# taz.de -- Energieversorgung: Gasförderung mit Giftgemisch | |
> Exxon und andere Firmen wollen in Niedersachsen neue Gasvorkommen | |
> erschließen. Dazu soll das Gestein hydraulisch aufgebrochen werden - mit | |
> Hilfe einer Flüssigkeit, die mit schädlichen Substanzen angereichert ist. | |
Bild: Zähe Masse: Ein Bohrstellen-Aufseher zeigt im Kreis Rotenburg-Wümme "Fr… | |
In Niedersachsen hat die Suche nach neuartigen Gasvorkommen Besorgnis | |
ausgelöst. Um die neuen Quellen zu erschließen, sollen | |
gesundheitsschädliche Chemikalien in die Erde gepumpt werden. Ein Gemisch | |
aus Wasser, Sand und chemischen Zusätzen soll tief unter der Erde mit hohem | |
Druck gashaltige Gesteinsschichten aufbrechen. In den USA hat dieses | |
sogenannte "Fracing" zu Verunreinigungen des Trinkwassers geführt. Bürger | |
und Wasserversorger verlangen deshalb mehr Transparenz und Beteiligung in | |
Genehmigungsverfahren. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung ist bisher nicht | |
vorgesehen. | |
Erdgas spielt bei der angestrebten Wende weg von den fossilen Energien eine | |
wichtige Rolle. Zum einen entsteht bei seiner Verbrennung weniger | |
Kohlendioxid, als wenn Erdöl oder Kohle verbrannt wird. Zum anderen eignen | |
sich Gaskraftwerke, die schnell hochgefahren werden können, gut, um | |
Schwankungen bei der Versorgung mit erneuerbaren Energien auszugleichen. | |
Bei steigendem Erdgasverbrauch und entsprechend steigendem Preis, dürfte es | |
sich für Energiekonzerne in absehbarer Zeit lohnen, so genannte | |
unkonventionelle Lagerstätten zu erschließen: Lagerstätten, in denen nicht | |
einfach nur eine Gaskaverne angebohrt und ausgesaugt werden kann, sondern | |
wo das Gas zuerst aus dem Gestein gelöst werden muss. | |
"Mit den heute bekannten Ressourcen an Gas aus Reservoiren in dichtem | |
Speichergestein ("Tight Gas") und Gas aus Tonschiefergesteinen ("Shale | |
Gas") könnte man den aktuellen weltweiten Bedarf noch fast 300 Jahre lang | |
decken", schätzt der Exxon-Konzern. Um die Erschließung solcher | |
Lagerstätten in Deutschland voranzutreiben, hätten die deutschen | |
Erdgasproduzenten ihre Investitionen im Inland 2008 um 17 Prozent | |
gesteigert. Bis 2030 könnte sich der Aufwand soweit lohnen, dass heimisches | |
"Tight" und "Shale Gas" "spürbar zur deutschen Erdgasversorgung beitragen". | |
Das Wasser- und Sand-Gemisch, das zum "Fracing" in die Erde gepumpt wird, | |
besteht nur zu weniger als einem halben Prozent aus Chemikalien. Diese | |
dienen zur Desinfektion und sie sollen helfen, die durch den Druck | |
erzeugten Risse im Gestein offen zu halten, damit das Gas heraus strömen | |
und abgesaugt werden kann. Weil für das Verfahren, wie es in den USA | |
praktiziert wird, Millionen Liter Flüssigkeit nötig sind, ist jedoch die | |
absolute Menge an Chemikalien groß. | |
"Hinweise auf eine Verunreinigung der Umwelt wurden bisher im Zusammenhang | |
mit Frac-Arbeiten nicht festgestellt", teilte das niedersächsische | |
Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) auf Anfrage mit. | |
Bohrplätze würden mit Auffangbecken umgeben, die Bohrungen verrohrt und | |
abgedichtet. Läuft alles planmäßig, werden die Risse nur in der angepeilten | |
Gesteinsschicht in mehr als 1.000 Metern Tiefe erzeugt, die durch mächtige | |
Schichten gegen die nächste Grundwasserschicht abgedichtet ist. Das Gas | |
wird in dichten Leitungen durch Wasser führende Schichten hindurch heraus | |
gesaugt. Das zurück fließende "Frac"-Wasser wird gesammelt und in den | |
Randbereich ehemaliger Erdöl- und Erdgaslagerstätten gepumpt. | |
Dass das alles so glatt gehen werde, bezweifelt Martin Becker von den | |
Grünen in Bissendorf, einem Vorort von Osnabrück. "Das ist eine technische | |
Baustelle", sagt er, "da kann man nichts ausschließen." Becker betreibt | |
selbst einen Brunnen, von dem er befürchtet, dass er bei einer nahe | |
gelegenen Bohrung vergiftet werden könnte. Er fragt sich, ob die | |
vergleichsweise kleine Fördermenge, die zu erwarten ist, das Risiko und den | |
Aufwand rechtfertigt. Zumal sich ja der CO2-Ausstoß pro Einheit verbrannten | |
Gases erhöhe, wenn es unter großem Energieeinsatz gefördert werde. | |
Sorgen macht die geplante Förderung auch den Wasserversorgern. "Es kann | |
nicht sein, dass die Erteilung von Genehmigungen an den für die | |
Sicherstellung der Trinkwasserversorgung Verantwortlichen vorbei läuft", | |
sagt der Vizepräsident des Verbandes Kommunaler Unternehmen (VKU) und Chef | |
von Hamburg Wasser Michael Beckereit. "Wir wollen keine Verhältnisse wie in | |
den USA, wo durch unsachgemäße Bohrungen Trinkwasser kontaminiert wurde." | |
Nach Auskunft des LBEG werden unkonventionelle Lagerstätten hierzulande | |
bisher nur gesucht und nicht ausgebeutet. Schon allein deshalb könne keine | |
Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) gefordert werden, wie sie für größere | |
Eingriffe in die Umwelt üblich ist. Werde das Gas tatsächlich gefördert, | |
müsse das tägliche Fördervolumen größer als 500.000 Kubikmeter sein. Die | |
einzelnen Bohrstellen bei der unkonventionellen Gasförderung liegen in der | |
Regel weit darunter. | |
30 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Gernot Knödler | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Klimagerechtigkeit | |
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