| # taz.de -- Kuba in der Krise: Not erzwingt den Aufbruch | |
| > US-Handelsembargo, Coronakrise und fehlende Reformen haben Kubas | |
| > Wirtschaft schwer zugesetzt. Nun wird sie zum zweiten Mal dollarisiert. | |
| Bild: Einkaufen mit Dollar, das ist neu in Havanna und auch dafür müssen die … | |
| Der 26. Juli 1993 war für viele Kubaner*innen ein denkwürdiger Tag. Wie | |
| jedes Jahr würde das kubanische Fernsehen die obligatorische Rede Fidel | |
| Castros zum Jahrestag des Auftakts der Revolution am 26. Juli 1953 | |
| übertragen. Viele trauten ihren Ohren nicht angesichts dessen, was der | |
| Máximo Líder damals ankündigte: die Freigabe des US-Dollar auf der | |
| Zuckerinsel. Die Währung des großen Feindes, der USA, sollte fortan auf der | |
| Insel legal zirkulieren. Was war passiert, dass Kuba, das wie kaum ein | |
| anderes Land den USA die Stirn geboten hatte, einknickte und die Greenbacks | |
| legalisierte? | |
| Der schmerzhafte Schritt war, so Fidel Castro, eine Notmaßnahme. Die | |
| Regierung hatte Kassensturz gemacht und stand nach dem Zusammenbruch des | |
| sozialistischen Lagers und einer beispiellosen ökonomischen Talfahrt | |
| [1][vor den Trümmern ihres Wirtschaftskonzepts]. Das hatte sich auf die | |
| Hilfen der Bruderstaaten des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) | |
| gestützt. Mit dessen Zusammenbruch schrumpfte die Inselökonomie um satte 35 | |
| Prozent. | |
| Das Jahr 1993 war das härteste dieser drei Minusjahre, die jede*r | |
| Kubaner*in über 40 Jahre als „Sonderperiode in Friedenszeiten“ in | |
| traumatischer Erinnerung hat. Der Regierung in Havanna drohte das Geld | |
| auszugehen, es gab nicht genug Nahrungsmittel, und die Kalkulation des | |
| damaligen Finanzministers José Luis Rodríguez war glasklar: 500 Millionen | |
| US-Dollar fehlten, um bis zum Jahresende die allernötigsten Importe tätigen | |
| zu können. | |
| Auf genau diese Summe taxierten die Experten jedoch die illegal auf der | |
| Insel zirkulierenden US-Dollar, weshalb Fidel Castro an jenem 26. Juli 1993 | |
| die Legalisierung des US-Dollar auf der Insel bekanntgab. Ein | |
| traumatischer, aber erfolgreicher Schritt. In den Devisenshops der Insel, | |
| Diplo-Tiendas genannt, kauften Kubaner*innen mit US-Dollar, die Verwandte | |
| aus Miami oder Madrid geschickt hatten, was es damals in Kuba nicht gab: | |
| Milchpulver, Deodorant, Seife oder auch Zahnpasta – neben Kleidung und der | |
| ein oder anderen Luxusspirituose. | |
| ## Trump und Corona setzen Kuba zu | |
| So konnte der finanzielle Bankrott 1993 mit Ach und Krach abgewendet | |
| werden. 27 Jahre später wiederholt sich die Geschichte. Kubas Regierung | |
| steht erneut das Wasser bis zum Hals. Die von Donald Trump betriebene | |
| Verschärfung des US-Handelsembargos trifft die Inselökonomie hart. Hinzu | |
| kommt [2][die ökonomische Vollbremsung ab Ende März durch die Coronakrise], | |
| und dazu stagniert die Wirtschaft seit Jahren, weil Reformen ausblieben, so | |
| kubanische Sozialwissenschaftler. | |
| Darum sind die Kassen so leer, dass selbst langjährige kubanische | |
| Lieferanten ihre Rechnungen nur in Teilbeträgen bezahlt bekommen und die im | |
| Pariser Club zusammengeschlossenen staatlichen Gläubiger um | |
| Zahlungsaufschub bis 2022 gebeten wurden. Deshalb greift die Regierung von | |
| Miguel Díaz-Canel, der die Insel seit April 2018 als erster Präsident ohne | |
| den Nachnamen Castro regiert, auf altbewährte Konzepte zurück und schöpft | |
| Devisen ab, ohne die sich auf dem internationalen Markt nicht einkaufen | |
| lässt. | |
| US-Dollar sind es vor allem, die 2020 auf der Insel zirkulieren, und das | |
| reichlich. Auf 3,7 bis 5 Milliarden US-Dollar schätzen Experten die Summe | |
| der Geldtransfers vor allem aus den USA, aber auch aus Spanien, Kolumbien | |
| oder Panama im Jahr 2019. Auch in der Pandemie fließt das Geld weiter, mit | |
| dem Auslandskubaner*innen die Angehörigen auf der Insel über Wasser halten | |
| – allerdings nun wohl etwas spärlicher. Dafür sind zum einen die USA mit | |
| neuen rigiden Sanktionen gegen Finanzdienstleister verantwortlich, zum | |
| anderen ist es der weltweite Konjunktureinbruch. | |
| Die privaten Dollardepots haben die Verantwortlichen in Havanna im Visier, | |
| und dafür dollarisieren sie zum zweiten Mal die kubanische Ökonomie. | |
| Bereits im Oktober 2019 wurde der Direktverkauf von Haushaltsgeräten, | |
| Fernsehern, Computern und Co. für US-Dollar initiiert. | |
| ## Die Fehler von 1993 vermeiden | |
| Seit dem 21. Juli werden in 72 Supermärkten nun auch Produkte des täglichen | |
| Bedarfs abgegeben – an Kunden mit Bank-Card und Devisenkonto. | |
| „Dollarisierung reloaded“ ließe sich die Strategie der Regierung nennen, | |
| auch wenn sie 2020 nur partiell erfolgt. Denn de facto kursiert der | |
| US-Dollar nur virtuell über die Konten und hier und da unter den Hand, aber | |
| nicht wie 1993 inselweit, so Pavel Vidal, ein an einer Universität im | |
| kolumbianischen Cali lehrender Finanzexperte. | |
| Die gleichen Fehler wie 1993, als die Inselwirtschaft in einen dynamischen | |
| Dollarsektor und einen lethargischen Pesosektor (die offizielle, nicht | |
| konvertible Landeswährung heißt Peso Nacional) zweigeteilt wurde, will man | |
| nicht wiederholen, lobt Pavel Vidal. Zudem gefällt ihm, dass Kubas | |
| Regierung ihre Devisenabschöpfungsstrategie mit einer Reformagenda | |
| kombiniert hat. | |
| Mehr Autonomie soll es für Genossenschaften, kleine Selbstständige, | |
| mittlere private Unternehmen und staatliche Akteure geben, hat | |
| Wirtschaftsminister Alejandro Gil am 16. Juli angekündigt. Dabei hat er auf | |
| diverse Reformvorschläge von kubanischen Sozialwissenschaftlern | |
| zurückgegriffen. Die bereits 2010 angeregte Einrichtung von Großmärkten für | |
| die Beschaffung von Produktionsmaterialien sowie die Legalisierung | |
| direkter Import- und Exportaktivitäten durch private, genossenschaftliche | |
| und staatliche Unternehmen wird nun umgesetzt. | |
| Mehr Autonomie lautet der neue Ansatz auf der Insel, wo bisher nur | |
| staatliche Großunternehmen im- und exportieren konnten. Sie durften aber | |
| noch nicht einmal Bestellungen von privaten Unternehmen und | |
| Genossenschaften annehmen. Das soll sich nun ändern und könnte sich auf die | |
| seit Jahren stagnierende Inselökonomie wie eine Frischzellenkur auswirken – | |
| falls die angekündigten Maßnahmen gegen alle internen Widerstände in Partei | |
| und Parlament umgesetzt werden. Das ist die große Unbekannte auf der Insel, | |
| und da herrscht seit Dekaden Kontinuität. | |
| 18 Aug 2020 | |
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| Knut Henkel | |
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