# taz.de -- Ausbau der Gasinfrastruktur: Fluch für Menschen und das Klima | |
> Die Gasinfrastruktur wächst. Doch mit der Förderung von Gas gehen | |
> Menschenrechtsbrüche einher – und die Klimakrise wird befeuert. | |
Bild: Flüssiggas gilt in der öffentlichen Wahrnehmung als klimafreundlich | |
Auf der ganzen Welt wird gebaut: neue Erdgaspipelines, neue | |
Flüssiggasterminals, Umrüstung von Kohlekraftwerken zu Gaskraftwerken. | |
Erdgas gilt in der öffentlichen Wahrnehmung nach wie vor als | |
klimafreundlich und Investitionen in den fossilen Brennstoff gelten als ein | |
Geschäft der Zukunft. | |
Dass mit dem Ausbau von Gasinfrastruktur massive Menschenrechtsbrüche | |
einhergehen, zeigt sich an dem [1][Bau der Export-LNG-Terminals] (Liquid | |
Natural Gas Terminals) in Mosambik. Mosambik liegt im Südosten Afrikas | |
zwischen Tansania und Südafrika. Im Norden von Mosambik, in der Region Cabo | |
Delgado, wurde 2010 das größte Erdgasvorkommen Afrikas, das neuntgrößte | |
Vorkommen weltweit, entdeckt. | |
Laut Friends of the Earth International sollen mindestens 60 Milliarden US | |
Dollar für die Förderung des Erdgases eingesetzt werden. Das wäre die | |
höchste Investition, die jemals auf dem afrikanischen Kontinent südlich der | |
Sahara getätigt wurde. Trotz der vielversprechenden Bodenschätze gehört | |
Cabo Delgado zu den ärmsten Regionen des Landes und befindet sich seit | |
einigen Jahren in einer Ausnahmesituation. | |
[2][„Die Gasindustrie hat], noch bevor die Gasförderung begann, die | |
Bevölkerung Cabo Delgados in Armut gestürzt und ihr Land enteignet“, | |
berichtet Anabela Lemos, Leiterin von Justiça Ambiental, einer | |
Menschenrechts- und Klimagerechtigkeitsorganisation in Mosambik, die eng | |
mit den lokalen Gemeinschaften vor Ort arbeitet. „Fischer*innen und | |
Landwirt*innen wurden vom Meer und ihrem Land abgeschnitten, ganze Dörfer | |
zwangsumgesiedelt.“ | |
Es zeichnet sich ab, dass die Gewinne aus der Förderung hauptsächlich | |
internationalen Unternehmen zugutekommen und nicht der lokalen Bevölkerung. | |
Beteiligt an den LNG-Terminals sind das französische Unternehmen Total, das | |
US-amerikanische Unternehmen ExxonMobil und der italienische Energiekonzern | |
ENI. Auch die Deutsche Bank hat in die Gasprojekte investiert. | |
## Gewalt in Cabo Delgado | |
Arbeitslosigkeit und das vergebliche Warten auf den versprochenen Reichtum | |
führen zur Radikalisierung der Bevölkerung. Seit 2017 gibt es Anschläge, | |
die mehr als 100.000 Menschen aus der Region vertrieben haben und bei denen | |
mehr als 1.000 Menschen getötet wurden. Sie hängen auch mit zunehmender | |
Militarisierung zusammen. | |
So richte die französische Werft Constructions Mécanique de Normandie, die | |
[3][hauptsächlich Kriegsschiffe] und Luxusjachten produziert, in Absprache | |
mit der mosambikanischen Regierung ein Verteidigungsprogramm ein, um die | |
Erdgasvorkommen zu bewachen – unter dem Vorwand, eine Thunfisch-Flotte | |
aufzubauen. | |
„Die Gewalt in Cabo Delgado ist keine einfache Angelegenheit. Die Regierung | |
hat in der Region große Militäreinheiten eingesetzt, um die Aufständischen | |
zu bekämpfen, die seit 2017 die Bevölkerung angreifen. Aber es ist bekannt, | |
dass das Militär Gewalt gegen die Zivilbevölkerung angewendet hat. Wir | |
wissen von sexuellen Übergriffen auf Frauen durch die Soldaten und | |
Erpressung von Geld“, so Lemos. | |
Weitere private Sicherheitsfirmen und paramilitärische Organisationen wie | |
die russische Gruppe Wagner wurden von den Gasunternehmen und dem | |
mosambikanischen Militär angeheuert. Viele Leute vor Ort trauen sich kaum, | |
die langen Strecken zu ihren neu zugewiesenen Äckern zu bewältigen – aus | |
Angst vor Gewalt durch das Militär. | |
Menschen, die über die Situation vor Ort berichten oder sich gegen die | |
Umsiedlungen aussprechen, verschwinden. So wie der Journalist Ibrahimo Abu | |
Mbaruco, der am 7. April dieses Jahres verschwand, nachdem er einem | |
Kollegen geschrieben hatte, dass die Armee auf ihn zukomme. | |
## Wissenschaft warnt vor Erdgas | |
Zu den Problemen hinzu kommt, dass Cabo Delgado 2019 von „Kenneth“, dem | |
stärksten Zyklon der mosambikanischen Geschichte, getroffen wurde. | |
Zehntausende Häuser wurden zerstört und viele Menschen erkrankten | |
anschließend an Cholera. Viele der entstandenen Schäden sind noch nicht | |
behoben. | |
Die Region ist insofern doppelt von verfehlter Klimapolitik betroffen, als | |
einerseits durch den Klimawandel starke Zyklone wahrscheinlicher werden. | |
Andererseits ist es trotz Pariser Klimaabkommen möglich, neue Gasfelder auf | |
eine gewaltvolle Art zu erschließen. | |
In der Wissenschaft wird ebenso immer stärker vor Erdgas gewarnt. Methan, | |
der Hauptbestandteil von Erdgas, trägt neben CO2 am meisten [4][zum | |
Klimawandel bei]. Methan wirkt sich 87-mal stärker auf den Klimawandel aus | |
als die gleiche Menge CO2. Die Weltorganisation für Meteorologie | |
veröffentlichte, dass die Methankonzentration auf einem Rekordhoch und im | |
Vergleich zur vorindustriellen Zeit auf eine 257 Prozent höhere | |
Konzentration angestiegen ist. | |
Auch in Deutschland sollen in Brunsbüttel, Wilhelmshaven, Stade und Rostock | |
Flüssiggasterminals gebaut werden, allerdings für den Import. An diesen | |
Orten sollen zukünftig Schiffe anlegen, die im Ausland gefördertes Erdgas | |
in das deutsche Gasnetz einspeisen. | |
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) lehnt den Bau der Import-LNG-Terminals ab. | |
„Zur Klimabilanz erschwerend hinzu kommt, dass die geplanten LNG-Terminals | |
auch mit Fracking-Gas aus den USA befüllt werden sollen“, so Constantin | |
Zerger, Leiter für den Bereich Energie und Klimaschutz. Zwei Gutachten der | |
DUH stellten fest, dass die Bauvorhaben in Brunsbüttel und Stade aufgrund | |
von Umwelt- und Sicherheitsgründen nicht genehmigungsfähig seien. | |
Doch nicht nur die DUH versucht, die LNG-Terminals in Deutschland zu | |
verhindern. Auch Lennart Tiller, Chiara Arena und Jana Ahlers sind seit | |
Mitte Juni dabei, das Flüssiggasterminal in Wilhelmshaven zu stoppen. Auf | |
die Idee brachte sie Lennart Tiller, der aus der Gemeinde Zetel südlich von | |
Wilhelmshaven kommt. | |
## Protest gegen LNG-Terminal | |
Sie beschlossen dann gemeinsam, auf einen Hof in der Nähe zu ziehen, um den | |
Widerstand gegen Erdgas vor Ort zu stärken. Die drei kennen sich aus der | |
Klimabewegung in den Niederlanden, wo Chiara Arena und Lennart Tiller | |
Umweltrecht studierten. | |
„Zuerst haben wir uns mit der lokalen Bürgerinitiative | |
Klima-Allianz-Nordseeküste und verschiedenen Klimagruppen vernetzt. Dann | |
haben wir angefangen, Aktionen zu planen und Gespräche mit | |
Politiker*innen zu führen“, erzählt Chiara Arena. | |
Hauptsächlich adressieren sie ihre Aktionen an den niedersächsischen | |
[5][Landesumweltminister Olaf Lies], der den Bau des LNG-Terminals | |
befürwortet. Im Juli protestierten sie gemeinsam mit der Bürgerinitiative | |
vor seinem Büro in Jever. Anfang September besetzten sie die | |
niedersächsische Staatskanzlei in Hannover, um den sofortigen Stopp des | |
Projekts zu erreichen. | |
Bisher hält Olaf Lies weiterhin an seinen Plänen fest. „Was man merkt, ist, | |
dass das Thema LNG neu für die Öffentlichkeit ist, so konnten wir mit | |
unserer kleinen Aktion schon viel Aufmerksamkeit schaffen“, stellt Lennart | |
Tiller fest. | |
So langsam scheint das Thema Erdgas für unterschiedliche Akteur*innen der | |
Klimabewegung relevanter zu werden. Das Bündnis Ende Gelände kündigte | |
bereits an, Ende September nicht nur Kohleinfrastruktur, sondern auch | |
erstmalig Gasinfrastruktur im Rheinland blockieren zu wollen. | |
24 Sep 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Trotz-Nawalny-und-Klimakrise/!5711258 | |
[2] /Corona-schadet-Oel--und-Gasindustrie/!5690996 | |
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[4] /Plan-fuer-CO2-Neutralitaet/!5711785 | |
[5] /Buergerbeteiligung-in-der-Endlagersuche/!5706886 | |
## AUTOREN | |
Lea Dehning | |
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