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# taz.de -- Londoner Dancefloorproduzent East Man: Plötzlich diese Unterschicht
> Hi-Tek meets Low-Class: East Man und sein Album „Prole Art Threat“
> fokussiert auf Raptalente: Wie bedrohlich ist der neue Proletkult aus
> London?
Bild: East Man hat Stil und Ausdauer
„Bedrohung durch proletarische Kunst“, was Popmusik anbelangt, ist der
Albumtitel „Prole Art Threat“ ein Evergreen. Vor fast 40 Jahren, 1981,
veröffentlichte die nordenglische Galionsfigur des Postpunk, Mark E. Smith,
zusammen mit seiner Band The Fall den Song „Prole Art Threat“. Der
Arbeitersohn [1][Smith] war äußert belesen, schon der Bandname [2][The
Fall] entsprang dem Roman „Der Fall“ von Albert Camus. Die Musik von The
Fall führte die existenzialistische Seite von simpler Rockmusik, die er bei
Velvet Underground bewundert hatte, weiter.
Im Songtext von „Prole Art Threat“ spielt der Sänger eine fiktive
Spionageaktion gegen Repräsentanten der [3][britischen Workingclass] durch,
denn die stellen, so die Idee, eine Bedrohung für die etablierte Hochkultur
dar. Begleitet von knapp zwei Minuten rasenden Gitarren und grollendem
Schlagzeug.
Was Mark E. Smith in den Achtzigern eher spielerisch verstand, ist für den
Londoner Grimerapper Anthoney Hart alias East Man heute der volle Ernst.
Auf seinem Album „Prole Art Threat“ gibt er diversen KünstlerInnen aus den
östlichen, meist prekären Quartieren der britischen Hauptstadt eine Chance,
ihre Wut zu äußern. East Man selbst nennt seine Musik nicht HipHop oder
Grime, sondern Hi Tek.
## Harscher Sprechgesang
Harscher Sprechgesang mit fetten elektronischen Beats. Der Gedanke an
[4][Kraftwerk] liegt nahe, East Man mischt traditionelle Reimschemata mit
Drum ’n’ Bass, Techno und Dancehall, aber auch karibische und afrikanische
Sounds tauchen auf. In all den [5][Dancefloorgenres] erkennt Anthony Hart
moderne proletarische und großstädtische Kultur. Wenn er auf all dieser
Historie seine Tracks einfühlsam aufbaut, so hört man doch den wirklich
neuen Stil erst dann, wenn die Rapper*innen und Sänger*innen aufdrehen.
East Man hat neun Vokalisten aus dem Osten Londons, alle noch am Anfang
ihrer Karriere, Instrumentals vorgelegt und sie breiten sich auf diesen
aus: Ny Ny – eine Londonerin mit vietnamesischen Wurzeln – benutzt in „Who
Am I“ die Silben ihres eigenen Namens, um eine bitterböse Geschichte über
Identität zu erzählen. Das tun viele auf diesem Album. Streema, ein Talent
aus dem südöstlichen Stadtteil Lewisham, klingt im Auftaktsong „Know Like
Dat“ atemlos. Der brasilianische Newcomer Fernando Kep demonstriert in
„Ouroboros“, wie kunstvoll man den Flow des Rap ausschmücken kann.
Ähnlich wie Mark E. Smith sieht sich East Man als Sprecher der
Arbeiterklasse und möchte sein Album als „Spiegelbild der Kreativität des
Proletariats“ verstanden wissen und aufzeigen, „wie das Establishment uns
marginalisiert und (vielleicht auf unbewusster Ebene) als Bedrohung sieht.“
Es geht um die breite rhythmische Gegenwehr zur hochbürgerlichen
Doppelmoral, aber es wird auch die alltägliche Polizeigewalt thematisiert.
## Zurück ins East End
Angefangen hat der heute 41-jährige East Man Ende der Neunziger als
Drum-’n’-Bass-DJ. Später hat er sich für experimentelle Elektronik
begeistert, doch irgendwann musste Hart heraus aus den snobistischen
Zirkeln der Mittelklasse und zurück ins East End, in die ihm wohlbekannten
proletarischen Milieus von London. Mark E. Smith schrieb seinen Songtext
1981 aus dem Blickwinkel arbeitsloser Industriearbeiter in Manchester. East
Man denkt heute vor allem an die Tausenden Teenager im Londoner Osten, die
am meisten unter der Gentrifizierung leiden.
Er will mit seinem Hi-Tek-Sound den Antagonismus bilden zur „High Art“ der
Hipster-Kultur mit ihren Clubs, Galerien und Läden, die eine Bedrohung
durch proletarische Kunst dringend nötig haben. Neben Hi-Tek-Rap gibt es
auch reine Instrumentals und sogar einen Spoken-Word-Track, in dem sich
junge Frauen darüber aufregen, dass die HipHop-Heinis immer mehr zu Machos
mutieren, je älter sie werden. Das klingt besonders im Vergleich zum
Hochglanzsound des US-HipHop wirklich subversiv – und vermittelt ein Gefühl
der Verzweiflung, das der Mainstream fast vollständig verloren hat.
18 Aug 2020
## LINKS
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[4] /Musikalisches-Erbe-von-Florian-Schneider/!5684507
[5] /Produzent-Lee-Gamble-mit-neuer-Platte/!5581111/
## AUTOREN
Heinrich Thüer
## TAGS
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