# taz.de -- Weniger arbeiten und das Klima retten: Eine Frage der Umverteilung | |
> Seltener in der Firma zu sein bedeutet weniger Produktion, weniger | |
> Wachstum, weniger Vermögen. Das könnte nicht nur dem Klima nützen. | |
Bild: Arbeitsfrei und Spaß dabei, alles klimabelastungsfrei | |
Hey, Freitag, endlich Wochenende! Ich freu mich, nicht weil ich ausschlafen | |
kann, sondern weil ich im Kiez-Gemüsegarten dran bin. Seit ich neun Stunden | |
pro Woche arbeite, ist mein Alltag viel cooler geworden. Meistens arbeite | |
ich online von zu Hause und kann mir das super einteilen. Ich habe jetzt | |
Zeit für soziale Projekte in der Kita oder bei der Bürgerenergie im | |
Stadtviertel. | |
So könnte das Arbeiten in der Zukunft aussehen, wenn wir die Arbeitszeit | |
auf 9 Stunden pro Woche kürzen. Das empfiehlt Philipp Frey in seiner Studie | |
„[1][The Ecological Limits of Work]“. Denn mit dieser Wochenarbeitszeit | |
könnte es uns gelingen, die Pariser Klimaziele einzuhalten. So hat es der | |
Wissenschaftler vom Karlsruher Institut für Technologie ermittelt. | |
Klar können wir nicht von heute auf morgen die Arbeitszeit so radikal | |
kürzen. Aber in der Coronakrise haben wir erlebt, wie die Emissionen durch | |
das veränderte Arbeiten gesunken sind. Könnte mehr Digitalisierung helfen, | |
das Klima zu retten, weil mehr Menschen von zu Hause arbeiten? Steffen | |
Lange vom [2][Institut für ökologische Wirtschaftsforschung] sagt: Ja. | |
Aber. | |
Mehr Digitalisierung verbraucht mehr Strom, verursacht einen höheren | |
Ressourcenverbrauch wegen der steigenden Zahl an Geräten. Derzeit gehen 8 | |
bis 10 Prozent des Stromverbrauchs und 4 Prozent des CO2-Ausstoßes auf die | |
Internetnutzung zurück. Solange der Strom nicht zu hundert Prozent aus | |
erneuerbaren Energien kommt, kann die Digitalisierung nicht helfen, die | |
Pariser Klimaziele zu erreichen, sagt Steffen Lange. | |
## Vorschläge der IG Metall | |
Ohne eine Transformation der Gesellschaft und somit auch der Arbeit geht es | |
nicht. Der Druck auf die Industrie ist ohnehin hoch, aber nicht nur wegen | |
des Klimaschutzes. Branchen wie Energieversorger oder Automobilindustrie | |
befinden sich mitten im Strukturwandel. Die IG Metall hat deshalb bereits | |
ein Transformationskurzarbeitergeld und eine Vier-Tage-Woche vorgeschlagen. | |
Das [3][Transformationsgeld] könnte Beschäftigte sozial absichern – wie das | |
Kurzarbeitergeld in der derzeitigen Coronakrise. Gleichzeitig könnten sich | |
Betroffene sich für andere Jobs weiterbilden. | |
Eine generelle Arbeitszeitverkürzung würde auch zu mehr | |
„Beschäftigungsgerechtigkeit“ führen, sagt Margareta Steinrücke. Sie hat | |
viel [4][zu Arbeitszeit geforscht] und ist Mitglied in der Attac-AG | |
„ArbeitFAIRteilen“. Durch die Verkürzung soll die Arbeit auf mehr Menschen | |
verteilt werden. | |
Finanziert werden könnte die Arbeitszeitverkürzung schrittweise durch | |
Vermögens-, Erbschafts- und Bodenwertsteuer und Anhebung des | |
Spitzensteuersatzes, schlägt Steinrücke unter anderem vor. Auch die | |
Unternehmen müssten ran: Seit den 80er Jahren sei die Lohnquote, der Anteil | |
der Löhne am Bruttoinlandsprodukt (BIP), gegenüber dem Kapitalvermögen | |
gesunken, so Steinrücke. | |
Jetzt eine 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich einzuführen, würde nur | |
die Schieflage der vergangenen Jahre korrigieren. Darin sind sich Margareta | |
Steinrücke und Philipp Frey einig. Die [5][bereinigte Lohnquote], gemessen | |
am BIP, lag 2018 bei 56,7 Prozent. Das ist weniger als 1970 mit 65,6 | |
Prozent. | |
## Weniger arbeiten, gerechtere Beschäftigung | |
Mit einer Arbeitszeitverkürzung lässt sich aber nicht nur das Klima | |
schützen, sondern auch Beschäftigungsgerechtigkeit herstellen. | |
Erwerbsarbeit könnte so auf alle verteilt werden, dass jeder die Chance | |
eines existenzsichernden Einkommens, Anerkennung, gesellschaftliche | |
Teilhabe und Einfluss hat, sagt die Arbeitszeitforscherin Steinrücke. | |
Arbeit werde ohnehin wegen Digitalisierung und Automatisierung auf lange | |
Sicht knapper. | |
Und noch eine gesellschaftlich wichtige Komponente wird durch | |
Arbeitszeitverkürzung erreicht: Geschlechtergerechtigkeit. Die Verringerung | |
von Erwerbsarbeitszeit ermöglicht allen, mehr Haus- und Fürsorgearbeit, | |
aber auch mehr soziale und ehrenamtliche Aufgaben zu übernehmen. Die | |
Lebensqualität aller würde sich radikal verändern. Letztlich: Mit der | |
Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit schaffen wir auch den gesellschaftlichen | |
Systemwechsel. | |
25 Sep 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.itas.kit.edu/2019_024.php | |
[2] https://www.ioew.de/das-ioew/mitarbeiter/dr-steffen-lange/ | |
[3] https://www.igmetall.de/politik-und-gesellschaft/wirtschaftspolitik/arbeits… | |
[4] https://www.attac-netzwerk.de/ag-arbeitfairteilen/startseite/ | |
[5] https://www.dgb.de/themen/++co++39b36c8c-eff8-11e9-8982-52540088cada | |
## AUTOREN | |
Kathy Ziegler | |
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