| # taz.de -- Musikstile aus Kuba: Die Metadaten der Revolution | |
| > Für Che Guevara bedeutete Kuba Sozialismus mit Musikbegleitung. Die | |
| > Musikstile der Insel sind Thema auf einem informativen Sammelalbum. | |
| Bild: So viel drin: Kubanische Plattencover | |
| Wie soll sich eine künftige Generation nur einen Reim auf ein älteres Stück | |
| Musik machen, wenn es nicht mehr auf das Bündel an Metadaten zurückgreifen | |
| kann, das eine Weile die Verpackungen, also die jeweiligen Albumcover (oder | |
| auch CD-Booklets) lieferten? | |
| Wie soll man einen klanglichen Irrsinn verstehen oder womöglich auch nur | |
| einordnen, richtig zuordnen – ohne die Fakten, die Anmerkungen (von Liner | |
| Notes bis zur Dankesliste), die Stilmittel der Gestaltung, womöglich Bilder | |
| von Beteiligten, bis hin zur Art der Herstellung, also all die Zeichen, die | |
| die begleitenden Drucksachen kommunizieren? Schwer vorstellbar. | |
| Nur folgerichtig ist daher das Ansatz des Londoner Labels Soul Jazz, das | |
| seit Jahren nicht nur geliebte ältere Musik auf Tonträgern mit | |
| umfangreichen Drucksachen veröffentlicht, sondern auch Bildbände, die ganz | |
| ohne Musik auskommen und sich quasi voll auf die Metadaten konzentrieren. | |
| Aktuell hat man sich mit diesem Ansatz der kubanischen Musik seit der | |
| Revolution 1959 bis zum Ende der dortigen Vinylproduktion zu Beginn der | |
| 1990er Jahre gewidmet und mit „Cuba: Music and Revolution – Original album | |
| cover art of Cuban music“ jetzt einen prächtigen Coffee-Table-Bildband | |
| produziert. | |
| „Im 20. Jahrhundert entwickelten kubanische Musiker:Innen eine | |
| scheinbar endlose Zahl von Stilen – vor wie nach der Revolution –, von | |
| denen viele um die Welt reisten, während andere zu Hause blieben“, schreibt | |
| Stuart Baker, Soul-Jazz-Chef und Co-Herausgeber von „Cuba: Music and | |
| Revolution“ (mit Gilles Peterson) in der Einleitung des Buchs. „Rumba, | |
| Bolero, Changui, Guajira, Guaracha, Danzon, Trova, Conga, Mambo, Son, | |
| Cha-Cha-Cha, Mozambique, Pilon, Nueva Trova, Songo, Timba … weiter und | |
| weiter geht die Liste.“ | |
| Doch auch wenn der [1][lebensfrohe Che Guevara] das kubanische | |
| Gesellschaftsmodell als „Sozialismus mit Pachanga“ beschrieb – womit er d… | |
| neuesten Party-Musik-Trend aufgriff, den der flamboyante Musiker Eduardo | |
| Davidson im Jahr 1958 begründet hatte – ganz so bruchlos verlief die | |
| Entwicklung der kubanischen Musik nicht. | |
| ## Das Bordell der USA | |
| Vor der Revolution hatte der kubanische Diktator Fulgencio Batista eine Art | |
| Deal mit dem US-Mafia-Paten Meyer Lansky geschlossen, der die Insel in | |
| einen Turboballermann für vor allem US-Sex- und Partytouristen verwandelt | |
| hatte. Für Musiker gab es in diesem „Bordell der USA“ (so der Politologe | |
| Karl E. Meyer) viele lukrative Jobs, und so waren in der Szene nicht alle | |
| begeistert, als am Neujahrstag 1959 [2][Fidel Castro] dem Spuk ein Ende | |
| machte und in der Folge Puffs, Spielhöllen und Nepp-Kaschemmen radikal | |
| dichtgemacht wurden. | |
| Um den Unterschied deutlich zu machen, werden im ersten Kapitel Cover aus | |
| der Zeit vor der Revolution abgebildet. Und was der | |
| Vorher-nachher-Vergleich am deutlichsten zeigt, ist die Veränderung des | |
| propagierten Frauenbildes. Im Vorher sehen wir etwa auf dem Album „Ritmo de | |
| pollos“ den Flötisten José A. Fajardo mit angestrengt-konzentriertem Blick | |
| im Frack, umringt von drei Frauen in Unterwäsche, die ihn scheinbar aus der | |
| Fassung zu bringen versuchen. | |
| Drastischer noch auf „Así es … Beny“ des großen Beny Moré, der Gitarre | |
| spielend zwischen Tabakpflanzen sitzt, während eine Zuhörerin vor ihm kniet | |
| und ihn, eine Hand auf seinem Oberschenkel, devot anschmachtet. | |
| ## Frauen im Kampfanzug | |
| Nachher sieht man Frauen als selbstbestimmt wirkende Siegertypen im | |
| Kampfanzug oder in Arbeitskleidung, offensichtlich gleichberechtigt mit den | |
| männlichen Kombattanten. Raus aus dem Bordell, rein in die agrarökonomische | |
| Akademie. Vor allem aber sieht man viel typisch sozialistisch-realistisches | |
| Design, also schwarze Quadrate, strenge Geometrie, plakative Typografie. | |
| Dass die Musik interessant blieb, zeigt die parallel zum Buch bei Soul Jazz | |
| veröffentlichte, ebenfalls von Stuart Baker und Gilles Peterson | |
| zusammengestellte Compilation „Cuba – Music and Revolution: Culture Clash | |
| in Havana – Experiments in Latin Music 1975-85“. | |
| Neben weltberühmten Bands wie Irakere oder Los Van Van und Künstlern wie | |
| Pablo Milanés und Paquito d’Rivera mit Tracks vom experimentellen Ende | |
| ihrer jeweiligen stilistischen Palette gibt es auch echte Entdeckungen, | |
| etwa die Beiträge der Grupo Monumental um den Saxofonisten und Arrangeur | |
| Daniel Rojas und der Grupo de Experimentación Sonora del ICAIC, die der | |
| Avantgarde-Komponist und Gitarrist Leo Brouwers kraft seines Amts als | |
| Bereichsleiter Musik des ICAIC (Instituto Cubano del Arte e Industria | |
| Cinematográficos) von 1969 bis 1977 leitete. Zu ihr gehörten neben | |
| Instrumentalisten auch Singer-Songwriter wie Pablo Milanes und Silvio | |
| Rodriguez. | |
| ## Fremdelnde Faszination für die USA | |
| Jene Experimente, von denen im Titel der Compilation die Rede ist, | |
| entspringen dabei einer musikantischen Perspektive, sind keine Versuche mit | |
| Tontechnik oder andere Klangexperimente, wie sie zeitgleich auf der gerade | |
| mal 400 Kilometer entfernten Nachbarinsel Jamaika durchgeführt wurden. Ganz | |
| offensichtlich hörten die Kubaner den Funk- und Fusion-Entwicklungen ihrer | |
| nordamerikanischen Nachbarn genau zu, der Elektrifizierung des Jazz und den | |
| sich immer ausdifferenzierenden Funk-Beats. | |
| Und dabei entwickelte sich auf Kuba eine Art fremdelnde Faszination für | |
| aktuelle klangliche Neuerungen aus dem musikalischen Norden, etwa | |
| elektronische Keyboards wie E-Piano, Clavinet oder diverse analoge | |
| Synthesizer, andererseits per Wah-Wah- und Distortion-Pedal aufgepimpte | |
| E-Gitarren und den dabei entstehenden neuen Spielweisen. | |
| Bei Juan Pablo Torres' „Rompe Cocorioco“ meint man fast eine Art kreative | |
| Verzweiflung herauszuhören, wie er da diverse elektronische Keyboards mit | |
| Funky Beats und Streicherwänden kontrastiert und schließlich noch mit einem | |
| monophonen Synthesizer garniert, als wollte er zeigen: Das können wir alles | |
| auch! | |
| ## Kunst ohne Kommerz? | |
| Soul-Jazz-Kurator Stuart Baker sieht mit seiner etwas naiv romantisierenden | |
| Sicht der kubanischen Revolution darin eine „Kunst, die von Kommerz | |
| befreit“ ist. Man darf das nicht zuletzt deshalb anzweifeln, da die | |
| kubanischen Versuche die aktuellen Neuerungen aus dem musikalischen Norden | |
| zu verdauen, immer wieder frappierend an die zeitgleichen Versuche der | |
| Mini-Djaz- und Kompa-direk-Protagonist*innen Haitis erinnern – wo zu | |
| jener Zeit der Diktator Jean-Claude Duvalier („Baby Doc“) die Bevölkerung | |
| seines Landes terrorisierte. | |
| Nichtsdestotrotz sind Buch wie Album schöne Dokumente, die als Basis dienen | |
| können, um solche Diskussionen zu vertiefen. | |
| 21 Feb 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Detlef Diederichsen | |
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