| # taz.de -- Tribute-Album zu Marc Bolan und T. Rex: Die Revolution ist neu arra… | |
| > Auf „AngelHeaded Hipster“ singen Nick Cave, Lucinda Williams, Gaby Moreno | |
| > und andere. Produzent Hal Willner hat sich ein letztes Mal bewiesen. | |
| Bild: T. Rex 1972 mit Marc Bolan, Zweiter von rechts | |
| Spätere Generationen werden sich womöglich fragen, ob es nicht zwei Marc | |
| Bolans gegeben hat. Vielleicht Vater und Sohn? Oder ein Original und einen | |
| Wiedergänger? Denn so deutlich einige Überschneidungen sind – vor allem | |
| einige charakteristische Gesangsmanierismen –, so offensichtlich | |
| unterschiedlich, ja entgegengesetzt sind die gewählten Mittel im Speziellen | |
| und die künstlerische Agenda im Allgemeinen. | |
| Hier der Vorsteher des Duos Tyrannosaurus Rex, das zur psychedelischen | |
| Folk-Szene im London der späten 1960er Jahre gezählt wurde, obwohl es mit | |
| dem Folk-Revival jener Zeit nichts zu tun hatte, außer dass Bolan | |
| vornehmlich akustische Gitarre spielte (und sein Bandpartner vornehmlich | |
| Bongotrommeln). | |
| Dort der Frontmann der Band T. Rex, die in konventioneller | |
| Rockband-Besetzung mit dem zeittypischen Sweetening aus Streichern, | |
| Chorgesang und Studiokräften eine Musik des größtmöglichen Nenners | |
| produzierte und anscheinend primär das Ziel verfolgte, reich und berühmt zu | |
| werden. Hier ein Innovator, der immer wieder ungewöhnliche Akkordfolgen und | |
| Voicings suchte und fand und seiner ebenso ungewöhnlichen, aber extrem | |
| modulierbaren Stimme freien Lauf ließ. | |
| Dort ein den Zeitgeschmack aufgreifender marktgerechter Klang, der um jeden | |
| nicht gängigen Akkord einen weiten Bogen machte und die stimmlichen Exzesse | |
| vor allem in Richtung Rock-Exaltiertheit zu kanalisieren suchte. | |
| ## Im Kielwasser von Dylan und Donovan | |
| „Mehr als alles in der Welt wollte ich immer einen Hit“, sagte Marc Bolan | |
| gegen Ende des Jahres 1970, in dem ihm mit dem schlichten Boogie „Ride A | |
| White Swan“ genau das gelungen war. Mit seiner nun zu T. Rex umfirmierten | |
| Band verabschiedete sich der Brite von dem Versuch, als Folk-Barde mit | |
| Dichtkunst und akustischer Gitarre im Kielwasser [1][von Dylan] und Donovan | |
| berühmt zu werden. | |
| „Ich habe mir fünf Jahre gegeben. Wenn ich es in dieser Zeit nicht schaffe, | |
| dann ergebe ich mich der Tatsache, dass ich einfach nicht fürs 20. | |
| Jahrhundert gemacht bin.“ Für seinen letzten Versuch erinnerte er sich | |
| seiner Leidenschaft für den Rock ’n’ Roll der 1950er Jahre und entdeckte | |
| dank des Produzenten Tony Visconti seine Liebe zur E-Gitarre. | |
| Das letzte Album als Tyrannosaurus Rex, „A Beard Of Stars“, enthielt dann | |
| auch schon etliche E-Gitarren-Ausbrüche, während das namenlose | |
| T.-Rex-Debütalbum noch von zarten akustischen Hippie-Fantasien dominiert | |
| wurde. Es folgte eine kurze Zeit von Megahits wie „Hot Love“, „Get It On | |
| (Bang A Gong)“ oder „Metal Guru“ und eine Post-Ruhm-Phase, die womöglich… | |
| eine dritte künstlerische Periode gemündet hätte, wäre Bolan nicht 1977 bei | |
| einem Autounfall eine Woche vor seinem 30. Geburtstag ums Leben gekommen. | |
| Tribut-Compilations sind ein komisches Phänomen. Nicht zuletzt, weil sie so | |
| selten gelingen. Sie scheitern wahlweise an zu viel Respekt, zu wenig | |
| Fantasie oder zu wenig Leidenschaft fürs jeweilige Thema. Hal Willner, im | |
| Frühjahr verstorbener US-Produzent und Tribut-Compilation-Vielfachtäter, | |
| schaffte frühzeitig eine Benchmark: „That’s The Way I Feel About It Now“, | |
| das von ihm verantwortete, 1987 veröffentlichte Doppelalbum zu | |
| [2][Thelonious Monk], zeigte in seiner Diversität, wie’s gehen kann. | |
| ## Von Kurt Weill bis Disney | |
| Autonom arbeitende Künstler mit einer besonderen Nähe zum Thema und | |
| natürlich ein Objekt, das eine interpretatorische Diversität nicht nur | |
| zulässt, sondern geradezu einfordert. So erhält man mitunter verblüffende | |
| neue Perspektiven auf ein vermeintlich bekanntes Werk. | |
| Vielleicht ermutigt durch den Erfolg dieses Werks avancierte Willner zum | |
| Spezialisten für Coverversionen und Tribute-Alben. Er widmete sich zunächst | |
| weiteren Großkomponisten wie Kurt Weill, Harold Arlen und Charles Mingus, | |
| dann ging er über zu etwas weiter gesteckten Themenfeldern wie den | |
| Soundtracks zu den klassischen Disney-Filmen; bis hin zu zwei von | |
| [3][Johnny Depp] exekutiv produzierten Compilations mit „Rogue’s Gallery: | |
| Pirate Ballads, Sea Songs, and Chanteys“ und „Son Of Rogues Gallery“. | |
| Dabei wandelte sich jedoch der Charakter dieser Alben mit der Zeit: Galt es | |
| zunächst, passende Künstler für Neuinterpretationen zusammenzusammeln, | |
| wurden die Werke immer mehr zu Artist-Alben, wobei der Artist Hal Willner | |
| war, der sich zur Verwirklichung seiner Ideen jede Menge berühmte und | |
| weniger berühmte Gäste einlud. | |
| In den Liner Notes zu „AngelHeaded Hipster – The Songs of Marc Bolan & T. | |
| Rex“, seiner nun posthum – Willner starb im April an den Folgen einer | |
| Corona-Infektion – veröffentlichten 26-Song-Arbeit zum Werk von Marc Bolan, | |
| beschreibt er freimütig die Arbeitsweise: „Die meisten Sessions wurden | |
| durchgeführt mit einem großen Orchester und einer Rhythmussektion, die für | |
| einen Tag verpflichtet wurden mit zwei oder drei Künstlern, die dort lebten | |
| oder gerade in der Stadt waren.“ | |
| ## Nick Cave, Elysian Fields und U2 | |
| Die hier als Interpreten in Versalien aufgeführten Namen sind also | |
| letztlich kaum die künstlerisch Verantwortlichen oder auch nur besonders | |
| Involvierten. | |
| Stattdessen verwirklichte Willner seine eigenen Vorstellungen von Marc | |
| Bolans Musik, unter Mithilfe einer Reihe namhafter Instrumentalisten und | |
| Arrangeure, mit denen er teilweise schon seit Jahrzehnten | |
| zusammenarbeitete, darunter Bill Frisell, Steven Bernstein, Van Dyke Parks | |
| und Tom Fowler. Dazu gibt es rührende, weil kaum hörbare Cameos von Kevin | |
| Shields (My Bloody Valentine), Trombone Shorty (im Bläsersatz hinter U2) | |
| oder Rolan Bolan (Marcs Sohn, als Chorsänger). | |
| Einige wenige name artists, [4][etwa Nick Cave], U2 und Elysian Fields | |
| ließen so was nicht mit sich machen, beteiligten sich selbst an den | |
| Arrangements und spielten sie auch selbstständig ein. Der Großteil legte | |
| sich aber in das von Willner gemachte Bett. | |
| Was nicht heißt, dass auf „AngelHeaded Hipster“ nicht dennoch einige tolle | |
| Tracks zustande gekommen wären, was dann aber vor allem dem „Artist“ Hal | |
| Willner und dem von ihm zusammengestellten Team anzurechnen ist: Børns | |
| liefert eine mitreißend dramatische Version von „Dawn Storm“, dem | |
| [5][Wahlberliner King Khan] gelingt Ähnliches mit dem im Original | |
| aufreizend stumpfen „I Love To Boogie“, und Gaby Morenos „Beltane Walk“… | |
| ein hinreißendes Stück Kammermusik, für das ihr nicht beteiligter | |
| Lieblingsarrangeur Van Dyke Parks nicht unverdient einen Credit als | |
| „Inspiration“ bekommt. | |
| ## Unsere Nena? | |
| Elysian Fields übertragen „The Street And Babe Shadow“ erfolgreich in ein | |
| Retro-Disco-Idiom, Todd Rundgren profiliert sich in „Planet Queen“ als | |
| entfesselter Jazz-Club-Sänger, ganz ähnlich David Johansen (New York Dolls) | |
| in seiner „Bang A Gong (Get It On)“-Version. Zu den kuriosesten Curiosa | |
| zählt sicherlich, dass „Metal Guru“ von niemand anderem als Nena | |
| eingesungen wurde. [6][Unsere Nena?] Ja, so könnte sie heute klingen. | |
| Dankenswerterweise verzichtete Willner darauf, Dieter Bohlen einzuladen – | |
| dabei nannte der seinen ersten Sohn immerhin Marc. Bleibt die Frage, was | |
| Willner bewogen haben mag, sich nach Monk, Mingus und Weill auf einmal Marc | |
| Bolan zuzuwenden. „Ich fand heraus, dass über Bolan kaum jemals als | |
| ‚Komponist‘ gesprochen wurde“, schreibt er in den Liner Notes. | |
| „Es ging nur darum, was für ein großartiger Rocker er war und wie | |
| innovativ, dass [7][David Bowie] sein Wesen übernommen hätte und er in | |
| dessen Schatten stand. Aber ich platziere ihn in denselben Pantheon wie die | |
| anderen Komponisten, die ich zuvor erforscht habe, und das Konzept von | |
| ‚AngelHeaded Hipster‘ war es, Bolan als Komponisten auszustellen …“ | |
| Ja, Bolan konnte ein hochinteressanter Komponist sein, aber seine größten | |
| Leistungen waren die exzentrischen, selten länger als zwei Minuten | |
| dauernden Miniaturen seiner T.-Rex-Zeit, von denen hier nur drei in eher | |
| unspektakulären Versionen zu finden sind (Devendra Banhart mit „Scenescof“, | |
| Victoria Williams mit „The Pilgrim’s Tale“ und Jesse Harris mit „Great | |
| Horse“). Wo Willner schreibt, wie sehr ihn als Teenager „A Beard Of Stars“ | |
| beeindruckte, wundert man sich, dass davon nichts Ambitionierteres für | |
| dieses Projekt in Angriff genommen wurde. | |
| 7 Sep 2020 | |
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