# taz.de -- Diskriminierung bei Wohnungssuche: „Zigeuner“ abgelehnt | |
> Die Wohnungsbaugesellschaft Hameln schickte einer Sinteza unbeabsichtigt | |
> einen internen Vermerk: „Leichter Zigeunereinschlag; besser nichts | |
> anbieten!“ | |
Bild: Hätten Sie ihm eine Wohnung vermietet, WGH Hameln? Rom Pablo Picasso | |
Göttingen taz | „Das Ziel der WGH ist die Sicherheit und Geborgenheit ihrer | |
Mitglieder in allen Lebensphasen“, heißt es im Leitbild der | |
Wohnungsgenossenschaft Hameln (WGH). Und weiter: „Das Handeln ist durch | |
Toleranz, gegenseitige Rücksichtnahme und Anerkennung geprägt.“ Schöne | |
Worte. In den Augen einer Frau aus Hameln müssen sie wie blanker Hohn | |
erscheinen. | |
Die 68 Jahre alte Sinteza, die seit ihrer Kindheit in der Stadt lebt, sucht | |
seit langem eine Zweizimmerwohnung und hat sich auch bei der WGH beworben. | |
Am Donnerstag vergangener Woche erhielt sie von dem Unternehmen einmal mehr | |
das übliche Formblatt, den „Interessenbogen zur Wohnungssuche“. | |
In der Rubrik „Bemerkungen“ standen dieses Mal die Wörter: „1 Pers.; | |
leichter Zigeunereinschlag; besser nichts anbieten!“ Eine entlarvende | |
Panne: Denn der offenkundig von einem Mitarbeiter oder einer Mitarbeiterin | |
der Wohnungsgenossenschaft gefertigte Vermerk war wohl nur aus Versehen | |
nicht entfernt worden, bevor der Bogen der Bewerberin ausgehändigt wurde. | |
Sie sei zunächst „sprachlos“ gewesen, erklärte die 68-Jährige der lokalen | |
Deister- und Weserzeitung. Ihre Mutter und viele ältere Verwandte seien von | |
den Nationalsozialisten als „Zigeuner“ verfolgt, in Konzentrationslager | |
oder Gettos gesperrt und teilweise ermordet worden, deshalb sei sie für | |
rassistische Diskriminierung sensibilisiert. So einen Satz über sich lesen | |
zu müssen hätte sie niemals von dem Wohnungsunternehmen erwartet, sagte | |
sie: „Aber jetzt kann ich mir natürlich erklären, weshalb die WGH nie eine | |
Wohnung für mich hatte.“ | |
## Rassismus für den „internen Gebrauch“ | |
Die Wohnungsgenossenschaft hat inzwischen eingeräumt, dass der fatale | |
Vermerk nur für den internen Gebrauch vorgesehen war. Wer den rassistischen | |
Eintrag zu verantworten habe, könne derzeit nicht beantwortet werden und | |
müsse noch ermittelt werden, sagte WGH-Vorstand Heinz Brockmann der | |
Deister- und Weserzeitung: „Das hat hohe Priorität“. | |
Es gebe keine Anweisung, „Personen, welcher Herkunft auch immer, zu | |
bevorzugen oder zu diskriminieren“, stellte Brockmann klar. „Von der | |
Aussage ,Zigeunereinschlag' distanzieren wir uns in aller Form und werden | |
dieses auch nicht dulden.“ Es würden „personelle Konsequenzen“ eingeleit… | |
kündigte der WGH-Chef an. „Wir können uns nach Kenntnisnahme dieses | |
bedauerlichen Vorfalls nur ausdrücklich bei der betroffenen Person | |
entschuldigen und versichern, unsere Wohnungen für alle Bevölkerungsgruppen | |
bereitzustellen.“ | |
Weiter gehende Anfragen der taz, ob die angekündigten Konsequenzen | |
inzwischen erfolgt seien und ob die Sinteza nun doch eine Wohnung | |
zugewiesen bekomme, ließ die WGH bis gestern Nachmittag unbeantwortet. | |
Stattdessen gibt es andere Wortmeldungen. Der Vorsitzende der in Köln | |
ansässigen Sinti-Allianz, Oskar Weiss, sprach von „offenem Rassismus“. „… | |
Hameln ist die Situation schlimmer als bei uns hier in der Großstadt, wo | |
die Menschen einander lockerer sehen“, meint er. | |
Der Vorgang könne so nicht stehen bleiben. Die Sinti-Allianz rate der | |
Betroffenen deshalb dringend, den Fall zur Anzeige zu bringen. | |
Nicht nur aus Sicht der Allianz ist der Vermerk ein klarer Verstoß gegen | |
das Diskriminierungsverbot: Es untersagt, Menschen wegen bestimmter | |
Merkmale ungleich zu behandeln, wenn dies zu einer Benachteiligung oder | |
Herabwürdigung führt, ohne dass es dafür eine sachliche Rechtfertigung | |
gibt. | |
Insbesondere dürfen weder Geschlecht, Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, | |
politische oder sonstige Anschauung, nationale oder soziale Herkunft, | |
Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, Vermögen, Geburt noch der | |
sonstige Status als Unterscheidungsmerkmal herangezogen werden. Das | |
Diskriminierungsverbot ist Bestandteil der Europäischen | |
Menschenrechtskonvention, in Deutschland gibt es entsprechende gesetzliche | |
Regelungen. | |
Die Hamelner Linke-Bundestagsabgeordnete Jutta Krellmann hat sich in einem | |
offenen Brief an die WGH gewandt. Demnach soll der WGH-Aufsichtsrat handeln | |
und aufklären, wer den Eintrag getätigt hat – und ob noch mehr solcher | |
Einträge im System sind. „Diese Denke muss raus aus den Köpfen der | |
Menschen“, so Krellmann weiter. Auch sie rät der betroffenen Frau zu einer | |
Anzeige. Zudem müsse ihr nun eine Wohnung angeboten werden. | |
## Konkretes Beispiel für strukturellen Rassismus | |
Der Vermerk der Hamelner Wohnungsgenossenschaft beweise, was viele Menschen | |
mit nichtdeutschem Namen oder dunkler Haut immer wieder erleben müssten und | |
doch selten beweisen könnten, sagt die Grünen-Fraktionsvorsitzende im | |
niedersächsischen Landtag, Anja Piel: „Dass sie rassistisch diskriminiert | |
werden.“ Niemand solle glauben, dass es in anderen Fällen anders laufe, nur | |
weil keine Belege dafür erbracht werden könnten. Insbesondere die Sinti und | |
Roma würden als Minderheit immer noch und immer wieder ausgegrenzt. | |
Rassismus auch auf dem Wohnungsmarkt ist ein weit verbreitetes Problem, wie | |
auch ein Feldversuch von Studentinnen der Universität Bremen kürzlich | |
erneut belegte. In insgesamt fast 300 Anrufen bei Vermietern in der | |
Hansestadt gaben sich die Frauen als alleinstehende Krankenschwestern aus, | |
allerdings mit wechselndem Akzent: „Ayşe Gülbeyaz“ sprach mit türkischem | |
Einschlag, „Alice McGraw“ mit US-amerikanischem, Lena Meyer parlierte in | |
perfektem Hochdeutsch. | |
Das Ergebnis des Experiments: Nur wenige Vermieter luden „Ayşe“ zu einer | |
Wohnungsbesichtigung ein. Durfte sie sich doch eine Wohnung ansehen, bekam | |
sie meist unmittelbar nach der Vorstellung eine Ablehnung. „Alice“ hatte | |
schon bedeutend bessere Chancen, einen Mietvertrag zu bekommen. Und bei | |
„Lena“, die den Eigentümer jeweils als Letzte kontaktierte, waren selbst | |
die Wohnungen plötzlich wieder frei, die bei „Ayşe “ schon vergeben waren. | |
27 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Reimar Paul | |
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