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# taz.de -- Naturschutzexperte über Nord Stream 2: „Erdgas ist keine Lösung…
> Die Deutsche Umwelthilfe will Nord Stream 2 vor Gericht kippen. Das
> Projekt sei klimapolitisch unverantwortbar, sagt der DUH-Geschäftsführer
> Sascha Müller-Kraenner.
Bild: Die Anlandestation für die Nord-Stream-2-Pipeline in Lubmin ist seit 201…
taz: Herr Müller-Kraenner, ist es sinnvoll, jetzt die Umweltgesetzgebung zu
instrumentalisieren, um ein politisches Ziel zu erreichen: [1][Nord Stream
2 beenden], als [2][Reaktion auf den Anschlag] auf Alexei Nawalny?
Sascha Müller-Kraenner: In der Klage, die wir gegen des Bergamt Stralsund
eingereicht haben, [3][geht es nicht um Nawalny] oder die vielen
politischen Argumente gegen Nord Stream 2. Diese Pipeline passt nicht zu
den Klimaschutzzielen der EU. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen,
dass es bei der Förderung und dem Transport von Erdgas deutlich höhere
Methanemissionen gibt als bisher angenommen. Deshalb hätte die
Umweltverträglichkeitsprüfung bei Nord Stream 2 anders ausfallen müssen,
dann hätte es auch keine Genehmigung geben dürfen.
Aber Sie sehen jetzt gerade eine Gelegenheit, ihre Forderung neu zu
platzieren und der Bundesregierung augenzwinkernd zu sagen: Weist doch mal
das Bergamt Stralsund darauf hin, dass es neue Umweltprobleme bei Nord
Stream 2 gibt.
Wir haben schon lange gesagt, dass diese Pipeline klimapolitisch nicht
verantwortbar ist. Wir freuen uns, dass dieses Argument in den letzten
Tagen wieder mehr Gewicht findet. Der Hintergrund, der Mordanschlag auf
Alexei Nawalny, ist natürlich furchtbar. Es ist traurig, dass die
Bundesregierung jetzt erst aufwacht. Sie überlegt sich nun, wie man aus der
Pipeline-Geschichte mit geringen Entschädigungen rauskommt und dass man mit
Umweltschutz rechtlich die besten Karten hat. Aber dass es diesen bitteren
Hintergrund gibt, macht die sachlichen Klimaschutz-Argumente nicht weniger
wichtig.
Es gibt eine Studie aus den USA, die sagt: Bei Förderung und Transport von
Erdgas tritt wesentlich mehr klimaschädliches Methan aus als bisher
angenommen. Wie soll eine einzelne Studie aus den USA zu einem
rechtssicheren Ausstieg aus Nord Stream 2 in Europa führen?
Auf Grundlage dieser Studie sind die Schätzungen zu Methanemissionen in der
Öl- und Gasindustrie in den USA um 60 Prozent nach oben korrigiert worden.
Das ist keine Studie, die am Schreibtisch entstanden ist. Man hat sich
schon lange gewundert, warum in der Luft über Öl- und Gasförderregionen
deutlich höhere Methan-Konzentrationen gemessen werden, als zu erwarten
wäre. Deshalb ist anzunehmen, dass auch in anderen Regionen der Welt, in
denen Öl und Gas gefördert wird, deutlich mehr Methan austritt. Also auch
in der russischen Arktis. Was uns dort fehlt, sind die unabhängige
Messungen. Die verlangen wir. Erst dann wissen wir, ob die Angaben der
Betreiber bei der Genehmigung von Nord Stream 2 auch stimmen. Wenn die
Methanemissionen nach oben korrigiert werden müssen, dann stellt sich die
Klimabilanz von Erdgas ganz anders dar. Wir sind der Meinung, das Bergamt
Stralsund muss diese Prüfung verlangen.
Gibt es einen Präzedenzfall, nach dem eine staatliche Stelle nach einer
Genehmigung sagt: Ups, da gibt es eine neue Klimastudie, die Investition
sind futsch? Kann das in einem Rechtsstatt funktionieren, ohne dass die
öffentliche Hand regresspflichtig wird?
In der Genehmigung für Nord Stream 2 gibt es ausdrücklich eine
Öffnungsklausel, nach der wissenschaftliche Erkenntnisse zu
Umweltauswirkungen auch nachträglich berücksichtigt werden müssen und die
Genehmigung aufgrund dessen überprüft werden kann. Genau das ist hier der
Fall: Die höheren Methanemissionen sind gravierend. Das ist im Übrigen ein
gängiges Verfahren. Auch bei der Genehmigung von Atomanlagen sind
Betriebserlaubnisse später immer wieder überprüft worden.
Bei Atomkraftwerken ging es um Sicherheit, Methanemissionen sind keine
unmittelbare Gefahr für Leib und Leben.
Erstens IST Klimawandel eine Gefahr für Leib und Leben von hunderten
Millionen Menschen in den kommenden Jahrzehnten. Zweitens ist Klimaschutz
eine der Hauptbegründungen für die politische Unterstützung von Nord Stream
2 gewesen. Weniger klimaschädliches Erdgas soll importiert werden, um die
Kohle zu ersetzen. Wenn jetzt der begründete Verdacht besteht, dass die
Treibhausbilanz von Erdgas schlechter ist, dann muss man die Genehmigung
der Pipeline nochmals prüfen.
Sinkt denn die Nachfrage nach Erdgas in Europa, wenn man Nord Stream 2
abbläst?
Die Nachfrage zumindest in Deutschland sinkt ohnehin. Davon geht auch das
Bundeswirtschaftsministerium aus. Wir sind der Meinung, dass der Trend noch
schneller geht, weil wir im Gebäudebereich zügig Erdgasheizungen durch
Wärmepumpen ersetzen. Auch beim Kohleausstieg kann man schneller auf Wind
umstellen, Erdgas ist nicht in dem bisher gedachten Ausmaß als
Zwischenlösung nötig.
Das heißt, die Nachfrage nach Erdgas in Europa ist unabhängig davon, ob man
Nord Stream 2 baut oder nicht?
Kein Land in Europa ist so diversifiziert ans Erdgasnetz angeschlossen wie
Deutschland. Wir haben jetzt schon Überkapazitäten. Die bereits bestehende
Pipeline Nord Stream 1 wird nicht auf voller Kapazität betrieben. Die Idee
von Nord Stream 2 ist, bestehende Pipelines, vor allem durch die Ukraine,
aber auch durch Polen, zu ersetzen und irgendwann stillzulegen. Trotz aller
politischer Garantien für die Transitstaaten.
Überkapazität bedeutet, dass russisches Erdgas nach Europa fließt, auch
ohne Nord Stream 2. Nur dass es dann durch Leitungen durch Polen und die
Ukraine fließt, die älter sind und mehr Lecks haben. Also wäre ein Aus für
Nord Stream 2 doch eher schlecht fürs Klima.
In den letzten Jahren ist in die existierende Gasinfrastruktur nicht mehr
investiert worden. Da gibt es Modernisierungsbedarf, die Pipelines müssen
technisch nachgerüstet werden, um Lecks zu verhindern und sie auch für
Wasserstoff zu ertüchtigen.
Also noch mal: Nord Stream 2 hat keinen Einfluss auf den Verbrauch in
Europa. Das Erdgas kann auch durch bestehende, modernisierte Pipelines
fließen. Daraus folgt, dass Nord Stream 2 keinen Einfluss auf die
Klimabilanz hat. Also warum sollte das Argument dann in die Genehmigung
einfließen?
Nord Stream 2 ist angelegt auf 50 bis 70 Jahre Betriebsdauer. Allerdings
will Europa bis dahin längst keine Klimagase mehr emittieren. Man darf
nicht vergessen, dass an den deutschen Unternehmen des Nord
Stream-Konsortiums, Wintershall und Uniper, auch deutsche Kommunen
beteiligt sind. Man schafft mit Nord Stream 2 also politische Interessen,
weiter auf Erdgas zu setzen und Klimaschutz hinauszuzögern. Deshalb mach es
einen großen Unterschied, ob man eine neue Pipeline im Meer versenkt oder
eine bestehende Infrastruktur so ertüchtigt, dass es bis zum Ausstieg aus
fossilem Gas reicht.
Sie müssen aber ein Gericht davon überzeugen, dass Nord Stream 2 zu direkt
mehr Methanemissionen führt. Glauben Sie wirklich, dass Sie da mit weichen
politischen Eventualitäten weiterkommen?
Ich glaube, dass wir da gute Chancen haben. Weil wir wissen, unter welchen
Bedingungen Erdgas in Russland gefördert wird. Da besteht die berechtigte
Vermutung, dass es dort Leckagen in erheblichem Ausmaß gibt. Deshalb
verlangen wir diese unabhängige Überprüfung.
Was sagen Sie zu den deutschen Kommunen und den österreichischen
Steuerzahlern, die indirekt an Nord Stream 2 beteiligt sind und jetzt ohne
Entschädigung jeweils 950 Millionen abschreiben sollen? Pech gehabt?
Es gibt seit Jahren eine kritische Diskussion über dieses Projekt. Die
Pipeline ist genehmigt. Wir glauben aber, dass das widerrufen werden kann.
Dann muss man schauen, ob seitens der Betreiber bei der Genehmigung
korrekte Angaben zur Klimabilanz gemacht worden sind. Erst dann wird sich
entscheiden, ob Entschädigungszahlungen notwendig sind. Wir glauben, dass
es mit unseren Argumenten möglich ist, die Entschädigungen deutlich zu
reduzieren oder ganz zu vermeiden. Die Bundesregierung sollte sich unserer
Klage anschließen oder sie zumindest anerkennen.
Wäre es nicht viel eleganter, Nord Stream 2 einfach machen zu lassen, und
durch einen ordentlichen CO2-Preis und eine gute Klimapolitik sind die in
ein paar Jahren eh pleite?
Natürlich kann man durch das Wunderinstrument des CO2-Preises sehr viele
Dinge in die richtige Richtung lenken. Aber die Unternehmen, denen die
fossile Infrastruktur gehört, verteidigen schon heute ihre wirtschaftlichen
Interessen. Deshalb ist es so schwer, einen CO2-Preis in der Höhe zu
bekommen, dass Nord Stream 2 von selbst überflüssig wird.
10 Sep 2020
## LINKS
[1] https://www.duh.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung/nord-stream-2…
[2] /Streit-um-Nawalny-und-Nord-Stream-2/!5708222
[3] /Vergifteter-Oppositioneller-aus-Russland/!5708223
## AUTOREN
Ingo Arzt
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Schwerpunkt Klimawandel
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