# taz.de -- Die Verantwortung von Superreichen: Von König Midas lernen | |
> In der globalen Wirtschaftskrise explodieren die Vermögen der extrem | |
> Reichen. Deren Exzesse sind buchstäblich tödlich für unseren Planeten. | |
Bild: Irgendwo muss das Geld ja hin: Yachten auf der Düsseldorfer Messe Boot 2… | |
König Midas war reich. Extrem reich. Unermesslich und unantastbar, denn | |
alles, was er berührte, verwandelte sich in Gold, die Rosen im Garten | |
seiner Tochter ebenso wie die gegrillte Dorade auf seinem Teller. Weswegen | |
er gemäß einer der vielen Legenden, die sich um ihn ranken, verhungerte. | |
König Mansa Musa aus Mali war reich. Extrem reich. So reich, dass der | |
Goldpreis in Kairo zusammenbrach, als er mit Tausenden von Höflingen auf | |
Hadsch ging, auf Pilgerschaft nach Mekka und Medina. Bei der Rückreise | |
konnte er seine riesige Entourage kaum ernähren, so wenig war sein Gold | |
inzwischen wert. | |
Mythen sind unterhaltsam und lehrreich. Zu viel Reichtum galt seit je eher | |
als Fluch. Nicht nur für die Onkel Dagoberts, sondern auch für die | |
jeweilige Gesellschaft. Weswegen es höchste Zeit ist, darüber nachzudenken, | |
was mit uns gerade geschieht, da die Vermögen der Ultrareichen explodieren. | |
Schon vor der Pandemie „erwirtschaftete“ das reichste Prozent der | |
Bevölkerung mehr als das Bruttosozialprodukt von 169 Staaten – darunter | |
alle Länder im Nahen Osten und auf dem afrikanischen Kontinent. Die | |
Ultrareichen haben vom Coronavirus besonders profitiert. Laut dem | |
Bloomberg-Milliardärsindex sind die 500 reichsten Menschen der Welt trotz | |
der globalen Wirtschaftskrise nun 813 Milliarden Dollar reicher als zu | |
Beginn des Jahres. Das Gesamtvermögen der Ultrareichen sei im Juli auf | |
einen neuen Höchststand von 10,2 Billionen Dollar, gegenüber 8,9 Billionen | |
Dollar Ende 2017, gestiegen. Der größte Reibach wurde im Technologie- und | |
Gesundheitssektor gemacht. Die Nettovermögen in den Bereichen | |
Unterhaltung, Immobilien und Finanzen wuchsen im Vergleich dazu um | |
bescheidene 10 Prozent. | |
Einem Bericht der Schweizer UBS zufolge haben die Milliardäre dieser Welt | |
ihr Vermögen von April bis Juli dieses Jahres um mehr als ein Viertel | |
gesteigert, also zu einem Zeitraum, als Milliarden von Menschen ihre Arbeit | |
verloren oder nur aufgrund von staatlichen Programmen überleben konnten. | |
Diese Unsummen wurden zumeist auf den Aktienmärkten ergattert, die sich | |
erstaunlich schnell von ihrer anfänglichen Baisse erholten. Laut UBS hat | |
die Zahl der Milliardäre mit 2.189 einen neuen Höchststand erreicht. | |
Wer sich über die Verhältnisse hierzulande informieren will, sei auf die | |
Webseite der World [1][Inequality Data Base] verwiesen. Eine Grafik ist | |
besonders interessant: Der Anteil am Gesamteinkommen der obersten zehn | |
sowie der untersten fünfzig Prozent. 1984, als ich zu studieren begann, lag | |
der Anteil der Oberen bei 23,3 und der Unteren bei 30,2 Prozent. Dreißig | |
Jahre später hat sich die Verteilung umgedreht. Nun erhalten die oberen | |
zehn Prozent 30,4 und die untere Hälfte nur mehr 25,9 Prozent. Wir haben | |
also eine massive [2][Umverteilung] von unten nach oben erlebt. Und da | |
behaupten immer noch viele in der Politik, sie seien gegen Umverteilung. | |
Sind diese Realitäten nur Schönheitsflecken auf dem makellosen Körper des | |
Kapitalismus oder maligne Melanome, die wirtschaftlich und sozial | |
destruktive Auswirkungen haben? Letzte Woche erschien auch eine Studie von | |
Oxfam und dem Stockholmer Umweltinstitut, nach der das wohlhabendste | |
Prozent der Weltbevölkerung zwischen 1990 und 2015 für den Ausstoß von mehr | |
als doppelt so viel Kohlendioxid verantwortlich war wie die ärmere | |
Menschheitshälfte. | |
Wer viel mehr Geld hat, als er oder sie ausgeben kann, investiert meist in | |
destruktive Industrien wie fossile Brennstoffe und Bergbau. Extremer | |
Reichtum wird nicht „verdient“, sondern extrahiert – der Natur entrissen | |
von unterbezahlten Arbeitern, gesichert durch Monopolmacht und politische | |
Einflussnahme. Darüber sollten wir ein demokratisches Gespräch führen: Ab | |
welcher Ziffer wird Raffen und Horten sozial unverträglich? 10 Millionen? | |
50 Millionen? 100 Millionen? | |
In der Epoche eines drohenden ökologischen Zusammenbruchs sind derartige | |
Exzesse buchstäblich tödlich. Die Existenz von Milliardären ist mit der | |
Einsicht in planetarische Grenzen unvereinbar. Wer auf einem halbwegs | |
intakten Planeten halbwegs human leben möchte, muss etwas gegen diese | |
perverse Ungleichheit unternehmen. Das ist weniger radikal, als es auf den | |
ersten Blick erscheint: Selbst ein klassisch sozialdemokratischer | |
Wirtschaftswissenschaftler wie Thomas Piketty stellt klar: „Eine drastische | |
Verringerung der Kaufkraft der Reichsten hätte an sich schon erhebliche | |
Auswirkungen auf die Verringerung der Emissionen auf globaler Ebene“. Erst | |
kürzlich forderte er eine Sondersteuer für hohe Vermögen. | |
## Christentum als politisches Programm | |
Das wäre sogar im Interesse der Ultrareichen, denn es ist nur eine Frage | |
der Zeit, bis ihr Reichtum angesichts von Milliarden hungernder und | |
dahinsiechender Menschen zu gewalttätigen Konflikten führen wird. Die | |
Ungleichheit zwischen Arm und Reich zerreißt irgendwann einmal das soziale | |
Gefüge. Wie mir Hans Peter Haselsteiner, Inhaber der Strabag, Platz 24 auf | |
der österreichischen Milliardärsliste, vor Jahren anvertraute, müsse seine | |
Klasse für ein Auskommen aller sorgen (daher seine Unterstützung eines | |
bedingungslosen Grundeinkommens), denn sonst könnte sie alles verlieren. | |
Vielleicht könnten wir vor der Bundestagswahl 2021 ausnahmsweise mal das | |
Christentum als politisches Programm ernst nehmen. Schlagen wir nach in der | |
Apostelgeschichte (2,44–45): „Alle aber, die gläubig geworden waren, waren | |
beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam. Sie verkauften Güter und Habe | |
und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte.“ | |
So wie König Midas, der gemäß einer anderen Legende alles aufgab, | |
umherwanderte, Pan anbetete und Schüler von Orpheus wurde. Ein gelungenes | |
Lied, das ist wahrer Reichtum. Und es tut niemandem weh. | |
14 Oct 2020 | |
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## AUTOREN | |
Ilija Trojanow | |
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