# taz.de -- Fehlende Strafverfolgung in Berlin: Das bisschen Rassismus | |
> Ein Afghane wird von einem Polizisten außer Dienst attackiert. Die | |
> Staatsanwaltschaft lässt den Rassismus außer Acht – nicht zur ersten Mal. | |
Bild: Polizeiwagen vor dem Amtsgericht Tiergarten | |
BERLIN taz | Am 5. April 2017, einem Mittwoch gegen 21 Uhr, greifen mehrere | |
Männer, die von einem Spiel des 1. FC Union kommen, am S-Bahnhof Karlshorst | |
einen 26-jährigen Afghanen an und verletzen ihn erheblich. Mehrere Zeugen | |
berichten von rassistischen Beleidigungen, auch in der Pressemitteilung der | |
Polizei ist davon die Rede, dass das Opfer „fremdenfeindlich beleidigt“ | |
worden sei. Einer der Angreifer, ein Polizeibeamter, der an diesem Abend | |
nicht im Dienst ist, sagt beim Eintreffen der Kollegen, das kein Problem | |
vorliege, schließlich seien keine deutschen Interessen betroffen. | |
Der Angegriffene, der Schulter- und Kopfverletzungen davon trägt, erhält in | |
jenen Tagen die Ablehnung seines Asylantrages. Der Afghane, der damals | |
Bundesfreiwilligendienst in einem Kindergarten absolvierte, flüchtet | |
psychisch angeschlagen nach England, landet in der Obdachlosigkeit und | |
Drogensucht. Inzwischen ist er zurück in Berlin und befindet sich in | |
psychologischer Behandlung. | |
Nachdem der Fall schon zu den Akten gelegt war, weil angeblich nicht | |
nachzuvollziehen war, wer die Auseinandersetzung begonnen hat, wird er an | |
diesem Freitag (9 Uhr) doch noch vor dem Amtsgericht Tiergarten verhandelt. | |
Angeklagt sind drei Angreifer, darunter der Polizist, der weiterhin im | |
Dienst ist. Die Polizei teilt mit, das Gerichtsverfahren zu beobachten und | |
eine „darauffolgende disziplinarrechtliche Würdigung“ durchzuführen. | |
Verantworten müssen sich die Beschuldigten aufgrund der gemeinschaftlich | |
begangenen Tat wegen gefährlicher Körperverletzung. Verfasst hat die | |
Anklage die für politische Strafsachen zuständige Abteilung 231 der | |
Berliner Staatsanwaltschaft, eine Abteilung aus sechs StaatsanwältInnen, | |
extra zuständig für Fälle von Hasskriminalität. | |
Doch wegen der rassistischen Beleidigungen sind die Beschuldigten nicht | |
angeklagt. Dabei ist das durchaus relevant: In Paragraph 46 des | |
Strafgesetzbuches sind als Konsequenz aus dem NSU „rassistische, | |
fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende“ Beweggründe | |
aufgeführt, die ein Gericht zur Strafbemessung heranzuziehen habe. Liegen | |
diese vor, können sie strafverschärfend sein. Staatsanwaltschaft und | |
Gericht äußern sich auf Anfrage nicht. | |
## Würdigung der Motivation | |
Das Gericht hat drei ZeugInnen geladen, die Beleidigungen bestätigen | |
können. Sollte das Gericht die rassistische Motivation des Angriffs | |
würdigen, hofft der Geschädigte auf ein Bleiberecht. „Seit Juni 2017 gilt | |
in Berlin eine Bleiberechtsregelung für Opfer von Hasskriminalität“, | |
erklärt Jenny Fleischer, die Anwältin des Opfers. Wer rassistisch | |
angegriffen wird, soll bleiben dürfen. | |
Weil die Regelung erst zwei Monate nach der Attacke eingeführt wurde, käme | |
hier jedoch nur der Weg über die Härtefallkommission in Betracht. | |
Andernfalls droht Fleischers Mandanten die Abschiebung. Seit seiner | |
Zeugenaussage zu dem Angriff wird gegen ihn wegen angeblich illegalem | |
Aufenthalts ermittelt. | |
[1][Lukas Theune, Geschäftsführer des Republikanischen Anwältinnenvereins], | |
kritisiert die Staatsschutz-Abteilung der Staatsanwaltschaft wegen ihres | |
Umgangs mit rassistischen Motiven. Im vergangen Jahr vertrat Theune ein | |
anderes Opfer eines rassistischen Angriffs. Sein Mandant war am S-Bahnhof | |
Blankenburg von vier weißen Männern mit dem N-Wort beleidigt und körperlich | |
attackiert worden. Die Staatsanwaltschaft klagte die Beleidigung nicht an. | |
Das Verfahren stellte sie gegen ein Schmerzensgeld in Höhe von 500 Euro | |
ein, weil sie kein öffentliches Interesse an der Verfolgung sah. | |
Dabei sind im Paragraph 234 der Straf- und Bußgeldverfahren-Richtlinien | |
seit dem Jahr 2015 „rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige | |
menschenverachtende Beweggründe“ aufgeführt. Liegen diese vor, ist von | |
einem „besonderen öffentlichen Interesse an der Verfolgung von | |
Körperverletzungen“ auszugehen. Theune hatte daraufhin eine | |
Dienstaufsichtsbeschwerde gestellt. | |
Er kritisiert: „Die Staatsanwaltschaft, die für die Verfolgung von | |
Staatsschutzdelikten, also auch rechten Übergriffen zuständig ist, hat | |
rassistische Motive nicht berücksichtigt, obwohl sie genau dazu | |
verpflichtet ist.“ Weil dies wiederholt vorgekommen sei, „kann man nicht | |
davon ausgehen dass es sich um einen Zufall handelt oder nur ein | |
Staatsanwaltschaft verantwortlich ist.“ Es sei ein Problem „der ganzen | |
Abteilung“, so Theune. | |
Linke Straftaten, für die die Abteilung ebenfalls zuständig ist, würden | |
dagegen unnachgiebig verfolgt. „Bei jeder Sachbeschädigungsanzeige wegen | |
eines geklebten Stickers wird ein öffentliches Interesse angenommen.“ | |
9 Jan 2020 | |
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## AUTOREN | |
Erik Peter | |
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