Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Polizei unter Diskrimierungsverdacht: Pauschal gegen Sinti und Roma
> Die Berliner Polizei steht im Verdacht, in ihrer Ermittlungspraxis Sinti
> und Roma zu stigmatisieren. Kein Einzelfall, sagen Wissenschaftler*innen.
Bild: Die Kriminalstatistik der Polizei Berlin wirft Fragen auf
BERLIN taz | Jemand gibt sich als Handwerker aus oder als Polizist,
verschafft sich so Zugang zu einer Wohnung – und bestiehlt den, der dort
wohnt. Dieses Phänomen wird in der Kriminalstatistik der Berliner Polizei
(PKS) als „Trickdiebstahl in Wohnung“ bezeichnet. Man habe 86
Tatverdächtige ermitteln können, heißt es in der PKS 2017. Und dann kommen
zwei Sätze, die der Berliner Polizei derzeit harsche Kritik einbringen: Bei
den ermittelten Tatverdächtigen handle es sich „überwiegend um Angehörige
der Volksgruppe der Sinti und Roma“. Diese „Familienclans“ lebten seit
Jahren in Deutschland und besäßen „größtenteils die deutsche
Staatsangehörigkeit“.
Eine solche „ethnische Kennzeichnung von Roma und Sinti durch die
Polizeibehörden ist mit unserem Rechtsstaat nicht vereinbar“, kritisiert
Romani Rose, Vorsitzender des [1][Zentralrats Deutscher Sinti und Roma].
Die Linken-Politikerin und Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau findet die
Angabe „verstörend“. Solche Veröffentlichungen seien „geeignet, in der
Mehrheitsgesellschaft tief verwurzelte Vorurteile noch zu befördern“, sagt
Pau. Das sei „inakzeptabel“.
Die Berliner Polizei ist nicht die einzige, in deren Veröffentlichung sich
Hinweise auf Sinti*ze und Rom*nja finden. Erst Ende August erging in der
bayerischen Polizei eine interne Dienstanweisung, eine solche
Charakterisierung sei „grundsätzlich zu unterbleiben“, solange die
„Erfüllung polizeilicher Aufgaben“ davon unberührt bleibe. Vorausgegangen
war eine Untersuchung des Landesbeauftragten für Datenschutz, der bei
anlasslosen Überprüfungen im Datenbestand der Polizei immer wieder auf die
Begriffe „Sinti“ und „Roma“ gestoßen war.
2017 hat der Politikwissenschaftler Markus End vom Berliner Zentrum für
Antisemitismusforschung bundesweit Pressemitteilungen der Polizei, aber
auch in den Medien zitierte interne Papiere, Publikationen oder öffentliche
Aussagen von Funktionsträger*innen untersucht. „Die zusammengetragenen
Hinweise legen die Vermutung nahe, dass in Polizei- und Ermittlungsbehörden
weiterhin antiziganistische Wissensbestände in Form von polizeilichem
‚Expertenwissen‘ gepflegt werden“, heißt es im Fazit.
## „Keine personenbezogenen Daten“
Ein Muster, das sich auch im Fall Berlin andeutet. Es würden „keine
personenbezogenen Daten zur Zugehörigkeit zu den Bevölkerungsgruppen Sinti
und Roma verarbeitet“, heißt es in einer Antwort des Polizeipräsidiums auf
eine Anfrage der Landesdatenschutzbeauftragten. Es werde nur die
Staatsangehörigkeit erfasst – wie die Polizei in der PKS selbst betonte,
handelt es sich in diesem Fall aber überwiegend um deutsche
Staatsbürger*innen. Die Angabe, dass die Tatverdächtigen mehrheitlich
Sinti*ze und Rom*nja seien, basiere auf der „fachlich fundierten
Einschätzung“ der für gewerbsmäßige Bandenkriminalität zuständigen
Fachdienststelle. Es handle sich um „über viele Jahre angeeignetes
polizeiliches Fachwissen zu den genannten Bevölkerungsgruppen“, die
Erkenntnisse stützten sich auch auf Ermittlungen zu „den Strukturen von
Großfamilien und deren kulturellen Vorstellungen“.
Eine Erklärung, die Markus End äußerst problematisch findet. „Solche
Äußerungen legen nahe, dass wir es hier mit einem strukturellen Problem von
Antiziganismus in den Ermittlungsbehörden zu tun haben“, sagt er. Dabei
gehe es nicht darum, ob einzelne Polizist*innen rassistisch seien. „Aber
hier werden Angehörige einer bestimmten Gruppe kausal mit Kriminalität in
Verbindung verbracht.“
In der Berliner Polizeilichen Kriminalstatistik für das Jahr 2018 taucht
ein Eintrag über Sinti*ze und Rom*nja nicht mehr auf. Dem Senat sei
„durchaus bewusst“, dass der „notwendige Schutz einzelner
Bevölkerungsgruppen vor Diskriminierung sowie der Bildung von Vorurteilen
und Ressentiments“ und das „legitime Informationsbedürfnis staatlicher
Stellen“ ein Spannungsfeld darstellten, erklärt die Senatsverwaltung für
Inneres in einer Antwort auf eine schriftliche Anfrage des FDP-Abgeordneten
Bernd Schlömer. Man habe das nun abgewogen und entschieden, „auf die
Erwähnung dieser ethnischen Zugehörigkeit zu verzichten“.
Politikwissenschaftler End reicht das nicht. „Natürlich ist es gut, wenn
solche Äußerungen nicht mehr veröffentlicht und dadurch auch nicht weiter
zitiert werden, etwa in Medienbeiträgen“, sagt er. „Das ändert aber noch
nichts daran, dass solche Daten weiterhin generiert und in
Polizeistrukturen genutzt werden.“
Welche Folgen ein solches vermeintliches Expertenwissen habe, zeigten die
Ermittlungen nach dem NSU-Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter im
Jahr 2007, sagt End. Damals fand man die DNA einer „unbekannten weiblichen
Person“ am Tatort – DNA, die man über Jahre überall in Deutschland,
Österreich und Frankreich im Zusammenhang mit Straftaten fand. Die Polizei
fahndete aktiv unter Sinti*ze und Rom*nja. „Vernehmung aller Zigeuner, die
zur Tatzeit auf der Theresienwiese campiert haben“, schrieb ein Beamter der
Sonderkommission seinen Kolleg*innen. Nach einem Lügendetektortest
attestierten Psychologen, der Verdächtige sei ein „typischer Vertreter
seiner Ethnie, wo Lügen zur üblichen Sozialisation gehört“. Ende 2008
stellte sich heraus, dass die DNA durch die Spurensuche mit verunreinigten
Wattestäbchen an all die verschiedenen Tatorte gelangt war.
Im Berliner Fall hat die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) Beschwerde
bei der Berliner Datenschutzbeauftragten eingereicht. „Wenn die Polizei
davon sprechen kann, dass die Verdächtigen ‚überwiegend‘ Sinti und Roma
sind, dann muss sie das in irgendeiner zählbaren Form erfassen – und das
wäre aus unserer Sicht klar rechtswidrig“, sagt Lea Beckmann, Juristin bei
der GFF. Ethnische Herkunft und Volkszugehörigkeit seien nach
datenschutzrechtlichen Grundsätzen sogenannte „besondere Kategorien“ von
personenbezogenen Daten. „Das ist quasi eine rote Flagge, Daten dieser
Kategorie dürfen aufgrund der offensichtlichen Missbrauchsgefahr nur unter
sehr hohen Voraussetzungen erhoben werden.“ Die Polizei dürfe diese nur
erfassen, wenn sie sonst die Polizeiarbeit gar nicht wahrnehmen könne oder
sie dadurch Leben retten könne. Da das nicht erfüllt sei, so Beckmann, sei
ihr keine Konstellation vorstellbar, in der die ethnische Herkunft der
Tatverdächtigen erhoben werden dürfte.
Tatverdächtige bezeichneten sich in der Vernehmung „selbst als Angehörige
dieser ethnischen Gruppe“, erklärt die Senatsverwaltung die Daten in der
Antwort auf die FDP-Anfrage. Auch hier müsse es aber einen inhaltlichen
Zusammenhang zur Tat geben, sagt Beckmann. „Und wenn die Polizei
schließlich diese individuellen Fallbeschreibungen auswertet und dann
veröffentlicht, dass die Tatverdächtigen überwiegend dieser oder jener
ethnischen Herkunft sind, dann ist das erst recht rechtswidrig.“
Auch Georgi Ivanov vom Jugendverband Amaro Foro beklagt, es sei nach wie
vor nicht klar, wie die Polizei die Zuordnung vornehme. „Wir sehen hier die
Gefahr willkürlicher und intransparenter Zuschreibungen“, sagt er.
„Aufgrund der stigmatisierenden Wirkung ist das aus der Sicht einer
Roma-Selbstorganisation als katastrophal zu werten.“
1 Oct 2019
## LINKS
[1] /Sinti-und-Roma-sollen-geschuetzt-werden/!5579756
## AUTOREN
Dinah Riese
## TAGS
Sinti und Roma
Polizei Berlin
Diskriminierung
taz Plan
Zentralrat Deutscher Sinti und Roma
Polizei Berlin
Zentralrat Deutscher Sinti und Roma
Polizei
Zentralrat Deutscher Sinti und Roma
Schwerpunkt Rassismus
Denkmal der im Nationalsozialismus ermordeten Roma und Sinti
Schwerpunkt Rassismus
Denkmal der im Nationalsozialismus ermordeten Roma und Sinti
## ARTIKEL ZUM THEMA
Filme über und von Sinti*zze und Rom*nja: Kritische Spurensuchen
Das Filmfestival „Ake dikhea?“ zeigt Werke aus der Filmszene von Sinti*zze
und Rom*nja, die mal bunt, mal grauenvoll sind.
Sinti und Roma-Nennung bei der Polizei: „Vorurteile bestehen fort“
Roma und Sinti wurden als einzige ethnische Gruppe in der
Kriminalitätsstatistik erfasst. Zentralratspräsident Romani Rose traf
Berlins Innensenator.
Fehlende Strafverfolgung in Berlin: Das bisschen Rassismus
Ein Afghane wird von einem Polizisten außer Dienst attackiert. Die
Staatsanwaltschaft lässt den Rassismus außer Acht – nicht zur ersten Mal.
Gutachten über tendenziöse Doku: Antiziganismus bei Sat.1
Der Zentralrat der Sinti und Roma befand eine Sat.1-Doku als
diskriminierend. Ein Gutachten des Politologen Hajo Funke bestätigt das
nun.
Antiziganismus bei der Polizei: „Nicht vollständig vermeidbar“
Die Polizei klassifiziert eine abgewiesene Familie als Sinti und Roma. Das
Innenministerium spricht von einem Einzelfall.
Aktivistin über Antiziganismus: „Es durchzieht unseren Alltag“
Diana Preda erlebt täglich in der Sozialberatung für Sinti und Roma, wie
aus Vorurteilen Diskriminierung wird – und was das mit den Betroffenen
macht.
Gastkommentar Internationaler Roma-Tag: „Nicht nur wir Roma“
In Zeiten des Rechtsrucks ist der Internationale Roma-Tag umso wichtiger.
Für die Freiheit und den Schutz von Roma müssen sich aber alle einsetzen.
Zum Roma Day in Berlin: „Zeitzeugen sind wichtig“
Historikerin Jana Mechelhoff-Herezi im Interview zum Roma Day über die
Erinnerungskultur und Antiziganismus.
Diskriminierung bei Wohnungssuche: „Zigeuner“ abgelehnt
Die Wohnungsbaugesellschaft Hameln schickte einer Sinteza unbeabsichtigt
einen internen Vermerk: „Leichter Zigeunereinschlag; besser nichts
anbieten!“
Sinti und Roma sollen geschützt werden: Bundestag mit „Verantwortung“
Der Bundestag beschließt, den Antiziganismus endlich bekämpfen zu wollen.
Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma begrüßt das.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.