# taz.de -- EU legt Migrationspakt vor: Ein nahezu teuflisches Konstrukt | |
> Der von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen vorgelegte | |
> Migrationspakt ist eine Aneinanderreihung von Leerstellen. Fortschritte | |
> fehlen. | |
Bild: Daran ändert der Plan nichts: Rettungsaktion der NGO Open Arms im Mittel… | |
Ursula von der Leyen hat es auch nicht geschafft. Woran ihr Vorgänger, | |
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, und alle | |
EU-Ratspräsidentschaften der vergangenen Jahre gescheitert sind, dafür hat | |
auch von der Leyen am Mittwoch keine Lösung präsentiert. „Das derzeitige | |
System funktioniert nicht mehr. Und in den letzten fünf Jahren war die EU | |
nicht in der Lage, es zu reparieren“, schreibt die Kommission. Das stimmt | |
genau. Und dabei bleibt es auch. | |
Denn von [1][der Leyens Migrationspakt] ist eine Aneinanderreihung von | |
Leerstellen. Sie betont die Verpflichtung zur Seenotrettung – doch von | |
einer europäischen Seenotrettungsmission ist keine Rede. Sie bekennt sich | |
zur Notwendigkeit „sicherer Wege“ – an ein Ende der brutalen Indienstnahme | |
der libyschen Küstenwache zur Flüchtlingsabwehr ist nicht gedacht. Horst | |
Seehofers Idee, [2][Asylanträge zunächst per Schnellverfahren in Lagern an | |
den Außengrenzen] prüfen zu lassen, soll umgesetzt werden. Wie die Rechte | |
der Geflüchteten dabei gewahrt werden sollen, ist unklar. | |
Flüchtlinge kommen heute im Wesentlichen über vier Staaten in die EU: | |
Griechenland, Italien, Malta und Zypern. Bisher sind diese allein für sie | |
zuständig. Deshalb [3][tun sie fast alles, damit weniger Menschen bei ihnen | |
ankommen]. Das ist einer der wichtigsten Gründe für das Sterben auf dem | |
Mittelmeer und das Elend in Lagern von Lesbos oder Libyen. Gleichzeitig | |
lehnen Staaten wie Ungarn, Polen, die Slowakei, Tschechien und Österreich | |
verbindliche Umverteilungsquoten, die die Länder an den Außengrenzen | |
entlasten würden, strikt ab. | |
Die Kommission verzichtet in dem Pakt darauf, diese Weigerung zu brechen. | |
Stattdessen sollen die Staaten, die keine Flüchtlinge von den Außengrenzen | |
aufnehmen wollen, „Abschiebe-Patenschaften“ übernehmen. Dabei handelt es | |
sich um ein nachgerade teuflisches Konstrukt: Um zu ermitteln, wer wie | |
viele der Ankommenden aufnehmen müsste, soll ein Verteilungsschlüssel | |
zugrunde gelegt werden. Jedes Land, das seine Quote dabei nicht über | |
Aufnahme erreicht, muss ersatzweise eine entsprechende Anzahl abschieben, | |
und zwar innerhalb von acht Monaten. Man braucht nicht viel Fantasie, um | |
sich vorzustellen, wie dabei künftig mit den Menschen umgesprungen werden | |
wird. | |
Hinzu kommt: Es lassen sich aus verschiedenen Gründen längst nicht alle | |
abschieben, die kein Asyl bekommen. Was geschieht mit dem Rest? Dazu steht | |
im Kommissionspapier nichts. Vermutlich müssen sie lange in Lagern | |
ausharren, um am Ende doch in Italien oder Griechenland zu bleiben. | |
Der EU ist es im Jahr 2016 nicht gut bekommen, Länder wie Ungarn zu | |
zwingen, Flüchtlinge zu nehmen, die sie partout nicht wollen. Trotzdem gibt | |
es einen Hebel gegen den andauernden Boykott von Humanität durch die | |
Populisten, und der heißt Geld. Verweigerung muss wehtun. Mit dieser | |
Haltung müsste die Kommission wenigstens in die Ratsverhandlungen | |
eintreten. Im Pakt findet sich auch davon: nichts. | |
24 Sep 2020 | |
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[1] https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/STATEMENT_20_1727 | |
[2] /Nach-dem-Brand-in-Moria/!5711244 | |
[3] /Push-backs-von-Gefluechteten/!5687089 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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