem Freitagabend hier | |
tanzen wollen, mit dem Smartphone einen QR-Code einscannen und ihre | |
Kontaktdaten in ein Formular tippen. Der Club durfte 180 Tickets für die | |
Party verkaufen, diese gab es nur im Vorverkauf. Ein Security-Mann erklärt | |
noch kurz die Regeln – tanzen nur mit Maske, Abstand halten, rauchen und | |
trinken auf der Tanzfläche verboten –, dann geht’s weiter in einem | |
kunstvoll beleuchteten Hinterhof, den „Kulturgarten“. Wände und Boden sind | |
mit Tausenden Lichtpunkten besprenkelt, hoch oben hängt an einem Stahlseil | |
eine hell angestrahlte Diskokugel. Tanzende Menschen sind hier keine, nur | |
chillende, also weiter, immer dem Bass nach. | |
Auf der Tanzfläche, im nächsten Hinterhof, bewegen sich vielleicht rund | |
hundert Menschen wippend zu lauter Technomusik, manche haben die Arme in | |
der Luft. Pfeifen und Jubel aus der Menge. Jede*r trägt eine Maske, und bei | |
niemandem, wirklich niemandem, sitzt sie unter der Nase. Viele halten | |
anderthalb Meter Abstand, manche weniger als einen halben. Vielleicht weil | |
sie in einer WG wohnen oder eine Beziehung führen? Oder pfeifen sie | |
wirklich auf Corona? Denn wenn man die Augen schließt, den Beat in den | |
Knochen spürt und sich dem Rhythmus der Musik hingibt, kann es passieren, | |
dass man die Pandemie für einen kurzen Moment vergisst. Zieht es die Leute | |
für genau dieses Gefühl auf die Open-Air-Partys der Berliner Clubs? | |
Daria – blond gefärbtes Haar, silberne Ohrringe – steht mir ihren Freunden | |
Heinrich und Niklas im Kulturgarten. Alle drei sind Anfang zwanzig und aus | |
Berlin. Wieso sie trotz der hohen Infektionszahlen feiern gehen? „Weil ich | |
Lust auf Tanzen habe“, sagt Daria. „Weil es erlaubt ist“, sagt Heinrich. | |
„Weil es gefährlicher wäre, in einer stickigen Kneipe zu sitzen“, sagt | |
Niklas. In den vergangenen Wochen waren die drei oft auf illegalen Raves, | |
die im Umland von Berlin gefeiert wurden. „Da musste man aber auch Maske | |
tragen und Kontaktdaten angeben“, sagt Heinrich, so als wolle er | |
klarstellen, dass er nichts Verwerfliches getan habe. Daria fällt ihm ins | |
Wort: „Ich war auf Raves, wo ich ohne Maske tanzen konnte.“ Daria sagt das | |
nicht beschämt, sondern stolz. „Im Nachhinein war es dumm und unvernünftig, | |
was wir da gemacht haben“, gibt Heinrich zu. „Finde ich nicht“, sagt Dari… | |
„Die Partys waren geil.“ | |
## Die Tanzfläche füllt sich | |
Die meisten Gäste sind irgendwas zwischen Mitte zwanzig und Mitte dreißig. | |
Die niedrigen Temperaturen scheinen den Tanzenden nichts anhaben zu können, | |
sie sind in ihrem Element. Nach und nach ziehen Leute ihre Winterjacken | |
aus. Ein Mann mit silberner Paillettenmaske tanzt im Kurzarmhemd. | |
Auf den feuchten Holzdielen bewegen sich nun immer mehr Menschen in | |
Richtung DJ-Pult, über ihnen leuchten Lichterketten in Rot. Das Pult steht | |
in einer Holzhütte, auf dessen Dach ein überdimensionales Seepferdchen in | |
den Himmel ragt. Die DJane trägt eine große Brille mit durchsichtigem | |
Gestell – aber keine Maske. Im Zehn-Minuten-Takt geht ein Security-Mann | |
über die Tanzfläche und kontrolliert, ob sich alle an die Regeln halten. | |
Im Barbereich auf einem Sofa sitzt Ichsan, 31, er ist komplett in Schwarz | |
gekleidet und hat den Arm um seine Freundin gelegt. Die beiden trinken | |
Krombacher. Ichsan geht ab und an auf Technopartys, „aber nur auf legale“. | |
Und auch das nicht ganz ohne Befürchtungen: „Jedes Mal, wenn ich feiern | |
gehe, habe ich Angst, mich anzustecken“, sagt er. Wieso er trotzdem | |
ausgeht? „Aus Gewohnheit. Beim Tanzen kann ich abschalten, die Arbeit | |
vergessen.“ Um sich und andere nicht in Gefahr zu bringen, bleibe er auf | |
Partys immer nur in seiner Gruppe. Außerdem versuche er, den Mindestabstand | |
einzuhalten. „Das klappt nur leider nicht immer“, klagt Ichsan. | |
Auch im Ritter Butzke ist das mit dem Abstandhalten mittlerweile schwerer | |
geworden. Es ist kurz vor 22 Uhr und die Tanzfläche gut gefüllt. Vor dem | |
DJ-Pult tanzen die Leute eher nah beieinander, nur weit hinten hat man noch | |
Platz für sich. Noch knapp eine Stunde, dann muss der Club schließen. Der | |
Security-Mann, der seit Beginn der Party um 18 Uhr die Hygieneregeln | |
kontrolliert hat, zieht am Ende des Abends ein positives Fazit: „Nur fünf | |
Menschen hatten ihre Masken beim Tanzen nicht richtig auf, zwei Leute haben | |
geraucht.“ Und was war mit dem Mindestabstand, den manche nicht eingehalten | |
haben? „Den kontrolliere ich nicht“, sagt der Security-Mann. | |
18 Oct 2020 | |
## AUTOREN | |
Rieke Wiemann | |
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