| # taz.de -- Abschiebung nach Afghanistan: Polizist schlägt, Staat schiebt ab | |
| > Ein Polizist, der zu rechten Anschlägen ermittelte, beging mutmaßlich | |
| > einen rassistischen Übergriff. Das traumatisierte Opfer wird abgeschoben. | |
| Bild: Szene einer Abschiebung nach Afghanistan | |
| Berlin taz | Ein [1][Polizist, der sich derzeit wegen eines rassistischen | |
| Angriffs] vor dem Amtsgericht Tiergarten verantworten muss, war nach | |
| [2][Antifa-Recherchen Mitglied der Ermittlungsgruppe Rex], die von 2007 bis | |
| 2016 mit Ermittlungen zur rechtsextremen Anschlagsserie in Neukölln betraut | |
| war. Die elfköpfige Polizeigruppe überwachte Neonazis und ihre Treffpunkte | |
| in Südneukölln und hielt auch enge Kontakte zu zivilgesellschaftlichen | |
| Bündnissen. Brandanschläge konnte sie dabei ebenso wenig verhindern wie die | |
| Morde an [3][Burak Bektaş] oder [4][Luke Holland], ersterer immer noch | |
| unaufgeklärt. | |
| Seit Januar steht dieser Polizeibeamte K. zusammen mit zwei vermeintlichen | |
| Mittätern vor Gericht, weil er selbst einen rassistischen Übergriff | |
| begangen haben soll. Am 5. April 2017 nach einem Spiel des 1. FC Union soll | |
| er einen damals 26-jährigen Afghanen am S-Bahnhof Karlshorst entsprechend | |
| beschimpft und zusammengeschlagen haben. Der Beamte, der an jenem Abend | |
| nicht im Dienst und deutlich alkoholisiert war, sagte beim Eintreffen der | |
| alarmierten Polizist*innen, das kein Problem vorliege, schließlich seien | |
| keine deutschen Interessen betroffen. | |
| In mehreren Prozesstagen haben Zeug*innen den Verdacht gegen K. als | |
| Haupttäter bekräftigt. Helga Seyb, die für die Opferberatungsstelle Reach | |
| Out den seit März coronabedingt unterbrochenen Prozess beobachtet, erinnert | |
| sich an eine Zeugin, die überzeugend geschildert habe, wie sie sich | |
| zunächst mit K. unterhalten, diesen gar sympathisch gefunden habe. | |
| Als das Opfer, das zufällig die Treppe vom Bahnsteig herunterkam, von | |
| Umstehenden beschimpft wurde, habe sie erwartet, dass K. einschreite, | |
| tatsächlich sei er aber „abgegangen“ und habe noch mehr als die anderen | |
| Täter „effektiv zugeschlagen“, so Seyb. Mehrere Zeug*innen, darunter auch | |
| Polizist*innen, bestätigten zudem die rassistischen Beleidigungen. K. solle | |
| gerufen habe: „Geh in dein Land zurück.“ | |
| ## Ein zerstörtes Leben | |
| Für den Geschädigten war der Angriff nach zwei Jahren in Deutschland laut | |
| seiner Anwältin eine heftige Zäsur: Bis dahin soll er gut integriert im | |
| Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes in einem Kreuzberger Kinderladen | |
| gearbeitet haben. Das geregelte Leben des jungen Mannes, der neben | |
| körperlichen psychische Schäden davontrug, sei danach durcheinandergeraten. | |
| Unter den Folgen des Angriffs flüchtete er nach England, sei dort | |
| drogenabhängig und obdachlos geworden. Zurück in Berlin, sei er dann mit | |
| Drogen- und sonstiger Kleinkriminalität aufgefallen. Nach Angaben seiner | |
| Anwältin landete er im Krankenhaus des Maßregelvollzugs, ohne Anklage, weil | |
| ihn ein gerichtlicher Gutachter aufgrund seines psychischen Zustands für | |
| schuldunfähig erachtet. | |
| Am 11. März, mitten zur Coronazeit, sei er dann aus dem Krankenhaus heraus | |
| im Rahmen einer bundesweiten Sammelabschiebung nach Afghanistan | |
| abgeschoben, „direkt in die Obdachlosigkeit nach Kabul“, wie seine Anwältin | |
| Jenny Fleischer sagt. Sie stehe mit ihm Kontakt, sagt aber: „Ihm geht es | |
| schlecht.“ | |
| ## Zu frühes Opfer | |
| In Berlin gilt eigentlich die Weisung, dass nur Straftäter, sogenannte | |
| Gefährder und „Personen, die sich hartnäckig der Identitätsfeststellung | |
| verweigern“, nach Afghanistan abgeschoben werden. Verurteilt war der Mann | |
| jedoch nicht. Nach Informationen des Berliner Flüchtlingsrats wurde er aber | |
| als „Straftäter“ geführt; Innensenator Andreas Geisel (SPD) habe die | |
| Abschiebung genehmigt. | |
| Dass es sich bei dem Mann zugleich um ein Opfer einer rassistischen Attacke | |
| handelte, hat die Ausländerbehörde in ihrer Zustimmungsanfrage laut | |
| Flüchtlingsrat verschwiegen. Seit Juni 2017 hat sich Berlin darauf | |
| verpflichtet, Opfer rassistischer Gewalt nicht mehr abzuschieben – das war | |
| zwei Monate nach der Tat. | |
| Auf Anfrage rechtfertigte der Sprecher der Innenbehörde die Abschiebung: | |
| „Es gab die Prognose, dass von ihm eine erhebliche Gefahr für Leib und | |
| Leben Dritter ausgeht. Im März erfolgte deshalb die Abschiebung. Es ist | |
| Aufgabe des Innensenators, die Menschen in Berlin zu schützen. Dieser | |
| Aufgabe ist er nachgekommen.“ Zudem erklärte der Sprecher, Innensenator | |
| Andreas Geisel (SPD) habe nicht gewusst, „dass der Mann 2017 Opfer einer | |
| möglichen rassistisch motivierten Straftat geworden ist“. | |
| Für den Flüchtlingsrat ist die Abschiebung schon deshalb rechtswidrig, weil | |
| der Afghane als Nebenkläger ein Recht habe, an dem Prozess teilzunehmen und | |
| auch ein Schmerzensgeld hätte einfordern können. Sprecher Georg Classen | |
| fordert daher, dass der Abgeschobene „sofort nach Berlin zurückgeholt | |
| werden“ und zudem „ein sicheres Bleiberecht erhalten“ solle. Der Fall sei | |
| ein „Skandal für den rot-rot-grünen Senat“. | |
| Entsprechend empört ist Bettina Jarasch, Grünen-Sprecherin für Integration | |
| und Flucht. Sie erklärte am Donnerstag: „Es darf nicht mal der Hauch eines | |
| Verdachts entstehen, dass der Staat oder die Politik Ermittlungen oder | |
| Strafverfahren behindern will.“ Das Opfer müsse „unverzüglich“ aus | |
| Afghanistan zurückgeholt werden, fordert auch sie. Zudem müsse aufgeklärt | |
| werden, warum der junge Mann überhaupt abgeschoben wurde, obwohl er | |
| Nebenkläger im Prozess ist. | |
| Angesichts der aufgedeckten Biografie des vermeintlichen Haupttäters | |
| fordert Classen, die rechtsextreme Neuköllner Anschlagsserie und die | |
| Verbindungen von Polizei und Staatsanwaltschaft „ins rechtextreme | |
| Tätermilieu“ durch eine unabhängige Instanz untersuchen zu lassen. | |
| 13 Aug 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Fehlende-Strafverfolgung-in-Berlin/!5654948/ | |
| [2] https://twitter.com/retep_kire/status/1293402329379565568?s=20 | |
| [3] /Unaufgeklaerter-Mord-an-Burak-Bekta/!5394316/ | |
| [4] /Urteil-im-Mordfall-Luke-Holland/!5317573/ | |
| ## AUTOREN | |
| Erik Peter | |
| ## TAGS | |
| Polizei Berlin | |
| Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus | |
| Abschiebung | |
| Schwerpunkt Afghanistan | |
| Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus | |
| Abschiebung | |
| Abschiebung | |
| Rechter Terror in Berlin-Neukölln | |
| Abschiebung | |
| Abschiebung | |
| Schwerpunkt Afghanistan | |
| Rechter Terror in Berlin-Neukölln | |
| Polizei Berlin | |
| Rechter Terror in Berlin-Neukölln | |
| Polizei Berlin | |
| Schwerpunkt Rechter Terror | |
| Polizei Berlin | |
| Ferat Koçak | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Abschiebung nach rassistischem Angriff: Forderung nach Rückholaktion | |
| Ein Afghane wird abgeschoben, obwohl er Nebenkläger im Prozess nach einer | |
| wohl rassistisch motivierten Prügelei ist. Auch ein Polizist war beteiligt. | |
| Im Blaumann aus Berlin nach Afghanistan: Abschiebung(en) vollzogen | |
| Trotz Protesten aus der Koalition wurde am Mittwoch ein 21-jähriger Afghane | |
| aus der Jugendarrestanstalt abgeschoben. Er war nicht der Einzige. | |
| Drohende Abschiebung nach Afghanistan: Kritik an Berlins Innensenator | |
| Erneut soll am ein Mann aus Berlin nach Afghanistan abgeschoben werden. | |
| Flüchtlingsrat und Sozialdemokrat*innen fordern einen Abschiebestopp | |
| dorthin. | |
| rbb-Podcast „Wer hat Burak erschossen?“: Langzeitrecherche zu rechtem Terror | |
| 2012 wurde Burak Bektaş in Neukölln erschossen. Der Fall ist bis heute | |
| nicht aufgeklärt. Ein zehnteiliger Podcast zeichnet den Fall nach. | |
| Abschiebungen aus Deutschland: Lageberichte unter Verschluss | |
| Sie sind Basis für asylpolitische Entscheidungen. Doch die Bundesregierung | |
| will Berichte zur Sicherheitslage in anderen Ländern nicht veröffentlichen. | |
| Berliner Abschiebefall: Justiz stimmte Abschiebung zu | |
| Nach Afghanistan abgeschobener Nebenkläger soll im Görlitzer Park Menschen | |
| bedroht haben. Generalstaatsanwaltschaft führte das Verfahren. | |
| Vor Friedensgesprächen in Afghanistan: Die Unbeugsame | |
| Fausia Kufi überlebt ein weiteres Attentat. Die bekannte Frauenrechtlerin | |
| gehört zur Regierungsdelegation für die Verhandlungen mit den Taliban. | |
| Rechte Anschlagsserie Berlin-Neukölln: Stochern im rechten Sumpf | |
| Innensenator Geisel will die Anschlagsserie von einer Kommission | |
| untersuchen lassen. Die Grünen fordern, die Polizei genau in den Blick zu | |
| nehmen. | |
| Senator über rechten Terror in Berlin: „Dieses Versäumnis ist ein Problem“ | |
| Bei der Untersuchung der rechten Terrorserie in Neukölln gab es Fehler, | |
| sagt Berlins Innensenator Geisel (SPD). Er wird Sonderermittler einsetzen. | |
| Rechte Anschlagsserie in Berlin-Neukölln: Datenschützerin kritisiert Polizei | |
| In der Neuköllner Anschlagsserie haben Polizisten offenbar unerlaubt Daten | |
| von Opfern abgegriffen. Berlins Datenschützerin fehlt die Transparenz. | |
| Interkulturelle Kompetenz der Polizei: Politiker geben Rückendeckung | |
| Bei einem Besuch der Berliner Polizeiakademie stellt | |
| Bundesfamilienministerin Franziska Giffey fest, Prügel-Polizisten seien | |
| „Einzelfälle“. | |
| Rechte Brandanschläge in Berlin-Neukölln: Staatsanwälte werden versetzt | |
| Eine Serie von rechten Brandanschläge wird seit Jahren nicht aufgeklärt. | |
| Jetzt wird bekannt: Ermittelnde könnten Verbindungen zu Tätern haben. | |
| Fehlende Strafverfolgung in Berlin: Das bisschen Rassismus | |
| Ein Afghane wird von einem Polizisten außer Dienst attackiert. Die | |
| Staatsanwaltschaft lässt den Rassismus außer Acht – nicht zur ersten Mal. | |
| Rechte Anschläge in Berlin-Neukölln: Mit Wissen der Behörden | |
| Vor einem Jahr brannten in Neukölln die Autos zweier Linker. Die Behörden | |
| hatten Hinweise, dass Neonazis die Taten planten. |