# taz.de -- Rechte Anschlagsserie Berlin-Neukölln: Stochern im rechten Sumpf | |
> Innensenator Geisel will die Anschlagsserie von einer Kommission | |
> untersuchen lassen. Die Grünen fordern, die Polizei genau in den Blick zu | |
> nehmen. | |
Bild: Fordert beharrlich einen Untersuchungsausschuss: Ferat Kocak | |
BERLIN taz | Grüne und Linke reagieren positiv auf den Vorstoß von | |
Innensenator Andreas Geisel (SPD), eine externe Expertenkommission zur | |
Aufklärung der rechten [1][Anschlagsserie in Berlin-Neukölln] einzusetzen. | |
Allerdings stellen beide Koalitionspartner auch Forderungen, etwa was den | |
konkreten Auftrag der Kommission betrifft. | |
Die Grünen wollen eine systematische Untersuchung der Vernetzung von unter | |
Rechtsextremismusverdachten stehenden Polizisten. Die Linken fordern einen | |
umfassenden Untersuchungsauftrag plus einen parlamentarischen | |
Untersuchungsausschuss in der nächsten Legislatur. | |
[2][Geisel hatte im taz-Interview] Fehler bei den polizeilichen | |
Ermittlungen zum Neukölln-Komplex eingestanden. Er werde deshalb „eine | |
Kommission mit zwei oder drei Mitgliedern berufen. Sie haben große | |
bundesweite Erfahrung im Kampf gegen Rechtsextremismus“, sagte Geisel der | |
taz. Die Namen würden schon feststehen, nennen dürfe er sie aber noch | |
nicht. Mit den Sonderermittler:innenn erfüllt der Senator eine vielfach | |
geäußerte Forderung von Politiker:innen und Opfern. | |
Insbesondere Betroffene hatten am Freitag erneut noch in dieser Wahlperiode | |
einen Untersuchungsausschuss gefordert, um das behördliche Versagen bei den | |
Ermittlungen aufzuklären. Die Behörden rechnen der Anschlagsserie | |
mittlerweile über 70 Anschläge auf gegen rechts Engagierte zu. Die | |
Terrorserie läuft seit Ende 2016 ohne nennenswerte Ermittlungserfolge, | |
obwohl die hauptverdächtigen Neuköllner Neonazis, auch organisiert in der | |
AfD Neukölln, seit Langem bekannt sind. | |
Gleichzeitig kommen immer mehr Informationen ans Licht über fragwürdige | |
Ermittlungsumstände und sogar mit den Verdächtigen vernetzte oder unter | |
Rassismusverdacht stehende Polizeibeamte: Ein Polizist war mit einem | |
Hauptverdächtigen im [3][Neukölln-Komplex in einer Chat-Gruppe]. Ein | |
anderer Polizist, der bis 2016 in Neukölln gegen Rechtsextremismus | |
ermittelte, ist derzeit vor Gericht angeklagt, weil er einen [4][Afghanen | |
verprügelt und rassistisch beleidigt] haben soll. Vergangene Woche wurden | |
wegen des [5][Verdachts auf Befangenheit] sogar zwei zuständige | |
Staatsanwälte ausgetauscht. Die Generalstaatsanwaltschaft hat das Verfahren | |
an sich gezogen. | |
## Offene Fragen bezüglich der Polizei | |
Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Benedikt Lux, fordert nun, dass | |
die von Geisel angekündigte Kommission systematisch die Vernetzung von | |
mutmaßlich rechtsextremen Polizist:innen aufklären müsse. Er sagte der | |
taz: „Wir müssen mögliche Kennverhältnisse von unter Rassismusverdacht | |
stehenden Polizisten untersuchen und deren Verbindungen in weitere | |
staatliche Behörden oder auch rechte Vereine wie Uniter untersuchen.“ Dafür | |
sei eine Kommission sogar besser geeignet als ein Untersuchungsausschuss, | |
weil Sonderermittler:innen schnell und unkompliziert handeln könnten. | |
Zu klärende Fälle und Fragestellungen gibt es laut Lux genug: „Der | |
Polizist, der einen Afghanen verprügelt hat – mit wem hat der noch | |
zusammengearbeitet? Gibt es Überschneidungen mit den in der Polizei | |
bekannten Reichsbürgern? Stehen auch die Polizisten, die offenbar unlautere | |
Datenabfragen tätigten, unter Rechtsextremismusverdacht? Kennen die | |
sich untereinander? Haben sie womöglich Kontakte mit rechtsextremen | |
Verdachtsfällen in anderen Behörden und Bundesländern?“ | |
Auch der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Niklas Schrader, | |
nannte die von Geisel geplante Kommission einen „prinzipiell richtigen | |
Schritt“. Sie müsse aber „komplett unabhängig sein und einen weitreichend… | |
Untersuchungsauftrag haben“. Und sie können keinen richtigen | |
Untersuchungsausschuss in der nächsten Legislatur ersetzen, so Schrader. | |
Bis zur Wahl 2021 müsse es jetzt darum gehen, „alles Dringliche zu | |
untersuchen, sodass ein Untersuchungsausschuss daran anknüpfen kann“. | |
Schließlich kämen beinahe täglich Dinge hinzu, die einen Ausschuss | |
dringlich machen. | |
Zuletzt am Donnerstag. Da hatte Berlins [6][Datenschutzbeauftragte Maja | |
Smoltczyk die Polizei scharf kritisiert]. Diese mauerte bei womöglich | |
unbefugten Datenabfragen auf Polizeicomputern von Betroffenen der | |
Anschlagsserie. Die Polizei rechtfertigte sich mit einer unterschiedlichen | |
Rechtsauffassung. „Es kann nicht sein, dass die Polizei nicht kooperiert“, | |
kritisierte am Freitag auch Schrader. | |
Schrader und Lux sprachen sich für eine von Betroffenen geforderte | |
zivilgesellschaftliche Beteiligung an der Kommission durch die Mobile | |
Beratung gegen Rechtsextremismus aus. Die Details müsse man nun in | |
Gesprächen mit Geisel klären. | |
## Eigentlich Bleiberecht für Opfer von rassistischer Gewalt | |
Klare Kritk äußerten Schrader und Lux allerdings an der nach Recherchen der | |
taz bekannt gewordenen Abschiebung des Afghanen, der in dem Prozess gegen | |
den Polizisten mit Neukölln-Bezug als Nebenkläger auftritt. Eigentlich | |
sollen Opfer von rassistischer Gewalt in Berlin ein Bleiberecht erhalten. | |
Schrader sagte: „Eine solche Regelung ist natürlich eine Farce, wenn so | |
jemand nach Afghanistan abgeschoben wird.“ Die Hürden für ein Bleiberecht | |
von Opfern von Hate Crime seien viel zu hoch – die Regelung laufe | |
offensichtlich ins Leere. Das hätten auch parlamentarische Anfragen immer | |
wieder gezeigt. | |
Schockierend war für Betroffene besonders, dass der angeklagte Polizist | |
Ansprechpartner für die Betroffenen rechter Gewalt war. Der mutmaßliche | |
rechte Gewalttäter ermittelte zwischen 2007 und 2016 zu Rechtsextremismus | |
in Neukölln. | |
Ferat Kocak, linker Kommunalpolitiker, dessen Auto in der Anschlagsserie im | |
Februar 2018 brannte, sagte dazu: „Ein rassistischer Polizeibeamter bekommt | |
Unterstützung durch ein rassistisches Abschiebesystem.“ Besonders fatal | |
sei, dass der Beamte weiter im Polizeidienst stehe, so Kocak. | |
## Und noch eine Kommission! | |
Bezüglich der von Geisel in Aussicht gestellten Kommission war Kocak nicht | |
ganz so optimistisch wie die rot-rot-grünen Koalitionspolitiker. Er sagte: | |
„Das hatten wir alles schon. Seit elf Jahren werden irgendwelche | |
Kommissionen und Ermittlungsgruppen gegründet. Wir brauchen einen | |
Untersuchungsausschuss und zwar jetzt!“ Opfer-Anwält:innen waren immer | |
wieder mit dem Ansinnen auf weitergehende Akteneinsicht an der | |
Staatsanwaltschaft gescheitert – eine entsprechende Beschwerde einer | |
Anwältin bei der Generalstaatsanwaltschaft hatte dann für die Versetzung | |
wegen des Verdachts auf Befangenheit der zuständigen Staatsanwälte gesorgt. | |
Für Kocak ist zunächst aber ein wenig Fortschritt besser als Stillstand, | |
wie er sagt. Für die Geisel-Kommission fordert er deshalb zumindest eine | |
zivilgesellschaftliche Beteiligung durch die Mobile Beratung gegen Rechts. | |
Es sei wichtig, dass die Behörden nun Transparenz schafften und Betroffene | |
Einblick, soweit rechtlich möglich, in zumindest einen Teil der Unterlagen | |
bekämen. Kocak sagt: „Nur so kann Vertrauen entstehen.“ | |
Auch die Südneuköllner Anwohner:innen-Initiative „Hufeisern gegen Rechts“ | |
meldete sich am Freitag mit einer Pressemitteilung zu Wort und forderte | |
erneut einen Untersuchungsausschuss: „Die aktuellen Hinweise auf die | |
rechtspopulistische Gesinnung des Leiters der Abteilung 231 der Berliner | |
Staatsanwaltschaft (...), den Datenabfluss aus Berliner Polizeicomputern in | |
rechte Chatgruppen, die Weigerung der Berliner Polizei, der | |
Datenschutzbeauftragten die zur Aufklärung notwendigen Unterlagen über | |
fragwürdige Abfragen zu den Daten von zwei von rechten Angriffen | |
betroffenen Neuköllner*innen aus dem Polizeicomputer sowie die bisher | |
unbefriedigende Arbeit der 'BAO Fokus zeigen deutlich, wie notwendig die | |
Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses ist.“ | |
Betroffene, die am Freitag eine weitere Pressemitteilung über die Mobile | |
Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin verschickten, wiesen zudem noch | |
einmal auf die 25.000 gesammelten Unterschriften für einen | |
Untersuchungsausschuss hin. Weil die Exekutive versage, müsse nun die | |
Legislative handeln – mit einem unabhängigen Untersuchungsausschuss mit | |
seinen gesetzlich geregelten Kompetenzen zur Zeugenvernehmung und | |
Akteneinsicht. Sie forderten: „Die rechten und rassistischen Angriffe in | |
Neukölln gehen immer weiter. Die Abgeordneten müssen endlich ihrer | |
Kontrollaufgabe gegenüber der Exekutive gerecht werden.“ | |
14 Aug 2020 | |
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## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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